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      Gudbergur Bergsson

      Liebe im Versteck der Seele

      SAGA Egmont

      Liebe im Versteck der Seele

      Aus dem Isländischem von Hans Brückner nach

      Sú kvalda ást sem hugarfylgsnin geyma

      Copyright © 2000, 2017 Gudbergur Bergsson og Lindhardt og Ringhof Forlag A/S

      All rights reserved

      ISBN: 9788711586297

      1. Ebook-Auflage, 2017

      Format: EPUB 3.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach

      Absprache mit Lindhardt og Ringhof gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com

      Dieses Buch ist Gott gewidmet

      Jedes Ereignis in dieser Geschichte ist auf irgendeine Weise real, und alles, was hier niedergeschrieben steht, hat sich irgendwann in mehrfacher Bedeutung ereignet. Wenn daher jemand meint, er erkenne sich in diesem Werk wieder, so ist dies mehr als nur richtig, der Autor hat ihn zweifellos als Vorbild benutzt. Nun ist es nicht unwahrscheinlich, daß das Vorbild meint, es habe ein ausschließliches Recht an sich selbst, und sich dazu veranlaßt sieht, einen Prozeß anzustrengen, und ihn dafür verurteilen lassen will, aber dann soll es bedenken, daß Worte, die gesagt oder geschrieben worden sind, selbst wenn es nur einmal gewesen ist, niemals zurückgenommen werden, und schon gar nicht durch ein Gerichtsurteil oder den Buchstaben des Gesetzes.

Tagebücher

      16. Oktober 1993

      … Es hat mich eine ziemliche Zeit gekostet, ein geeignetes Zimmer zu finden, in dem wir uns treffen konnten, ohne daß es auffiel, denn es mußte in einem Keller sein, so daß man direkt von der Straße aus hineingehen konnte. Es mußte so aussehen, als käme man zufällig auf dem Gehsteig daher, und dann konnte man einfach auf dem Absatz kehrtmachen und verschwinden, als ob einen die Erde verschluckt hätte. Niemand sonst durfte dort wohnen, die Leute in Kellern haben kein Verständnis, sondern nur Neugier für die Situation derer übrig, die unter den gleichen Umständen wohnen wie sie selbst, und sie verachten sie innerlich, weil sie es im Leben nicht zu etwas gebracht und ein Haus erworben haben. Solche Leute haben die Angewohnheit, auf jedes Geräusch zu hören, doch sie lassen andere nicht dafür bezahlen, wenn sie über irgendeine Unstimmigkeit stolpern, Diebstahl oder Schwarzbrennerei, Prostitution, Ehebruch oder Schmuggelei. Das hat nichts mit Toleranz zu tun, sondern sie denken, daß sie, wenn sie nur das geringste Zeichen von Verachtung oder Einmischung zeigen, Gefahr liefen, ganz andere Sachen nicht mitzukriegen, etwas viel Übleres, denn bei solch armen Schluckern kann es noch viel schlimmer kommen. In dieser Hinsicht sind sie verständnisvoller als gesunde und anständige Leute. Man könnte glauben, Kellerbewohner seien die letzten Nachfahren der Höhlenbewohner, die Kontakt mit guten und schlechten Erdgeistern hatten, bevor wir zivilisiert wurden und einen sogenannten Menschengeist bekamen. Es sind nicht nur schlechte äußere Umstände, die einen in ein düsteres Loch treiben, um dort zu hausen, es trifft auch eine ganz spezielle Sorte Menschen mit den Wohnungen, die entweder in Kellern oder zu ebener Erde liegen.

      Ich kannte das aus eigener Erfahrung und habe in meiner Schulzeit damit Bekanntschaft gemacht, als ich als Fremder in die Stadt kam. Da wohnte ich in Kellern zur Miete, nicht nur, weil ich wenig Geld zur Verfügung hatte und die Miete billig war, sondern auch, weil ich fast noch ein Erdbewohner im wahrsten Sinne des Wortes war. Seitdem hatte ich immer Sympathie für Kellerleute empfunden, und ich sah mich als ihnen in der Seele verwandt an, obwohl ich mich langsam, aber stetig in der Gesellschaft hochgearbeitet habe, die ich in meinem Herzen verachte, besonders die Ornamente auf ihrer leicht gekräuselten Oberfläche. Dennoch habe ich das gegründet, was man ein trautes Heim nennt, mit großen, hellen und stilvollen Räumen, vier Schlafzimmern und einer perfekt eingerichteten Küche. Das stimmt nicht ganz – keiner kommt im Leben nur aus eigener Kraft voran –, in meinem Fall sind es die Kontakte zu einem Jugendfreund und seinem Wohlstand oder seinem unglücklichen Schicksal, die mein finanzielles Wohlergehen oder Unheil bewirkt haben. So ist alles zu einem Ganzen verflochten, und daher kann es im Leben der Menschen gemeinsam zugrunde gehen.

      Als ich nach einem geeigneten Ort suchte, hatte ich das Gefühl, daß ich beinahe jedes Kellerloch in der Stadt besichtigt und mir keines gefallen hätte. Zuletzt beschloß ich, eine Anzeige wegen einem geräumigen Abstellraum in einem Keller aufzugeben, in der Vorstellung, daß sich doch irgendwo eine alte wohlhabende Witwe verbergen müsse, die nicht mehr gut sah und die beschlossen hatte, das frühere Spielzimmer der Kinder neben der Waschküche, das lange leergestanden hatte, zu vermieten. Anscheinend war mein Bewußtsein zu jener guten Frau geschweift, die seinerzeit an mich vermietet hatte: eine halbblinde Witwe, desinteressiert an ihrem eigenen Aussehen, die nach altem Essen roch, aber eine warme Art hatte und verständnisvoll war, wie solche Frauen eben sein können. Aufgrund sinnloser Prüfungen in der Ehe, des Unglücks ihrer Kinder und der Blindheit der Augen sind sie über Vorurteile erhaben und lieben das Leben aus Gleichgültigkeit, aber nicht, weil sie selbst etwas davon verlangen, ganz im Gegenteil, sie haben schon lange aufgehört, sich etwas vom Dasein zu erwarten, und möchten, daß die, die jünger sind, dieses Leben genießen, das seinem Wesen nach nichts ist, wenn man vom Wesen von etwas sprechen kann, das an und für sich nichts ist, aber zur eigenen Erfüllung unendlich viel von anderen annehmen und so für den Menschen wünschenswert werden kann.

      Nachdem ich zweimal in den Zeitungen annonciert hatte, bekam ich ein schriftliches Angebot. Als ich in das Haus kam, sah mich die alte Frau belustigt und mißtrauisch an und schien nicht ganz zu glauben oder erfreut darüber zu sein, daß ich eine Abstellkammer suchte; sie fragte:

      Brauchst du nicht viel eher eine kleine Wohnung für deine Zwecke? Jetzt ist es leicht, eine zu kriegen. Das macht die schlechte Zeit, die in unserem Verständnis keine schlechte Zeit ist, weil wir die schlechte Zeit gekannt haben, und hoffentlich bist du nicht wie der junge Mann, dem ich einmal letztes Jahr vermietet habe.

      Wie war er? fragte ich, um etwas zu dieser gutmütigen Frau zu sagen, die mir im selben Moment, als ich sie vor mir stehen sah, prima gefallen hatte, etwas beleibt und ständig unbewußt mit den Daumen den Rock an den Seiten glattstreichend.

      Nein, ich rede dummes Zeug, sagte sie und schien sich zu besinnen. Das war nicht jetzt, sondern zu der Zeit, als es fast keine Möglichkeit gab, eine Wohnung zu bekommen, selbst wenn man eine Menge Geld dafür bot. Er nahm das Zimmer hier im Keller, doch sein Zuhause stellte er sich auf seine ganz eigene Weise vor, die etwas speziell war, weil er die Küche im einen Stadtteil mietete, das Schlafzimmer in einem anderen, und den Gang bekam er im Zentrum.

      Sie machte eine Pause, um Atem zu holen, denn sie war kurzatmig.

      Kannst du dir ein solches Arrangement vorstellen? fragte sie.

      Ja, antwortete ich und versuchte aus dem Labyrinth, das dieser Mensch offensichtlich konstruiert hatte, schlau zu werden, und ich war davon überzeugt, daß seine Bauweise etwas Besonderes bedeutete, sogar für mein Leben und für mich selbst.

      Ich hingegen war etwas befremdet, fuhr die Frau fort, und fragte wegen dieser Lebensweise nach, und da sagte er: »Ich puzzle mir das Zuhause auf isländische Art und Weise zusammen; alles ist zu einem unlösbaren Knoten geworden, aber es ist an seinem Platz, und obwohl kein einziges Stück halbwegs zum andern paßt, so hält es vielleicht trotzdem irgendwie zusammen.« So war seine Situation. Alles war vorhanden, aber nichts paßte zusammen, weil jedes Teil ganz für sich war.

      Die alte Frau lachte das tiefe Lachen der Kettenraucherin, und es endete mit einem komischen Knurren und dem Verlangen nach Tabak, den sie sich vorenthalten hatte, solange sie sprach. Sie war erheitert, nicht von dem, was sie sagte, sondern wahrscheinlich von einer ähnlichen Erinnerung aus ihrem eigenen Leben innerhalb dieser vier Wände,

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