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mal an und lächelten. Er saß schräg hinter mir neben Sofia.

      Unsere Lehrerin versetzt uns jeden Monat und bemüht sich, Jungs neben Mädchen zu setzen.

      „So ist es mir am ruhigsten“, sagt sie dann.

      Neben Stefan habe ich seit dem Herbst in der Vierten nicht mehr gesessen. Damals war er so kindisch und bekloppt, daß ich froh war, als der Monat zu Ende war. Jetzt würde es mein glücklichster Monat sein, wenn ich neben ihm sitzen dürfte. Ein bißchen eifersüchtig war ich auf Sofia, die den Platz neben ihm hatte, aber sie ging ja mit Richard, und deshalb mußte ich mir nicht allzu viele Gedanken machen. Ich glaube, sie hat ihn im Januar gefragt, ob sie miteinander gehen sollten, sie feiern bald ihr Zweimonatiges. Ich glaube, daß Richard genauso ein Laschi ist wie Stefan. Total lasch!

      Nichts war los. Ich schickte ihm über Desirée Zettel. Da standen so Sachen drauf wie: Was hattest du in der Englischaufgabe? Was mußt du diese Woche für die Klavierstunde üben? Was machst du am Wochenende?

      Eine Antwort bekam ich immer, aber das war es dann auch. Schließlich waren es Desirée und Ulrika, die es anpackten. Sie beschlossen, daß wir uns küssen sollten. Ich und Stefan, Sofia und Richard.

      Als Termin wurde der 22. März festgesetzt.

      Der Kusstag!

      Es war wieder so ein Matschtag. Grau, verhangen, mit schmutzigem Schnee. Ich bin früh aufgewacht. Mama und Papa wollten wissen, was um alles in der Welt ich in dieser Herrgottsfrühe triebe.

      „Herzlichen Glückwunsch!“ meinte Papa.

      Ich fühlte mich überhaupt nicht munter. Ich hatte die ganze Nacht kein Auge zugemacht. Ich hatte Schmetterlinge im Bauch. Ich war wohl aufgeregt.

      Wir sollten es im Keller tun. Wir in der Mittelstufe sind die einzigen, die im alten Schulhaus geblieben sind. Die Grundschule und die Oberstufe sind in neuen Backsteingebäuden untergebracht, aber wir sind noch in einem alten grautrüben Holzhaus. Im Keller ist das Musikzimmer für die Klavierschüler. Vor dem Musikzimmer sollte es geschehen. In der großen Pause.

      Es kam aber an diesem Tag nicht dazu.

      Wir hatten nämlich keine Pause.

      Wir hatten Besuch von ein paar Typen, die über WAHNsinn redeten, das heißt, Weder Alkohol, Heroin noch Nikotin macht Sinn.

      Ich war tatsächlich halb wahnsinnig, denn nach der Stunde ging gleich der Bus.

      Er fährt mit dem Schulbus, Stefan. Er wohnt sechs Kilometer außerhalb der Ortschaft, nicht weit von Mathilda.

      „Wir verschieben es auf morgen“, sagte Desirée.

      Wir hatten ihr und Ulrika versprochen, zuschauen zu dürfen. Sie selbst hatten Sofia und mir versprochen, daß sie es keinem anderen erzählen würden. Sechs waren wir also, die wußten, was ablaufen würde.

      Am nächsten Tag sollte es losgehen, am letzten Tag vor den Osterferien, am Gründonnerstag.

      Ich zog mich grün an; grüne Hose und ein grünes T-Shirt, und ich war noch aufgeregter als gestern.

      Am Vormittag hatten wir Mathe, Sachunterricht und Englisch. Nur in Englisch bin ich einigermaßen gut.

      Love was on my mind.

      This steht auf meinen Fingern, und wenn ich sie hebe, kann man lesen: This is his. Auf der Rückseite der Finger steht: Name, und in der Handfläche Stefan.

      Wir bekamen mittags Hamburger, weil es der letzte Tag vor den Ferien war. Dann hatten wir Musik. Wir machten ein Musikquiz. Nur ich erkannte Den Phantoma.

      You are my angel of music.

      Und dann endlich der Kussaugenblick.

      Richard und Stefan standen mit Desirée und Ulrika schon da, als Sofia und ich kamen.

      Ja, dann standen wir alle sechs da und quatschten eine Weile, bis Desirée sagte: „Legt doch endlich los!“

      Und das haben wir dann getan.

      Wir haben uns zum ersten Mal geküßt, Stefan und ich.

      Als ich klein war, habe ich manchmal an Papa gezeigt, wie sie sich im Fernsehen küssen.

      Da habe ich den Mund weit aufgerissen und die Augen fest zugemacht.

      Papa war entzückt aber auch entsetzt. „So was lernen die Kinder von diesen idiotischen Vorabendserien. Was für ein Bild von den Erwachsenen bekommen sie da nur!“ sagte er immer.

      In dem Sommer, als ich neun war, liefen drei solche Serien im Fernsehen. Sallad, Tserc Moclaf und Eitsanyd.

      Das heißt, wenn man die Wörter rückwärts liest, das habe ich damals nämlich immer getan. Meistens habe ich versucht, Wörter und Ausdrücke zu finden, die man in beide Richtungen lesen kann, wie Anna und Otto oder Lagerregal.

      Aber eigentlich wollte ich doch von Soapoperas erzählen.

      „Eitsanyd klingt wie ein Gift“, meinte Papa. Und das stimmt wohl.

      „Du darfst nur die sehen, die wie ein russisches Volksmärchen klingen“, sagte Mama.

      Das war natürlich Tserc Moclaf. Nur Falcom Crest durfte ich anschauen, und Mama saß dann immer dabei und schaute auch.

      Jedenfalls habe ich gelernt, wie sie sich im Fernsehen küssen! Aber Stefan küssen hatte nicht das Geringste mit einer Fernsehserie zu tun.

      Er hat mir sein Gesicht entgegengestreckt (er hat tatsächlich die Augen zugemacht), und dann haben wir uns geküßt. Die Nasen sind auch zusammengestoßen. Er hat seinen Mund genau auf meinen gesetzt. Er war etwas naß, aber weich. Ich konnte bis fünf zählen, bevor wir fertig waren. Mein Herz hat schon ein paar extra Schläge geschlagen, und mir wurde ganz trocken im Hals. Aber nun hatten wir es getan.

      Dann kam Ostern, und ich würde ihn zehn Tage lang, also mindestens 240 Stunden lang, nicht sehen.

      Er hatte aber versprochen zu schreiben.

      Er ist mit seinen Eltern in die Berge gefahren, um Ski zu fahren. Sie haben eine Hütte in Borgafjäll.

      Und so wurden meine Osterferien:

      Die ganzen Feiertage über hatten wir Besuch. Kent und Gunbritt waren da und mit ihnen ihr neugieriger Junge, der neun ist und sich immer danach sehnt, zu uns zu fahren und mich zu treffen. Neun Jahre ist er! Ich bin zwölf! Aber das spannen Mama und Papa nicht, und ich finde es total öde, mit einem Knilch wie Johann zu „spielen“.

      Die Feiertage waren jedenfalls total tote Hose.

      Dann kamen die Ferien, und da habe ich nur Gewartet.

      Auf Briefe, Karten, auf irgendeine Mitteilung habe ich gewartet. Jeden Tag habe ich gehofft, habe am Küchenfenster gesessen und nach dem Briefträger geschaut. Zu uns kommt er erst gegen halb elf, ich aber war immer schon um neun auf und habe gewartet.

      „Worauf wartest du denn?“ wollte Papa wissen. Er war auch zu Hause. Er ist oft zu Hause, weil er Künstler ist. Im Keller hat er ein Zimmer mit Farben, einer Staffelei und einer Unmenge Bilder. Die meisten stellen Häuser dar, auch wenn einige davon etwas seltsam aussehen.

      „Auf nichts“, antwortete ich.

      Dann hat er einen Becher Kaffee auf der Küchenbank getrunken und ist wieder zu seinen Häusern nach unten gegangen.

      Aber ich habe gewartet. Und Warten kann etwas Schönes sein. Spannend war es allemal. Ich habe immer gedacht: Heute wird es kommen.

      Wenn man aber so denkt: Es wird heute bestimmt auch nicht kommen, dann ist das Warten nicht schön.

      Heute kommt es, dachte ich.

      „Man muß positiv denken“, sagt Mama immer. Das bedeutet, daß man fest daran glaubt, daß alles irgendwie klappen wird.

      Als ich klein war und ganz ängstlich, habe ich Mama manchmal darum gebeten, mich zu „überreden“. Ja, so habe ich es genannt. Am meisten sollte sie mich überreden,

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