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nicht, dass Fernsehen und Streaming-Plattformen wie Netflix und YouTube unsere größte Aufmerksamkeit bekommen. Die Deutschen verbringen pro Tag im Schnitt fast vier Stunden vor der Flimmerkiste. Erst danach folgt das Internet mit etwas über zwei Stunden, und das Radio mit 100 Minuten. Weit abgeschlagen folgen mittlerweile Bücher und Zeitschriften mit zusammen gerade mal 40 Minuten.

      Als ich 1997 in die USA übersiedelte, wurde mir die Auswirkung der visuellen Stimulation durch das Fernsehen erst richtig bewusst. Bei den Amerikanern laufen mehrerer Flachbildschirme gleichzeitig von früh bis spät. Ich hatte einen Bekannten besucht und wir fingen an uns zu unterhalten. Bereits nach fünf Minuten war ich irritiert und etwas nervös, weil der Fernseher im Hintergrund immer noch lief.

      Ständig zog es meine Aufmerksamkeit weg vom Gespräch in den Dialog der Nachrichtensendung vom TV. Wiederholt musste ich mit Willenskraft meine Aufmerksamkeit zurück zum Gespräch mit meinem Bekannten bringen. Fernsehen wirkt bereits nach wenigen Sekunden wie Hypnose auf uns.

      Um ganz sicherzugehen, dass wir auch die ‚Wahrheit‘ erfahren, verbringen wir immer mehr Zeit mit visuellen Medien. Aber ist das, was wir dort zu sehen bekommen tatsächlich die Wahrheit, und entspricht es der Wirklichkeit? Viele Philosophen und Wissenschaftler stemmen sich vehement gegen die weitverbreitete Ansicht einer objektiven Wirklichkeit. Sie sind sogar der festen Überzeugung, dass die objektive Wirklichkeit nichts anderes ist als eine gigantische Illusion.

      Wir alle kennen die Analogie von der rosaroten Brille. Hat sich unsere Wahrnehmung und damit auch unsere Aufmerksamkeit z. B. erst mal auf einen blauen Sportwagen fixiert, fällt uns nach einer Weile auf, wie viele es davon gibt. Willkommen im nebulösen Bereich der Meinungen, Ansichten, Überzeugungen und Glaubenssysteme, die unser Leben nicht nur beeinflussen, sondern sogar zu einem Großteil bestimmen.

      Gibt es eine objektive Wirklichkeit?

      Viele Menschen glauben, es gäbe absolute Fakten oder wissenswerte Wahrheiten, die unabhängig von der Subjektivität existieren. Wir stellen uns vor, dass es Dinge gibt, die wir wissen könnten, die auch dann noch wahr wären, wenn jeder Mensch plötzlich aus dem Universum verschwinden würde. Diesen Fakten stehen Meinungen oder Überzeugungen gegenüber, die von einer überprüfbaren objektiven Realität abgekoppelt sind.

      In einem logischen, wissenschaftlichen Rahmen gibt es allerdings keine Fakten – es gibt nur gut belegte Theorien. Nichts in der Wissenschaft ist jemals bewiesen, weil die wissenschaftliche Methode durch Widerlegbarkeit funktioniert. Der Philosoph Karl Popper hat 1934 in seinem Werk ‚Die Logik der wissenschaftlichen Entdeckung‘ eine der Grundsätze für die wissenschaftliche Methode definiert. Sie besagt, dass jede wissenschaftliche Hypothese und das daraus resultierende Versuchsdesign von Natur aus widerlegbar sein muss. Obwohl die Widerlegbarkeit nicht allgemein anerkannt ist, bildet sie dennoch die Grundlage der meisten wissenschaftlichen Experimente.

      Eine Theorie muss grundlegend und nach strengen Kriterien durch Beobachtung und Experiment überprüft werden. Wenn die Theorie der Überprüfung durch Experimente nicht standhält, muss sie verworfen und durch eine neue Hypothese ersetzt werden. Nur durch wiederholten Versuch und Irrtum, durch Vermutungen und Widerlegungen macht die Wissenschaft Fortschritte. Daher überleben nur die besten Theorien.

      Deshalb kann man niemals mit Sicherheit von einer Theorie behaupten, dass sie wahr ist. Man hofft allerdings, dass sie die Beste ist, die im Moment zur Verfügung steht – also besser als alle vorangegangenen. Wissenschaft ist nicht wie Mathematik oder symbolische Logik, in der Aussagen definitiv wahr oder falsch sein können.

      Im Rahmen der wissenschaftlichen Theorie ist eine Tatsache einfach etwas, das wiederholt bewiesen wurde und noch nicht widerlegt worden ist. Keine Theorie ist daher völlig richtig. Wenn Sie also in den Medien von Fakten hören, dann wissen Sie jetzt, dass es nur Theorien sind. Einige dieser Theorien sind besser als andere, aber keine davon ist wirklich wahr.

      Auch die Quantenmechanik kennt keine objektiven Fakten

      Die Wissenschaft schafft sogenannte ‚Fakten‘ durch wiederholte Beobachtung. Alle Messungen müssen dazu objektiv sein. Es sollte also keinen Unterschied machen, wer eine wissenschaftliche Beobachtung macht. Dass dies nicht stimmt, haben Wissenschaftler der Quantenmechanik empirisch nachgewiesen.

      Quantenmechanische Systeme befinden sich bis zum Zeitpunkt der Messung in einem Zustand der als ‚Superposition‘ bezeichnet wird: Mehrere Zustände, wie z.B. beim Computer die Informationen 0 und 1, überlagern sich ohne sich gegenseitig zu behindern. Beide Zustände sind deshalb gleichermaßen gültig.

      Sobald jedoch eine Messung stattfindet, also ein Beobachter anwesend ist, können nur exakte Zustandswerte erfasst werden. In unserem Beispiel mit dem Computer kann ein Wissenschaftler entweder 0 oder 1 messen – niemals beides. In der Fachsprache wird dieser Moment auch als Kollaps der Superposition bezeichnet.

      Dieses Messproblem in der Quantenwelt wird noch einen Grad komplexer, wenn der Beobachter selbst beobachtet wird. Der Physiker und Nobelpreisträger Eugene Wigner hat 1961 folgendes Gedankenexperiment konzipiert, um die Komplexität der Quantenwelt zu veranschaulichen und eine generelle Objektivität infrage zu stellen.

      Eine Münze wird von Wigner in die Luft geworfen. Stellen wir uns vor die Münze wäre dabei ein Quantensystem. Die Münze befindet sich nach dem Wurf solange in einem Zustand der Superposition von Kopf und Zahl, bis sie landet und Wigner nachschaut, auf welcher Seite sie gelandet ist. Für einen Freund von Wigner, der das Experiment beobachtet, aber nicht sieht auf welcher Seite die Münze landet, sind die Münze und Wigner selbst in einer Superposition. Jeder Münzwurf von Wigner führt zu einem eindeutigen Ergebnis, aber die Realität für den Freund ist eine völlig andere.

      Dieses Gedankenexperiment wurde in 2019 von einem internationalen Team von Wissenschaftlern mit der Hilfe eines Quantencomputers empirisch überprüft. Letztendlich stellten die Wissenschaftler fest, dass die Quantenmechanik unvereinbar mit der Annahme objektiver Fakten ist. Es zeigte sich also auch hier, auf der Ebene der kleinsten Bausteine des Lebens, dass es keine objektiven Fakten gibt.

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