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      Lise Gast

      Geschichten vom Pferdehof

      Saga

      Geschichten vom Pferdehof

      German

      © 1995 Lise Gast

      Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

      All rights reserved

      ISBN: 9788711509425

      1. Ebook-Auflage, 2016

      Format: EPUB 3.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

      Penny und der Zirkus

      Tante Trullala! Tante Trullala! Musch ist gekommen!“ schrie Penny. Tante Trullala, die in der Küche stand, trocknete sich die Hände an der Schürze ab.

      „Das kann doch nicht wahr sein! Die Ferien fangen doch erst übermorgen an!“

      „Ja, bei uns, aber bei Musch vielleicht eher!“ Sie raste hinaus, drehte sich aber noch einmal um.

      „Und weißt du, mit wem sie kommt? Mit Rupert!“ Ja, ich kam mit Rupert. Rupert, unser großer Freund, hatte mich zu Hause abgeholt.

      „Musch fährt doch sicherlich in den Herbstferien nach Hohenstaufen, da kann ich sie hinbringen und dort absetzen“, hatte er gesagt, als er Mutter begrüßte. Und als Mutter einwandte, ich hätte noch zwei Tage Schule, bat er sofort: „Bitte, bitte, die darf sie doch blaumachen! Es wäre zu schön, wenn ich sie hinfahren könnte!“

      Wer kann Rupert widerstehen?! Ich glaube, niemand. Selbst Vater wickelte er ein, als wir mit unserer Bitte kamen, mich doch bei meiner Klassenlehrerin zu entschuldigen.

      Bei der haben wir Englisch, und weil ich in Englisch so miserabel stand, hatte Mutter vor einem Jahr eine wundervolle Idee: Sie nahm sich ein englisches Au-pair-Mädchen, das heißt eine junge Engländerin, die gern Deutsch lernen wollte. Die sollte ihr im Haushalt und bei den jüngeren von uns Geschwistern helfen. Seit einem Jahr ist sie nun bei uns, und ich darf nur englisch mit ihr reden, und sie mit uns nur deutsch. Anfangs ging das überhaupt nicht, aber wir haben uns daran gewöhnt, und dann haben Helen und ich noch etwas erfunden, damit ich nicht nur Englisch sprechen, sondern auch schreiben lernte: Sie diktierte mir die Briefe an ihre Eltern deutsch, und ich schrieb sie englisch. Für jeden Fehler mußte ich ihr fünf Pfennig von meinem Taschengeld zahlen. Da hab’ ich es gelernt. Und nun bin ich in Englisch wirklich gut, hatte einen Zweier im Zeugnis, der nach oben zeigt – einen Einser hat keine von uns –, und bin natürlich bei unserer Lehrerin dicke da. So sagte sie nur: Ja, ja, ob denn die Halsschmerzen schlimm wären, und Vater sagte, man steckte da ja nicht drin, aber sprechen könnte Ursula fast gar nicht und schlucken auch nur schlecht ...

      Es hatte an dem Tag dicke weiße Bohnen gegeben, die rutschen bei mir überhaupt nicht, auch wenn ich putzgesund bin. Also! Ich bekam die zwei Tage frei und durfte mit Rupert nach Hohenstaufen fahren, wo ich jede Ferien bin. Diese Freude!

      Rupert ist unser Freund, Pennys und meiner. Er hat uns Reitstunden gegeben und ist mit uns kutschiert, und ein geborgtes Lama, das wir damals hatten, hat ihn einmal furchtbar vollgespuckt; und ein anderes Mal hat er uns gerettet, als wir uns Silvester im Schneesturm verlaufen hatten. Er ist schon alt, bestimmt über zwanzig, aber er kann wunderbar lustig sein und Dummheiten machen und vor allem den Mund halten, wenn was los ist, was die Erwachsenen nicht gerade hören müssen.

      Insofern ist er wirklich prima, denn die älteren Leute petzen doch früher oder später – na, er also nicht. Diesmal kam er überraschend zu uns, als er mich abholen wollte, und ich erkannte ihn erst gar nicht, das wird mir Penny niemals glauben. Er trug eine sehr schöne Jeansjacke mit silbernen Nieten und dazu verblichene Hosen, beides wunderbar, aber ...

      Ja, er hatte lange Locken. Dunkle Locken, die ihm bis auf die Schultern fielen und das Gesicht einrahmten, und eine riesengroße schwarze Brille. Wie er so dastand und ich ihm die Etagentür aufmachte, wußte ich wahrhaftig nicht, wer es war.

      „Was möchten Sie?“ fragte ich deshalb, und er sagte mit verstellter Stimme: „Sie abholen, gnädiges Fräulein.“

      Ich hätte ihm beinahe einen Vogel gezeigt. Aber ich dachte eben, es wäre ein Fremder, und so sagte ich nur: „Verzeihung, ich hole meine Mutter.“

      Wir waren gerade beim Essen, und Mutter kam sowieso über den Flur, um was zu holen, Salz oder was weiß ich, und sie fragte genau wie ich, was er wolle. Da nahm er die schwarze Brille ab und rief: „April April!“, obwohl doch Ende September war, aber da erkannten wir ihn im selben Augenblick.

      „Rupert, nein, wie schön, kommen Sie herein!“ rief Mutter, und er kam herein und nahm Mutter in den Arm und drückte sie – das hatte er sonst nie getan.

      „Nanu?“ staunte die Mutter, aber er sagte: „Bitte, draußen steht es ja“, und wir wußten zunächst beide nicht, was er meinte. Er zeigte es uns.

      Die Klingel an unserer Flurtür geht manchmal nicht, und da hatte Til, mein ältester Bruder – er ist aber jünger als ich –, einen Zettel angemacht: „Kräftig drücken!“

      „Bitte, das hab’ ich also getan. Und nun kommst du dran, Musch“, sagte Rupert und wollte mich mit seinen langen Armen umschlingen, aber ich riß aus.

      „Nein!“ schrie ich und flüchtete in die Ecke des Flures. Rupert tat, als wäre er sehr traurig darüber.

      „Liebst du mich nicht mehr? Dabei bin ich doch dein Blutsbruder!“

      „Ja, das schon. Aber ...“

      „Na, was denn?“ fragte er. Es war nicht sehr hell im Flur, sonst hätte ich an seinen Augen schon gesehen, daß er Spaß machte. „Was stört dich denn?“

      „Stören – es ist mir nur so fremd. Damals hattest du noch keine ...“ Ich verstummte. Sicherlich fand er seine Locken sehr schön. Das finden alle, die sich welche wachsen lassen, ob es nun Mode ist oder nicht. Man muß sich ja nicht immer nach der Mode richten ...

      „Ach so. Ich verstehe. Du liebst mich nur als kurzgeschorenen Schafbock nach der Schur“, sagte er und stellte sich betrübt. „Da muß ich also unters Messer.“

      „Aber ...“, stotterte ich. Ich fand es wirklich scheußlich, aber das konnte ich doch nicht sagen. In diesem Augenblick machte Vater die Wohnzimmertür auf, und die schräge Herbstsonne fiel direkt auf Rupert.

      „Für dich tu’ ich alles“, sagte er, griff nach seinem Kopf und nahm – ich dachte, ich seh’ nicht recht – die ganze Lockenpracht herunter wie eine Mütze. Darunter kamen seine richtigen Haare zutage – er hat gar nicht schwarze, sondern rotbraune, eine sehr hübsche Farbe –, und die dunkle Lockenpracht war nur eine Perücke gewesen.

      Wir lachten alle, Vater und Mutter und ich und Til und die Zwillinge, die jetzt aus dem Wohnzimmer kamen; und der Kleine, der im hohen Stühlchen am Tisch saß, krähte auch, als ob er es verstünde, vergnügt und übermütig, und haute mit seinem Löffel ins Apfelmus, daß es spritzte. So führte sich Rupert diesmal bei uns ein, und das fand ich wieder herrlich und ganz so, wie er immer ist. Es wurde sofort ein Stuhl für ihn geholt und zwischen unsere an den Tisch geschoben, und Rupert mußte mitessen, was er mit Vergnügen tat.

      „Denn ich komme weit, weit her“, sagte er und nannte die nächste Stadt, die ungefähr fünfunddreißig Kilometer von uns entfernt ist, aber er tat, als sei es Südafrika gewesen, „und ich will noch weit, noch weiter sogar, bis Hohenstaufen, und dort eine alte Freundin von mir besuchen, die heißt Penny ...“

      Na, da wußte ich, was er vorhatte, und die Eltern merkten es natürlich auch. Aber, wie gesagt, Rupert widersteht niemand, und so durfte ich mit. Und jetzt waren wir in Hohenstaufen angekommen, bei Tante Trullala und Onkel Albrecht, dem Töpfermeister und

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