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hat­te ich als ver­lieb­ter Töl­pel die­se ver­rä­te­rische Zei­le ge­schrie­ben!

      »So! Du liebst Gret­chen?« fuhr mein On­kel in ech­tem Vor­mün­der­ton fort.

      »Ja … Nein …«, stot­ter­te ich.

      »Du liebst also Gret­chen!« wie­der­hol­te er ma­schi­nen­mä­ßig. »Nun, wen­den wir mein Ver­fah­ren auf das frag­li­che Do­ku­ment an.«

      Mein On­kel war schon wie­der in das Nach­sin­nen, wel­ches ihn ganz in An­spruch nahm, ver­sun­ken, dass er be­reits mei­ne un­vor­sich­ti­gen Wor­te ver­gaß. Ich sage un­vor­sich­ti­gen, denn der Kopf des Ge­lehr­ten konn­te die Her­zens­an­ge­le­gen­hei­ten nicht be­grei­fen. Aber zum Glück hat­te die große An­ge­le­gen­heit des Do­ku­ments das Über­ge­wicht.

      Im Be­griff, sei­nen Haupt­ver­such zu ma­chen, sprüh­ten des Pro­fes­sors Au­gen Blit­ze durch sei­ne Bril­le hin­durch. Mit zit­tern­den Hän­den nahm er das alte Per­ga­ment wie­der zur Hand. Er war von erns­ter Be­we­gung er­grif­fen. End­lich hus­te­te er tüch­tig und dik­tier­te mir mit wür­di­gem Ton, in­dem er der Rei­he nach zu­erst den ers­ten Buch­sta­ben, dann den zwei­ten je­des Wor­tes zu­sam­men­nahm, die fol­gen­den Grup­pen:

       mmes­sun­kaSen­rA.icef­doK.seg­nit­ta­murtn

       ecerts­er­ret­te,ro­taivsa­dua, ednec­sed­sad­ne

       la­cart­nll­luJ­si­ra­tracSarb­mu­ta­bi­led­mek

       me­re­tar­c­si­lu­col­slef­fenSnl

      Als ich sie fer­tig hat­te, war ich, of­fen ge­stan­den in Ge­müts­be­we­gung. In die­sen Buch­sta­ben hat­te ich gar kei­nen Sinn zu er­ken­nen ver­mocht; ich war also dar­auf ge­spannt, des Pro­fes­sors Lip­pen wür­den statt­lich eine Phra­se pracht­vol­len La­teins hö­ren las­sen.

      Aber wer hät­te das ge­dacht! ein hef­ti­ger Faust­schlag er­schüt­ter­te den Tisch, dass die Tin­te em­por­spritz­te, die Fe­der mei­nen Hän­den ent­fiel.

      »Das ist’s nicht!« schrie mein On­kel, »das hat kei­nen Sinn!« Da­rauf stürz­te er rasch wie eine Ku­gel durch das Ka­bi­nett, wie eine La­wi­ne die Trep­pe hin­ab, auf die Kö­nigs­tra­ße und ent­floh aus Lei­bes­kräf­ten.

      »Er ist fort«, rief Mar­tha, die her­bei­ge­lau­fen kam, als er die Haus­tür so hef­tig zu­schlug, dass von dem Schmet­tern das gan­ze Haus er­schüt­tert wur­de.

      »Ja«, er­wi­der­te ich, »ganz und gar fort!«

      »Nun! Und sein Mit­ta­ges­sen?« sag­te die alte Die­ne­rin.

      »Er wird nicht zu Mit­tag spei­sen!«

      »Und sein Abendes­sen?«

      »Er wird auch nicht zu Abend spei­sen!«

      »Wie?« sag­te Mar­tha und rang die Hän­de.

      »Nein, gute Mar­tha, er wird nicht mehr es­sen, und nie­mand im gan­zen Hau­se. Mein On­kel lässt uns alle fas­ten, bis es ihm ge­lingt, ein al­tes Ge­krit­zel, das durch­aus un­le­ser­lich ist, zu ent­zif­fern!«

      »Je­sus! So bleibt uns also nichts, als Hun­gers ster­ben.«

      Ich ge­trau­te nicht, ein­zu­ge­ste­hen, dass bei ei­nem so un­be­ding­ten Mann, wie mei­nem On­kel, dies uns un­ver­meid­lich be­vor­ste­he.

      Ernst­lich be­un­ru­higt be­gab sich die alte Die­ne­rin mit Seuf­zen in ihre Kü­che zu­rück.

      Als ich al­lein war, kam mir der Ge­dan­ke, zu Gret­chen zu ei­len und ihr al­les zu er­zäh­len. Aber wie konn­te ich das Haus ver­las­sen? Der Pro­fes­sor konn­te je­den Au­gen­blick heim­kom­men. Und wenn er nach mir rief? Und wenn er sei­ne En­trät­se­lungs­ar­beit, die man dem al­ten Ödi­pus ver­geb­lich vor­ge­legt ha­ben wür­de, wie­der an­fan­gen woll­te? Und was wür­de es ge­ben, wenn ich auf sein Ru­fen nicht Ant­wort gebe?

      Die alte Dienerin ging stöhnend in ihre Küche zurück. Die alte Dienerin ging stöhnend in ihre Küche zurück.

      Das Klügs­te war, zu blei­ben. Eben hat­te uns ein Mi­ne­ra­log aus Be­sancon eine Samm­lung Klap­per­stei­ne vom Kie­sel­ge­schlecht zu­ge­schickt, wel­che zu klas­si­fi­zie­ren wa­ren. Ich mach­te mich an die Ar­beit. Ich son­der­te aus, mach­te Eti­ket­ten, ord­ne­te in ih­rem Glas­kas­ten alle die hoh­len Stei­ne, worin klei­ne Kris­tal­le ein­ge­schlos­sen wa­ren.

      Aber die­se Tä­tig­keit be­schäf­tig­te mich nicht völ­lig. Das alte Do­ku­ment mach­te mir in den Ge­dan­ken viel zu schaf­fen. Mein Kopf glüh­te, und eine un­be­stimm­te Un­ru­he er­griff mich. Ich ahn­te eine be­vor­ste­hen­de Ka­ta­stro­phe.

      Nach Ver­lauf ei­ner Stun­de wa­ren mei­ne Klap­per­stei­ne ge­ord­net. Da­rauf wieg­te ich mich in dem großen Lehn­stuhl, den Kopf rück­wärts, die Arme bau­melnd. Ich zün­de­te mei­ne Pfei­fe an, de­ren lan­ge krum­me Röh­re am Kopf mit dem Bild ei­ner Nym­phe ge­ziert war, und er­götz­te mich dar­an, die Fort­schrit­te der Ver­koh­lung zu be­ob­ach­ten, wo­durch die Nym­phe zu ei­ner voll­stän­di­gen Ne­ge­rin ge­wor­den war. Von Zeit zu Zeit lausch­te ich, ob sich nicht Trit­te auf der Trep­pe ver­neh­men lie­ßen. Nichts zu hö­ren. Wo moch­te mein On­kel eben sein? Ich sah ihn in Ge­dan­ken die schö­ne Al­lee der Al­to­na­er Stra­ße ent­lang­lau­fen, ges­ti­ku­lie­rend, mit kräf­ti­gem Arm die Kräu­ter zer­schla­gen, Dis­teln köp­fen und die Schwä­ne in ih­rem Frie­den stö­ren.

      Wird er tri­um­phie­rend oder ent­mu­tigt heim­kom­men? Soll­te er das Ge­heim­nis her­aus­be­kom­men ha­ben? So frag­te ich mich und nahm ma­schi­nen­mä­ßig das Blatt Pa­pier in die Hand, wor­auf die von mir ge­schrie­be­nen un­ver­ständ­li­chen Zei­len sich be­fan­den. Ich wie­der­hol­te:

      »Was be­deu­tet dies?«

      Ich ver­such­te die Buch­sta­ben so zu grup­pie­ren, dass sie Wor­te bil­de­ten. Un­mög­lich. Man moch­te sie zu zwei, drei, fünf oder sechs zu­sam­men­stel­len, es kam durch­aus nichts Ver­ständ­li­ches her­aus. Doch ließ sich aus dem vier­zehn­ten, fünf­zehn­ten und sech­zehn­ten Buch­sta­ben das eng­li­sche Wort »ice« bil­den, aus dem vier-, fünf- und sechs­un­dacht­zigs­ten das Wort »sir«. End­lich er­kann­te ich mit­ten in dem Do­ku­ment auf der drei­ßigs­ten Zei­le die la­tei­ni­schen Wör­ter »rota«, »mu­ta­bi­le«, »ira«, »nec«, »atra«.

      »Teu­fel«, dacht’ ich, »die­se letz­te­ren Wör­ter könn­ten wohl mei­nem On­kel Aus­kunft über die Spra­che des Do­ku­ments ge­ben!« Und da sehe ich gar, auf der vier­ten Zei­le noch das Wort »luco«, das einen »hei­li­gen Hain« be­deu­tet. Zwar auf der drit­ten Zei­le ist das Wort »ta­bi­led« zu le­sen, wel­ches ganz he­brä­isch aus­sieht, und auf der letz­ten die Wör­ter »mer«, »arc«, »mère«, die rein fran­zö­sisch sind.

      Dar­über konn­te man den Kopf ver­lie­ren: Vier ver­schie­de­ne Spra­chi­dio­me in ei­ner sinn­lo­sen Phra­se! In wel­chem Zu­sam­men­hang konn­ten die Wör­ter »Eis«, »Herr«, »Zorn«, »grau­sam«, »hei­li­ger Hain«, »wech­selnd«, »Mut­ter«, »Bo­gen«, »Meer« ste­hen? Das letz­te und ers­te al­lein lie­ßen sich leicht an­ein­an­der­rei­hen, es wäre nicht zu ver­wun­dern, wenn

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