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      Sie gingen zusammen in die Küche. Die Ottilie war längst fertig hier, alles stand und hing fein säuberlich und rein da, als wäre es nur zum Angucken gemacht. Überhaupt, diese Küche! Christiane liebte sie, und das kam keineswegs nur davon, daß es hier immer einmal etwas zu schnabulieren oder auszulecken gab, nein! Schon der Raum allein – hoch und gewölbt wie eine Kapelle und mit einem richtigen Rauchfang darin! Wo gab es das denn sonst noch, einen Rauchfang in der Küche, wo man, wenn man an einer Schnur zog, ein kleines Stückchen Himmel sehen konnte? Und außerdem – und weiter ...

      Die Küche war ein Märchenreich für sich, das stand außer jedem Zweifel. Da gab es einen uralten, schweren Mörser, in dem Großmutter in der Zeit vor Weihnachten Gewürze zerstampfte – ach, alle Pfefferkuchen schmeckten anders, wenn sie solche gestampften Gewürze zu schlucken bekamen. Sie waren nicht zu vergleichen mit gekauften oder mit solchen, die andere Leute backten, andere Leute, die keinen Mörser besaßen, sondern den Zimt und die Nelken, in Pulverform gekauft, lieblos in den Teig warfen. Schon allein, wenn man nach Gramm abwog! Gramm, gut genug, um nüchterne, langweilige Geschäftsbriefe danach auf ihr Übergewicht hin zu prüfen – für Pfefferkuchen mußten es Quentchen sein oder Prisen oder ein Spürlein, oh, und keine Hand konnte so mischen, so kneten, so formen wie Großmutters! Wenn sie die Schübe des Gewürzschränkchens aufzog und man den Duft spürte, der daraus stieg ...

      Es gab auch sonst noch unzählige Herrlichkeiten in dieser Küche. Die Puddingform – aus blankem, tiefbraunem Kupfer und geformt wie ein Fisch, aber nicht wie ein gewöhnlicher Fisch, sondern einer mit einem Gesicht, gleichzeitig schön und gruslig –, das Holz des Tisches, blütenweiß und vom vielen Scheuern anzufühlen wie Samt, die Kaffeebüchse mit Bildern darauf ringsherum ...

      Die Großmutter hatte das Flämmchen des Spirituskochers entzündet, nun stellte sie den kleinen blanken Kessel darauf. Er fing sogleich an zu singen, und dann klingelte die hauchdünne chinesische Tasse, aus der nur Großvater trinken durfte. Sie hatte einen goldgerandeten Deckel, den man umgedreht auf den Tisch legen konnte, um den Kaffeefilter darauf abzustellen. Eine Tasse mit Deckel – wahrhaftig, auch das gab es nur hier. Christiane sah Großmutters weißen, ein wenig welken Händen zu, wie sie hantierten, heute wie jeden Tag um diese Stunde, und atmete den Duft, gemischt aus Kaffee, Spiritus und der leisen, sauberen Feuchtigkeit, die aus den gescheuerten Dielen stieg.

      „So, fertig, hier ist noch das Knusperle, und wie ist es, magst du auch eins?”

      Großmutter hatte die Tasse, auf der der Filter mit dem Kaffee noch stand, auf das kleine schwarze Lacktablett mit den silbernen Reihern gestellt, den Deckel daneben. Auf ein winziges Schälchen mit grünem Rand kam das Knusperle, eines jener würzig duftenden Honigplätzchen, die Großmutter in einer runden, gepreßten Blechbüchse aus Nürnberg aufbewahrte. Christiane ließ das andere, das ihr gehörte, auf der Zunge zergehen, während sie das Tablett nahm.

      „Ich schmeiß’ es schon nicht hin”, sagte sie und lächelte Großmutter zu. O nein, sie würde, wenn sich nicht gerade ein Abgrund vor ihren Füßen auftat, dieses Tablett bestimmt ungefährdet und sicher hinaufbringen zu Großvater. Sie tat das jeden Tag und hätte es niemandem anders überlassen, wenn sie nicht gerade sterbenskrank war. Denn dieses Kaffeetablett war ein „Sesam-öffne-dich”, es erschloß ihr jeden Tag eine Viertelstunde Großvaters Reich.

      Am allerschönsten von der Welt war es natürlich bei Großmutter, darüber konnte es keinen Zweifel geben. Aber am zweitschönsten bestimmt in Großvaters Atelier, und dadurch, daß man nur so kurz hineindurfte, bekamen diese Besuche noch einen ganz besonderen Reiz.

      Das Atelier lag im ersten Stock des breiten, weißen Hauses, das eigentlich ein Schlößchen war, jedenfalls sagten manche Leute das. Und seit Christiane Bilder von anderen Schlössern gesehen hatte, aus Dresden oder Berlin oder Stuttgart, fand sie das nur berechtigt. Diese Schlösser waren ja viel eher nur Häuser, ja, manche hatten nicht einmal den mindesten Garten um sich, geschweige denn solch einen Park wie hier. –

      Wenn man die breite, sanftgeschwungene Treppe mit den niedrigen Stufen emporstieg und dann geradeaus ging, kam man zu Großvaters Reich. Man klopfte – und das Herz klopfte auch stets in diesem Augenblick schneller als sonst, und das kam bestimmt nicht vom Treppensteigen – und horchte auf das „Bitte”. Dann öffnete man behutsam die Tür.

      Ein großer und weiter Raum lag da vor einem, leer oder so gut wie leer. An einer der Schmalseiten stand die niedrige Couch, eigentlich nicht viel mehr als eine Matratze auf Füßen, mit einer Decke darauf, und daneben ein winziges Tischchen. Ringsum an den Wänden lehnten Bilder, mit der Rückseite nach vorn. Und in der Mitte stand die Hauptsache, die Staffelei, das war alles.

      Es war so wenig für den weiten Raum, daß die Schritte hallten, wenn man darin ging, so, wie sie es in leeren Zimmern tun. Aber es gehörte dazu. Christiane setzte die Füße vorsichtig und ging hinüber zu dem Tischchen, stellte das Tablett hin und hob den Filter von der Tasse. Stets war der Kaffee gerade ganz durchgelaufen; sie goß Milch zu und ließ ein Stück Zucker hineinplumpsen.

      „Ausgeschlafen, Großvater? Der Kaffee ist da.”

      Der Großvater blinzelte, wie er so lag, meist auf der Seite, einen Arm unter dem Gesicht. Er konnte aussehen wie ein Junge, wenn er so lag – man brauchte sich nur vorzustellen, daß das weiße, dichte Haar, das in seine Stirn fiel, hellblond sei.

      „Schön, mein Spatz. Ist er auch heiß?”

      „So heiß wie die Hölle, Großvater!”

      Er setzte sich auf, schob die Haare mit dem Handrücken aus der Stirn und hatte in diesem Augenblick die tiefblausten Augen der Welt. So blau waren sie sonst nie, sie wechselten überhaupt immer. Und dann hob er die Tasse an den Mund.

      Großvaters Art, sich versorgen und verwöhnen zu lassen, war vielleicht das Liebste an ihm. Er konnte sich so freuen. Jeden Tag wieder staunte er über den herrlichen Kaffee, den er bekam, jeden Tag entzückte er sich an dem Knusperle. Und es war kein Theater, es war wirklich so.

      „Weißt du”, sagte er einmal zu Christiane, als sie ihn danach fragte, „ich habe so oft erlebt, daß nichts in der Welt sicher, nichts beständig ist – ich habe ein großes, mächtiges Reich stürzen sehen und Gut und Geld zerrinnen, da wird man dankbar für alles, was der Tag einem bringt. Für jede Tasse Kaffee und jeden Keks, nach Mandeln und Zitronat duftend – zumal wenn ihn einem eine so schöne junge Frau bringt!” setzte er neckend hinzu. Christiane lachte.

      Der spannendste Augenblick aber kam erst. Großvater steckte sich eine seiner stricknadeldünnen, süß riechenden Zigaretten an, die in einem länglichen Holzkästchen auf dem Tisch standen, stand auf und reckte sich.

      „Komm, Spatz”, pflegte er zu sagen, legte eine Hand um Christianes Nacken und ging mit ihr rasch und nun ganz wach – wie ein Krieger, dachte Christiane immer – auf die Staffelei zu. Es war immer wieder atemberaubend, wenn er das Tuch abhob.

      „Oh, Großvater!”

      Christiane stand ganz still. Es war, als leuchtete das Bild von innen heraus, das sie heute sah – es war neu, sie hatte es noch nirgends als Zeichnung oder Skizze gesehen. Aber es war schon ziemlich weit.

      Eine Waldwiese, still und versteckt zwischen den schwarzen Tannen. Man fühlte die Sonne, die darauf brannte, man roch und schmeckte den Duft der Nadelbäume. Und mitten zwischen den hohen und etwas düsteren Tannen ein Meer von Farben: Fingerhüte. Christiane kannte sie, diese oft mannshohen, fingerdicken Stengel mit den strahlend-bunten Blüten, die wie Fingerhüte aussehen. Da gab es Gelb und Rot, Lila und Zartblau, da verschwendete die Sonne ihren Glanz auf Weiß und Rosa, daß es fast blendete. Christiane fuhr sich mit dem Arm über die Augen.

      „Großvater ...”

      „Na? Was ist das, mein kleiner Spatz?”

      „Der Sommer, Großvater”, sagte Christiane und atmete tief aus. „Der Sommer – mit den Bienen und den Hummeln und dem warmen Wind – und wenn man die Augen zumacht, denkt man, man fliegt davon in den Himmel. Der ist so blau, ganz, ganz blau, mit weißen Wattewolken ...”

      Auf dem Bild war

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