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      Manuel Ortega

      Der Ring des Kardinals

      Spanischer Detektivroman

      Autorisiert

      Vierte Auflage

      Saga

      1. Kapitel.

      Es war die sechste Abendstunde, die soeben die grosse Glocke der gewaltigen Kathedrale von Sevilla verkündet hatte. Leise zitterte ihr dumpf verhallender Ton über die Plaza Prim hin, an deren Ostseite die „Casa Ororjo“, ein vielbesuchtes kleines, besonders von den gewählten Herrenkreisen der Stadt bevorzugtes Café liegt, das jene im Süden Europas häufig vorkommende Verbindung von Kaffeehaus und Speisewirtschaft darstellt.

      Die vor dem Café aufgestellten Tisch- und Stuhlreihen waren schon dicht besetzt, denn es war die Stunde, in der man eine appetitanreizende Erfrischung in Gestalt irgend einer hellfarbigen Limonade, eines Eises oder eines Kaffees mit Sirup zu sich nahm und in der man sich traf, um seine Bekannten zu sehen, um Neuigkeiten zu hören, seine Meinungen auszutauschen, zu spielen und vor allen Dingen Zeitungen zu lesen, eine Beschäftigung, welche in den ersten Wochen des Septembermonats 1914 eine Sache von äusserster Wichtigkeit war.

      Beamte, Offiziere, Kaufleute, Börsianer, Journalisten, Künstler und berufsmässige Nichtstuer, die ihre Zeit mit Spiel, Stadtklatsch und Strassenbummeln verbrachten, trafen sich täglich, womöglich mehrere Male, in der „Casa Ororjo“. Das Austauschen von persönlich Wichtigem und Nichtigem war seit Monatsfrist durch die gewaltigen Ereignisse des Weltkrieges völlig in den Hintergrund gedrängt worden und zwar so stark, dass nicht einmal das grösste Stiergefecht des Jahres in dem ungeheuren Amphitheater — der grössten Kampfarena der iberischen Halbinsel, welches mehr als 20 000 Personen fasst — vermochte, sich wie sonst in den Vordergrund der Interessen zu drängen.

      „Ach ja,“ seufzte an einem kleinen Tische, an welchem drei Herren sassen, ein untersetzter, sehniger Mann von echt andalusischem Aussehen, der kokett eine dunkelrote Rose zwischen den Zähnen festgeklemmt hielt und dessen Handbewegungen etwas Weiches und Anmutvolles hatten, „meine Herren, es kommt für uns Espádas sicher noch eine böse Zeit. Dieser entsetzliche Krieg wird uns eines Tages noch alle recht nervös machen, denn niemand hat mehr Interesse für unsereinen. Statt dass jetzt unsere Zeitungen ein bisschen Reklame auch für meine Wenigkeit machen, bringen sie die Bilder des Herrn Joffre und des Kronprinzen von Luxemburg.“

      „Sie irren, teuerster Espáda,“ warf lachend Dr. José Velasco, ein eleganter Mann von geschmeidigem Körperbau ein, dessen grosse, dunkle Augen unruhig hin und her blickten; „Luxemburg hat nämlich eine Grossherzogin als Regentin, die unverheiratet ist. Sie aber meinen das Bild des Kronprinzen von Bayern, der den grossen französischen Vorstoss auf Metz im August abgeschlagen hat. Lieber Escamillo, das ist nun einmal die leidige Gewohnheit der lieben Weltgeschichte, dass sie auf Privatangelegenheiten keinerlei Rücksicht nehmen kann.“

      „Caramba — recaramba, das weiss ich, lieber Doktor,“ gab mit unverhohlenem Aerger der beliebte Stierkämpfer Escamillo XII., mit dem Beinamen „der Schöne“, zurück. „Uebrigens ist Metz inzwischen schon lange von den Franzosen erobert worden und die Engländer stehen seit vorgestern vor Hannover.“

      „Das ist ja alles Unsinn, mein verehrter Freund,“ rief Doktor Velasco und runzelte dabei die Stirn. Er wollte gerade noch etwas hinzusetzen, als eine Anzahl über die Plaza heranstürmender Zeitungsverkäufer, die um die Wette ihre Abendblätter ausriefen, die Aufmerksamkeit der Leute auf sich lenkte.

      „Kurier! — Abendblatt! — Presse! — Nachrichten! — Eilbote! — Kaufen Sie, meine Herren, grosser Sieg des Generalissimus Joffre! Die Deutschen auf der ganzen Linie auf der Flucht! Der Kronprinz von Preussen bei Nancy gefangen genommen! Die Russen vor Breslau! Glänzender Sieg der französischen Offensive! —“

      „Hierher! — Schnell! Mir ein Blatt, mir auch — famos! Grossartig! — Alles dummes Zeug! Schwindel! Börsenmanöver — Lügen der Havas-Reuterdepeschen, das kennen wir!“ So scholl es laut durcheinander, als die einzelnen noch nach Druckerschwärze riechenden, halbfeuchten Exemplare der verschiedenen Zeitungen in die Hände ihrer Käufer gelangt waren.

      Die Unterhaltung wurde lebhafter, an jedem Tische sprach man jetzt über die neuesten Kriegsnachrichten, welche die Abendausgaben der verschiedenen Blätter Sevillas enthielten, ohne dass man sich dabei bemühte, seine persönliche Ansicht und Stellungnahme für oder wider die kämpfenden Nationen zu verbergen.

      „Sehen Sie, Doktor Velasco,“ lachte jetzt triumphierend der Stierkämpfer, „hatte ich nicht vorhin recht mit meiner Behauptung, dass die Deutschen völlig geschlagen seien und überall zurückgehen müssen? Das war ja vorauszusehen, nicht wahr, Herr Ayala?“ Mit diesen Worten wandte sich der Espáda an den dritten am Tische sitzenden, älteren und würdevoll aussehenden Herrn mit einem französisch zugestutzten Knebelbart, der bisher schweigend der Unterhaltung seiner beiden Bekannten zugehört hatte. Señor Ayala war Inspektor in der berühmten staatlichen Tabakfabrik von Sevilla, in der Tausende von Arbeiterinnen mit der Herstellung von Zigarren und Zigaretten beschäftigt sind.

      „Aber sicher, lieber Espáda, wer kann denn da überhaupt noch im Zweifel sein?“ gab mit Würde und der Miene eines Granden Inspektor Ayala zurück, indem er einen missbilligenden Blick auf Dr. Velasco warf.

      „Ja, ja,“ lachte kokett der Stierkämpfer, der inzwischen seine Rose aus dem Munde genommen hatte und dessen Finger mit bewunderungswürdiger Kunstfertigkeit eine Zigarette zu drehen begannen; „mein lieber Doktor, ich weiss, Sie sind ein Deutschenfreund. Ist es nicht so?“

      Der Angeredete lächelte fein.

      „Meine Herren, Sie verkennen mich völlig. Ich sagte nie, dass ich ein Freund Deutschlands wäre. Ich sagte nur, und das wiederhole ich Ihnen auch heute, ich hege eine ausserordentliche Bewunderung für dieses Volk, und ich glaube nicht ein Drittel von dem, was uns die englischen und französischen Nachrichtenbureaus täglich auftischen, und bedauere nur, dass unsere Zeitungen mit wenigen Ausnahmen all dies dumme Zeug gedanken- und unterschiedslos nachdrukken. Sie wissen, meine Herren, mein Beruf als Rechtsanwalt verlangt es, dass ich täglich viele Zeitungen lesen muss, und da erfahre ich denn doch so manches, was zwischen den Zeilen steht und gerade das Gegenteil von dem ist, was die Herren Engländer und Franzosen behaupten.“

      Señor Ayala machte bei diesen Worten ein beleidigtes Gesicht. Er rückte unruhig auf seinem Stuhle hin und her, ergriff das auf dem Tische vor ihm stehende mit einer gelben Flüssigkeit gefüllte Glas, in das er vorher von Zeit zu Zeit einige Eisstückchen hineingeworfen hatte, leerte es auf einen Zug, holte einige Münzen aus der Tasche und warf diese auf die Marmorplatte des Tisches. Dann erhob er sich steif und verabschiedete sich mit gemessener Höflichkeit von seinen Bekannten.

      Dr. Velasco, der inzwischen aus seinem aus Stroh geflochtenen Etui eine kleine Zigarre von nussbrauner Farbe herausgezogen und in Brand gesetzt hatte, klopfte dem Stierkämpfer liebenswürdig auf die Schulter, bot ihm gleichfalls eine Zigarre an und meinte lachend:

      „Nun, Espáda, Sie haben mir heute noch gar nichts über Ihr neuestes galantes Abenteuer erzählt. Wenn auch beinahe die ganze Welt von Krieg und Kriegsgeschrei erfüllt ist, so wollen wir Männer Sevillas doch nicht vergessen, dass es in unserer Stadt auch noch schöne Frauen gibt, denen man den Hof machen muss, he —?“

      Escamillos Augen leuchteten auf, er lachte, so dass seine schönen weissen Zähne blitzten, legte die inzwischen fertig gedrehte Zigarette vorsichtig auf die Tischplatte und betrachtete seine prachtvollen Brillantringe an den wohlgepflegten Fingern.

      „O — o, lieber Doktor, da haben Sie nun recht, die schönen Frauen dürfen wir nicht vergessen; heute weniger denn je.“

      „Vor allem die blonde Inez nicht, die neue Zarzuela-Sängerin im Alcázar-Theater, der Sie seit einigen Tagen auf Tod und Leben den Hof machen.“

      „Woher wissen Sie denn das?“ fragte schnell der Stierkämpfer.

      „Woher ich das weiss? — Nun, sehr einfach, ich bin ja Stammgast in diesem Theater und sehe Sie dort seit einigen Abenden immer in der rechten Orchesterloge auftauchen, wenn die Zarzuelaa) beginnt.“

      „Pst,

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