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Adoptivkind Michaela. Marie Louise Fischer
Читать онлайн.Название Adoptivkind Michaela
Год выпуска 0
isbn 9788711719572
Автор произведения Marie Louise Fischer
Серия Michaela
Издательство Bookwire
»Bist du so sicher?«
»Ja!« brüllte er. »Ich bin vollkommen sicher, daß du es nur weißt! Sie hat sich nichts angetan, ganz bestimmt nicht. Es ist Wahnsinn, so etwas überhaupt zu denken.«
»Erhard«, sagte Isabella, »glaubst du, daß sie uns lieb hat? Ich meine, wie ein Kind seine Eltern lieben soll?«
»Natürlich … Dumme Frage. Sie hat sich doch immer ganz normal benommen. Nicht ungezogener als andere Kinder. Eher im Gegenteil.«
»Ob das genügt?«
»Was soll das heißen?«
»Ach, bitte, Erhard, sei doch nicht so gereizt … Ich versuche doch nur, mich in Michaelas Situation zu versetzen. Ich möchte einfach wissen, was sie jetzt fühlt und denkt — wenn sie den Brief tatsächlich entdeckt hat.
Ich weiß es nicht. Eigentlich ist sie uns doch sehr fremd, Erhard, nicht wahr?«
»Unsinn. Ich kenne sie ganz genau. Sie ist ein oberflächliches, gutmütiges kleines Ding — nicht gut und nicht schlecht, und überhaupt nicht kompliziert … Sie ist einfach so, wie diese jungen Dinger, na, Teenager, heutzutage sind.«
»Ich weiß nicht. Wir hätten uns mehr um sie kümmern müssen.«
»Noch mehr? Jede freie Minute verbringen wir mit dem Kind. Von früh bis spät denkst du an nichts anderes.«
»Ich habe sie furchtbar lieb, Erhard, und das weißt du. Aber — ob das genügt? Ob wir nicht doch einen Fehler gemacht haben?«
»Meine liebe Isabella, jetzt will ich dir mal was sagen: Du hast Komplexe. Hör auf, dir was einzureden. Oder willst du uns beide verrückt machen?«
»Wenn sie Vertrauen zu uns hätte — wäre sie dann nicht zu Hause geblieben? Und hätte in Ruhe mit uns über alles gesprochen?«
»Wahrscheinlich hat sie keine Ahnung von diesem verdammten Wisch gehabt! Wie oft soll ich dir das noch sagen?!«
»Aber warum ist sie dann fortgelaufen? Warum kommt sie nicht nach Hause?«
»Glaubst du, daß ich ein Hellseher bin?«
»Wenn wir uns genügend um sie gekümmert hätten, würden wir es jetzt wissen.«
»Welcher vernünftige Mensch kann denn wissen, was in einem so unreifen Ding plötzlich vorgeht?« sagte er grob. »Hör auf damit, sage ich dir, mach mich nicht wahnsinnig!«
»Verzeih, Erhard.« Ihre Stimme klang spröde wie gebrochenes Glas. »Verzeih, ich weiß, ich bin schrecklich. Aber ich kann nicht anders. Ich — ich halte es einfach nicht mehr aus!«
»Weil du überarbeitet bist — weil du ins Bett gehörst. Das ist alles. Soll ich dir mal was sagen? Wenn Michaela bis ein Uhr nicht zu Hause ist, gehen wir schlafen. Jawohl, wir gehen schlafen. Morgen früh wird sich dann herausstellen …«
Er unterbrach sich, als er merkte, daß seine Frau lautlos zu weinen begonnen hatte. Sie saß da, hoch aufgerichtet, mit starrem Gesicht, während die Tränen unaufhaltsam ihre Wangen hinunterliefen.
Leise pfeifend stieg Till Torsten die Treppe eines großen, neuen Mietshauses in München-Solln hinauf. Die Wände waren so dünn, daß er im Hinaufsteigen am Familienleben der einzelnen Mietsparteien teilnehmen konnte. Aus einer der Wohnungen klang Gelächter und Gläserklirren, aus einer anderen hörte er Tanzmusik aus dem Radio, dann wieder das harte Aufklopfen von Spielkarten, und dann — nichts. Heidlers, jungverheiratet, schienen in dieser Samstagnacht schon zu schlafen. Till Torsten grinste, als er daran dachte.
Er war bester Laune. Natürlich, der Tausender, den er seinem Schwager entsteißt hat, war nur ein kleiner Fisch, aber immerhin ein Anfang, Betriebskapital sozusagen. Er kannte Erhard Schneider. In solchen Dingen verstand er keinen Spaß. Und auch sonst nicht. Allzuoft konnte er mit dieser Masche nicht reisen.
Jedenfalls, diesmal hatte es wieder geklappt. Jetzt kam es nur darauf an, mit gutem Wind hier loszukommen. Er hatte als Kurt Schreiber, Diplomingenieur, im fünften Stock bei Frau Weber ein möbliertes Zimmer gemietet. Natürlich bildete sie sich ein, daß er sie heiraten würde, obwohl er kein Wort darüber hatte verlauten lassen, nein, so dumm war er bestimmt nicht mehr. Er hatte nicht vor, noch ein einziges Mal wegen Heiratsschwindel zu sitzen.
Immerhin, in Notzeiten war die Fürsorge eines liebenden Weibes recht angenehm, vor allem billig. Nur bekam man bald die Nase voll davon. Außerdem war ein möbliertes Zimmer in München-Solln keine Ausgangsbasis. Jedenfalls nicht für ihn und seine Pläne. Er mußte Schluß machen, es war höchste Zeit. Er hoffte von Herzen, daß Frau Weber schlief, aber als sie, kaum daß er die Wohnungstür aufgeschlossen hatte, aus ihrem Schlafzimmer gestürzt kam, zeigte er sich nicht im geringsten überrascht.
»Guten Abend, Ruthchen!« sagte er fröhlich.
Ruth Weber war, wenn sie gut angezogen und zurechtgemacht das Haus verließ, eine sehr anziehende und hübsche Frau, der man ihre zweiundvierzig Jahre kaum ansehen konnte. Jetzt, mit aufgewickeltem Haar und in einem schäbigen Morgenrock, wirkte sie wie eine alte Vogelscheuche, jedenfalls nach Torstens herzloser Feststellung. Trotzdem küßte er ihr mit lächelnder Zärtlichkeit die Hand.
»Kurt! Wo bist du gewesen?« fragte sie heftig. »Ich habe die ganze Zeit …«
»Es tut mir leid, Ruthchen, daß du auf mich gewartet hast!« Sein Gesicht verlor nichts von seinem lächelnden Gleichmut.
»Du hättest doch wenigstens anrufen können!«
»Es gibt Situationen, Ruthchen … Aber davon versteht ihr Frauen nun einmal nichts. Bitte, sei so lieb und mach mir eine Tasse schönen, starken Kaffee!« Er sah auf seine Armbanduhr. »Um ein Uhr dreiundzwanzig geht mein Zug!«
»Dein — was?«
»Mein Zug, Ruthchen. Es wäre mir lieb, wenn du dich beeilen würdest, damit du mir noch beim Kofferpacken helfen kannst.«
»Du willst — fort?!«
»Ich muß, Ruthchen, ich muß.«
»Aber — du hast mir doch versprochen —«
»Aber, Schäfchen, daran ändert sich doch nichts! Weshalb, glaubst du wohl, fahre ich weg? Um die Dinge zu beschleunigen!«
»Du kommst also wieder?«
Er war an ihr vorbei in sein Zimmer, einem kleinen, mit alten Möbeln vollgestopften Raum, gegangen. Sie folgte ihm auf dem Fuß.
»Natürlich komme ich wieder, Ruthchen«, sagte er gleichgültig. »Was hast du denn von mir gedacht?« Er zog einen großen schweinsledernen Koffer vom Schrank.
»Wann?« fragte sie.
»Komm, Ruthchen, sei lieb, mache mir eine Tasse Kaffee, dann können wir alles in Ruhe besprechen.«
»In Ruhe? Wenn dein Zug in einer knappen Stunde geht?«
»Na eben. Deshalb bleibt keine Zeit mehr, uns zu zanken, obwohl du darin — das muß ich dir gestehen, Ruthchen — eine wahre Meisterin bist.« Durch die Zähne pfeifend, begann er sehr sorgfältig, seinen zweiten Anzug in den Koffer zu legen. Sie wollte ihn zwingen, sie anzusehen, und packte ihn beim Arm.
»Na, na!« sagte er nur und schüttelte sie ab wie ein lästiges Insekt.
»Du glaubst also, du kannst einfach hier verschwinden, was?«
»Einfach habe ich mir das nicht vorgestellt«, erwiderte er ungerührt. »Ich war mir vollkommen klar, daß du dir diese Gelegenheit zu einer Szene nicht entgehen lassen würdest.«
»Wann kommst du wieder?« fragte sie heftig.
»Wenn du es genau wissen willst — am ersten März des nächsten Jahres. Bist du jetzt zufrieden?«
»Nein. Ich will wissen, wohin du gehst!«
»Ich gehe