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aus Sorge um Auseinandersetzungen mit der katholischen Kirche nicht veröffentlichte.

      Ein erster Entwurf der Meditationes war schon gegen 1634 entstanden; 1641 erschien das Werk unter dem Titel Meditationes de Prima Philosophia (Meditationen über die Grundlagen der Philosophie, in denen die Existenz Gottes und die Unsterblichkeit der Seele [von der zweiten Auflage an: die Verschiedenheit der menschlichen Seele vom Körper] bewiesen werden).

      Die Meditationes sind das zentrale philosophische Werk Descartes’, denn in ihm entwickelt er jenen eigenen Ansatz, der als die Begründung des Rationalismus gilt. Vor dem Druck waren sie über Mersenne einer Reihe renommierter Fachleute mit der Bitte um Stellungnahme zugegangen. Diese Einwände stammen neben zwei Sammelberichten, die Mersenne zusammengestellt hatte, von dem Theologen De Kater (Caterus, um 1590–1655), der die Gottesbeweise kritisierte, dem englischen Philosophen Thomas Hobbes, der in seiner materialistischen Seelentheorie die völlige Gegenposition zu Descartes und dessen Unterscheidung von Seele und Körper vertrat, dem Theologen Antoine Arnauld (1612–1694), der sich vor allem mit theologischen Problemen auseinandersetzte, und dem empiristischen Philosophen Pierre Gassendi (1592–1655), der sich gegen Descartes’ These von den eingeborenen Ideen wandte; in der zweiten Auflage von 1642 wurden Kritiken von Pater Pierre Bourdin (1595–1653) hinzugefügt. Sie alle wurden, ergänzt um Entgegnungen Descartes’, zusammen mit den Meditationes gedruckt.

      [25]Dass die neue Grundlegung nicht nur philosophische Erwägungen zu tragen vermag, sollen die 1644 erscheinenden Principia Philosophiae (Prinzipien der Philosophie) zeigen, in denen Descartes – nach einer kurzen Zusammenfassung der Meditationes – den Versuch unternimmt, die ganze Theorie der physischen Welt auf dem neu geschaffenen Fundament aufzubauen. Dasselbe Ziel verfolgt er für eine Theorie der menschlichen Empfindungen und eine Theorie der Funktionsweise des menschlichen Körpers, beide ursprünglich als Teil der Principia geplant, doch erst mit den 1649 erscheinenden Passions de l’Âme (Die Affekte der Seele) und dem postum 1661 veröffentlichten Traité de l’Homme (Abhandlung über den Menschen) verwirklicht.

      Von drei Frankreichreisen abgesehen, lebte Descartes von 1628 bis 1649 in den Niederlanden. Aufgrund einer Einladung der Königin Christine von Schweden (1626–1689), der zu folgen er mehrfach hinauszögerte, die aber immer drängender vorgetragen wurde, reiste er im Herbst 1649 nach Stockholm. Doch die Monarchin war viel zu beschäftigt, um sich der Philosophie zu widmen; erst Mitte Januar des folgenden Jahres fand sie Zeit, sich dreimal die Woche, morgens um fünf Uhr, in Philosophie unterweisen zu lassen. Descartes, von Natur alles andere als ein Frühaufsteher, holte sich zu so nächtlicher und eisiger Stunde eine Lungenentzündung, und da er allen Ärzten misstraute und deren Hilfe von sich wies, starb er nach neun Tagen, am 11. Februar 1650. Dass dies in Wirklichkeit kein natürlicher Tod, sondern ein Mord gewesen sei, heraufbeschworen durch das angespannte Verhältnis von Protestanten und Katholiken am schwedischen Hof, wird immer wieder behauptet, auch wenn die Indizien dafür sehr schwach sein [26]mögen. – Sechzehn Jahre später wurden Descartes’ sterbliche Überreste nach Frankreich überführt. Schon drei Jahre zuvor waren seine Schriften auf den Index gesetzt worden, während sich sein Denken, sein Wissenschaftsverständnis und seine Philosophie über ganz Europa ausbreiteten. Von Holland und dort insbesondere von den Medizinern weitergetragen, erfasste es in einem halben Jahrhundert praktisch alle Universitäten: Der Cartesianismus hatte sich auf dem Kontinent als neue, die Wissenschaften begründende Weltsicht durchgesetzt.

      [27]3 Die Methode der Analyse und Synthese

      Wenn das Ziel des Rationalismus der Erweis der Verstehbarkeit der Welt und insbesondere die Begründung unseres Wissens ist, so bedarf es einer Methode, welche die Sicherheit eines jeden Schrittes gewährleistet. Sie entwickelt zu haben, gilt in der Geschichte der Philosophie als eines der hauptsächlichen Verdienste Descartes’.5 Erst ein methodisches Vorgehen lässt aus einzelnen, isolierten Wissensbeständen eine wissenschaftliche Aussage entstehen. Mehr noch: Wenn Erkenntnis auf richtigem Denken beruht, so werden die Regeln des richtigen Denkens, die Kriterien der Wahrheit und die Methode der Erkenntnisgewinnung und -sicherung zum Zentralproblem schlechthin.

      Das, was Descartes zum Methodenproblem zu sagen hat, ist im Discours de la Méthode bei weitem nicht so konzipiert, wie man angesichts der Bedeutung des methodischen Zugangs hoffen sollte; es empfiehlt sich deshalb, zum besseren Verständnis vom unvollendeten, postum veröffentlichten Frühwerk der Regulae auszugehen.

      3.1 Die Regulae ad directionem ingenii

      Descartes’ methodologische Schrift der Regulae ad directionem ingenii, an der er 1623 und noch einmal 1628 arbeitete, weist hinsichtlich ihrer Deutung in der Literatur in zwei gänzlich verschiedene Richtungen. Während ein größerer Teil der Interpreten in ihr die Vorbereitung jener knappen [28]vier methodischen Regeln erblickt, die Descartes im Discours de la Méthode formulieren sollte, sehen andere einen derart radikalen Umbruch zwischen beiden Schriften, dass Descartes »frühestens im Winter 1628/29 zum Cartesianer wird«, denn die Regulae beruhten »auf Prinzipien, die mit der Philosophie Descartes’ nach 1629 im Widerspruch stehen«.6 Beide Auffassungen haben gute Gründe für sich; da aber Descartes selbst nicht von einem radikalen Bruch spricht, sondern mehr die Kontinuität seines Denkens betont, soll hier der Versuch unternommen werden, eher das Verbindende zu sehen, ohne allerdings die Differenzen beiseiteschieben oder leugnen zu wollen.

      Worum geht es in den Regulae? In ihnen zielt Descartes darauf ab, die so erfolgreiche mathematische (oder geometrische) Methode der Analyse und Synthese auf alle Wissenschaften überhaupt auszudehnen, um damit zu einer völlig neuartigen Einheit aller Erkenntnis in Gestalt einer Mathesis universalis7 zu gelangen. Das ist zunächst nichts Neues, bedeutet es doch nur, dass man, vor ein (geometrisches) Problem gestellt, dieses so lange zerlegt, bis man bei schon Bekanntem und Bewiesenem ankommt. In der nachfolgenden Synthese werden die ursprünglichen Analyseschritte, nun ausgehend vom Bewiesenen, zum Ausgangsproblem zurückverfolgt, und zwar dergestalt, dass diese Synthese ein Beweis ist: An die Stelle der ursprünglichen Frage tritt eine begründete Aussage. Diese Vorgehensweise der Geometrie findet sich in der Scholastik, aufgeteilt in [29]zwei Methoden, die Scientia quia, die ausgehend vom Gegebenen nach den jeweiligen Gründen oder Ursachen fragt, und die auf diese folgende Scientia propter quid, die diese Gründe zu einer Begründung umkehrt. Auch die frühe Neuzeit betont die Bedeutung dieses Vorgehens – so beispielsweise Hobbes. Dennoch setzt Descartes einen neuen Akzent, indem er beide Verfahren zu einer einheitlichen Methode zusammenfügt und sie – stärker als die Scholastik oder Hobbes es taten – in die Nähe ihres Ausgangspunktes, in die Nähe der Mathematik rückt.

      Die Schrift sollte aus drei Teilen zu je zwölf »Regeln zur Ausrichtung der Erkenntniskraft« bestehen. Sie beabsichtigte, die geometrische Algebra zu einer Universalwissenschaft dergestalt zu erweitern, dass unsere Erkenntniskraft (ingenium) »über alles, was es gibt, zuverlässige und wahre Urteile«8 zustande bringt. Denn »Alles Wissen ist sichere und evidente Erkenntnis«9. Das, wodurch die Erkenntniskraft geleitet werden soll, ist die Methode; Regel IV sagt lapidar: »Zum Untersuchen der Wahrheit der Dinge ist eine Methode notwendig«10.

      Diese soll nicht disziplinspezifisch, sondern universell sein; eben darum begründet sie als ihr Resultat eine Einheit der Erkenntnis. Das aber bildet den entscheidenden neuen Gesichtspunkt, der Descartes von der Scholastik unterscheidet, die er immer wieder zurückweist:11 Richtete sich die scholastische Methode nach dem jeweiligen Gegenstand (wie wir dies heute durchaus wieder für die [30]Einzelwissenschaften in Anspruch nehmen würden), so verlangt Descartes ganz im Gegenteil ein durchgängiges Verfahren, das allen Wissenschaftsdisziplinen gemeinsam sein soll. Instinktiv, meint er, hätten große Talente diese Denkweise früher schon »durchschaut«12; nun aber gelte es, sie solle »die ersten Bestandteile der menschlichen Vernunft enthalten und sich auf Wahrheiten ausdehnen lassen, die aus jedem beliebigen Gegenstand entwickelt werden können«13.

      Hierbei definiert Descartes Methode als

      sichere und einfache Regeln, die jeden, der sie genau befolgt, niemals Falsches als wahr voraussetzen lassen, und ihn, weil er die Anstrengung des Geistes

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