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Über die Textgeschichte des Römerbriefs. Alexander Goldmann
Читать онлайн.Название Über die Textgeschichte des Römerbriefs
Год выпуска 0
isbn 9783772001062
Автор произведения Alexander Goldmann
Жанр Документальная литература
Серия Texte und Arbeiten zum neutestamentlichen Zeitalter (TANZ)
Издательство Bookwire
Euseb. Hist. Eccl. 3,3,5
Spätere Belege für die Konstanz der Sammlung liefern beispielsweise Kyrill von Jerusalem (um 350)14 und Athanasios von Alexandria (367)15. Letzterer bezeugt in seiner Kanonliste die gleiche Reihenfolge der 14 Briefe (Rm, 1/2 Kor, Gal, Eph, Phil, Kol, 1/2 Thess, Hebr, 1/2 Tim, Tit, Phlm), wie sie auch in den drei ältesten Vollbibeln des 4. Jahrhunderts – Codex Sinaiticus (ℵ), Codex Alexandrinus (A) und Codex Vaticanus (B) – auftaucht.16
Neben der oben angeführten Einmütigkeit der Kirchenväterzitate bzw. der Kanonlisten17 stellen letztlich die neutestamentlichen Handschriften selbst ein gewichtiges Argument für die Existenz der 14-Briefe-Sammlung dar, da die übergroße Mehrheit der ältesten dieser Handschriften18 in Umfang und Reihenfolge der Paulusbriefe exakt übereinstimmen. Eine Ausnahmeerscheinung stellt in gewisser Weise P46 dar. Der Papyruskodex ist das älteste19 handschriftliche Zeugnis einer Sammlung von Paulusbriefen. Damit spielt er in jeder der unterschiedlichen Theorien zur Genese des Corpus Paulinum eine zentrale Rolle. Zwei Besonderheiten sind auffällig: das scheinbare Fehlen der Pastoralbriefe und die Stellung des Hebräerbriefes. Auf beide Phänomene soll hier kurz eingegangen werden.
Die Annahme, dass die Pastoralbriefe in P46 fehlten, gründet sich auf der Beobachtung, dass der Text des (einlagigen) Kodex bei 1 Thess 5,28 abbricht. Die letzten Seiten fehlen also. Ob diese fehlenden Seiten ausreichten, um neben 2 Thess und Phlm auch Platz für die drei Pastoralbriefe zu bieten, ist in der Forschung strittig bzw. wird letztlich offen gelassen.20 Allerdings konnte DUFF zuletzt aufzeigen, dass P46 mit einiger Wahrscheinlichkeit tatsächlich alle kanonischen Paulusbriefe beinhaltete (oder beinhalten sollte) – auch die Pastoralbriefe.21
Die zweite Besonderheit betrifft den Hebräerbrief. In den meisten bekannten Manuskripten findet er sich entweder zwischen den Gemeindebriefen und denen an Einzelpersonen (konkret dann also zwischen 2 Thess und 1 Tim)22 oder aber ganz am Ende der Sammlung (also nach Phlm).23 In P46 taucht er dagegen bereits an zweiter Position (also zwischen Rm und 1 Kor) auf – eine Stellung, die sich sonst nirgends wiederfinden lässt. Diese variierende Stellung des Hebräerbriefes24 deutet darauf hin, dass der Text gleichsam eine Sonderstellung innerhalb des Corpus Paulinum einnimmt. Denn für keinen der anderen 13 Briefe lässt sich ein ähnlicher Befund ausmachen. TROBISCH erklärt daher den Hebr als einen späteren (sekundären) Anhang.25 Unstrittig ist, dass die Authentizität des Hebräerbriefes bereits früh in Frage gestellt wurde. Dies belegen die zahlreichen patristischen Diskurse über den Hebräerbrief.26 Allerdings muss die Infragestellung der paulinischen Verfasserschaft nicht zwingend auf die Existenz einer Vorstufe der 14-Briefe-Sammlung hindeuten, die ohne den Hebr auskam.27
Fazit: Im 2. Jh. existieren also (mindestens) zwei Sammlungen von Paulusbriefen. Es sind die beiden frühesten Fixpunkte, auf die sich die Forschung mit hinreichender Sicherheit berufen kann: die 10-Briefe-Sammlung und die 14-Briefe-Sammlung.28 Einigkeit besteht darin, dass diese beiden Textsammlungen in einem literarischen Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen. Unklar bleibt zunächst jedoch, wie dieses literarische Abhängigkeitsverhältnis tatsächlich aussieht. Diese Frage spielte in der bisherigen Forschungsgeschichte jedoch nur eine marginale Rolle. Denn im Kontext der Forschungen zu Marcion und seinen Texten wurde der Fokus vornehmlich auf das Verhältnis des durch Marcion bezeugten Evangeliums und des kanonischen Lukasevangeliums gelegt.29 Die dabei entwickelten drei möglichen Optionen lassen sich allerdings unschwer auf die Frage nach dem literarischen Abhängigkeitsverhältnis der beiden Briefsammlungen zueinander übertragen (Übersicht 1):
A1 | Die 10-Briefe-Sammlung stellt eine redaktionelle Bearbeitung (in erster Linie eine Verkürzung) der 14-Briefe-Sammlung dar. In der Evangelienforschung ist diese Annahme als Patristic-Hypothesis bzw. (in Anlehnung an ihre wirkmächtigsten Verfechter) als Zahn/Harnack-Hypothese bekannt.30 |
A2 | Die 14-Briefe-Sammlung stellt eine redaktionelle Bearbeitung (in erster Linie eine Erweiterung) der 10-Briefe-Sammlung dar. Diese Option wird in der Frage nach dem redaktionellen Verhältnis des durch Marcion bezeugten Evangeliums und des kanonischen Lukasevangeliums als Schwegler-Hypothese bezeichnet.31 |
A3 | Beide Sammlungen gehen auf eine gemeinsame Vorlage zurück, die unabhängig voneinander und in ganz unterschiedlicher Weise redaktionell bearbeitet wurde. Die Evangelienforschung kennt diese Möglichkeit als Semler-Hypothese.32 |
Übersicht 1: Möglichkeiten des Abhängigkeitsverhältnisses zwischen 10- und 14-Briefe-Sammlung
2.2. Die Priorität der 10-Briefe-Sammlung
Die heuristische Grundlage der vorliegenden Arbeit liefert KLINGHARDTs ausführliche und umfangreiche Arbeit zum Evangelium innerhalb der durch Marcion bezeugten Bibelausgabe. Hinsichtlich des redaktionellen Verhältnisses zum kanonischen Lukasevangelium konnte er nachweisen, dass – entgegen der Lesart der Häresiologen – der durch Marcion bezeugte Evangelientext (Mcn) nicht als redaktionelle Verkürzung des Lukasevangeliums (Lk), sondern vielmehr Lk als eine redaktionelle Überarbeitung von Mcn zu verstehen ist. Dieses anonyme, durch Marcion bezeugte, proto-lukanische Evangelium (Mcn) stellt somit das älteste uns bekannte Evangelium dar.1 HEILMANN bemerkt in diesem Zusammenhang treffend, dass diese Erkenntnis „auch die Koordinaten für die weitere Erforschung der Sammlung der paulinischen Briefe im 1. und 2. Jh.“2 verändert. Es ist nun also zu überprüfen, in welcher Weise das tatsächlich der Fall ist. Mit anderen Worten: Ist das, was für das durch Marcion bezeugte Evangelium nachgewiesen werden konnte, auch auf die Paulusbriefe übertragbar? Legen also die textlichen Differenzen zwischen der 10-Briefe-Sammlung und der 14-Briefe-Sammlung der Paulusbriefe nahe, dass Letztere als (vornehmlich) ergänzende Überarbeitung der Ersteren zu verstehen ist? Lässt sich möglicherweise ein übergreifendes, kohärentes redaktionelles Konzept dieser Überarbeitung plausibilisieren?
Aufgrund der Bedeutung für den Argumentationsgang der vorliegenden Arbeit werden die von KLINGHARDT ausführlich dargelegten Argumente hier noch einmal kurz repetiert. Gegen die traditionelle Ansicht der Lk-Priorität gegenüber dem durch Marcion bezeugten Evangelientext sprechen demnach v. a. zwei Beobachtungen:
1 „die häufig beobachtete Inkohärenz der angeblichen Bearbeitung Marcions, die sich nicht zu einem erkennbaren redaktionellen Konzept fügt und […]
2 die zahlreichen Berührungen zwischen dem für Mcn durch die Häresiologen direkt bezeugten Text und den Varianten in den kanonischen Lk-Handschriften.“3
Nun stellt sich unweigerlich die Frage, ob die beiden Argumente KLINGHARDTs auch auf den Apostolos zutreffen.
Hinsichtlich der redaktionellen Inkonsistenz einer angenommenen marcionitischen Redaktionstätigkeit wurden schon vielfach Zweifel angemeldet. Bereits Tertullian räumte ein, dass sich in Marcions Text oftmals Passagen befinden, die dessen eigener Theologie eigentlich widersprechen. Die Beweisführung der Häresiologen ist ja genau darauf ausgelegt, solcherlei Inkonsistenzen zwischen Marcions Text und Marcions Theologie aufzuzeigen. Tertullian kann dafür letztlich zahlreiche Beispiele (Textstellen) anführen. Doch genau dies sollte eigentlich stutzig machen. Denn wenn man der Annahme Glauben schenkt, Marcion habe den ihm vorliegenden Text aus theologischen Gründen bearbeitet, so sollte diese Art der Beweisführung eigentlich scheitern. Falls nicht, müsste man Marcions Textrevision zumindest als sehr oberflächlich und mangelhaft ausgeführt verstehen.4 Auf diese Aporie weist Tertullian auch selbst hin, erklärt das Phänomen aber damit, dass Marcion absichtlich einige Textpassagen unberührt ließ, die eigentlich seinen theologischen Motiven entgegenstehen. Demnach wollte Marcion so gleichsam Spuren seiner eigenen Textrevision verwischen5