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über ein Land, wo alle Straßen enden, menschenleer, über namenlose Flußläufe, über Gebirge, deren Namen so fremd klangen, als lägen sie seit vielen tausend Jahren verschollen und unentdeckt. Und endlich tauchte ein Wort auf der Karte auf: „Jawnie Mountains“.

      Bill und Peer, die Sättlersöhne, hielten den Atem an. In ihren Augen erwachte ein Leuchten, aber sie wagten kein Wort, bevor nicht der Vater gesprochen hatte.

      Peter Sattler sprach lange nichts. Er fuhr sich über die Augen und versuchte zu lächeln. „Wäre ich allein wie du, Mac, und um zehn Jahre jünger, dann machte ich vielleicht auch diesen Job noch mit.“ Er blickte auf seine Familie, doch er fand nur bei seiner Frau zögernde Zustimmung.

      Bill konnte sich nicht länger mehr zurückhalten. „Die Idee des Chief ist ungeheuer, Vater!“ stieß er erregt hervor.

      Peer, der jüngere Bruder, nickte heftig. „Du hast oft davon gesprochen, wie schön es wäre, selber ein freier, unabhängiger Rancher zu sein!“

      Mac Lean schlug dem Jungen kräftig auf die Schulter. „Das ist ein Wort, Peer! Du kannst besser werben als der alte Mac.“

      Peter Sattler nahm alles noch nicht ernst. Er legte seine Arme um Bärbi, die Frau, und das Mädchen Rossy. „Ach, was die Jungen daherreden! Am liebsten ritten sie gleich weiter bis nach Alaska zu den Goldsuchern und Pelzjägern. Ich habe aber auch Frauen, für die ich sorgen muß.“

      Rossy blickte zu ihrem Vater auf. „Wir gehen überallhin mit dir, Dad. Stimmt es, Mammy?“

      Frau Sattler sah den Schimmer einer tief vergrabenen Sehnsucht in den Augen des Mannes aufleuchten. Darum hielt sie sich keinen Augenblick zurück und nickte: „Rossy hat recht. Wir gehen mit dem Vater, wohin er will!“

      Mac Lean schlug sich vor Freude auf seine ledernen Schenkel. „Hallo, hallo, alter Bär! Du willst wohl nicht allein an dem verdammten Arrow Lake zurückbleiben, he?“

      Nein, das wollte Peter Sattler gewiß nicht. Nun ritt er seit zwei Jahren hinter den vieltausend Rindern über die Weiden von Perkins & Sons. Was hatte er dabei herausgeschlagen? Kaum ein paar tausend Dollar auf der Bank in Nelson, obwohl jetzt auch die Söhne mitverdienten und die Frau die Wäscherei für alle zwanzig Cowboys übernommen hatte. Wenn er nicht bald einen besseren Job fand, wurde er hier alt und müde und durfte nur auf eine geringe Rente für sein Alter hoffen.

      Aber hier in Broadwater brauchte man ihn und seine Familie wenigstens das ganze Jahr hindurch. Er durfte nicht an die bitteren ersten Winter zurückdenken, in denen er arbeitslos gewesen war. Sollte er diese geringe Sicherheit wegen einer unkontrollierbaren Zeitungsmeldung aufgeben?

      Bill spürte, daß er den Vater schon halb gewonnen hatte. „Wir Männer sind stark genug, daß wir uns ein eigenes Blockhaus bauen. Und du sagtest ja oft: wieder einmal ein eigenes Haus besitzen!“

      Peter Sattler lächelte jetzt nicht mehr verwundert und nachsichtig über soviel Eifer der Seinen. Wie ein lange unterdrückter Feuersturm brannte der Kummer seines Lebens wieder herauf. Er hatte als selbständiger Bauer seine Jugend im fernen Europa verlebt, war vertrieben worden von Heimatböden und Land und durfte nie mehr zurück. Es gab für ihn nur eine Zukunft: in Kanada eine neue Existenz aufbauen! Er war als Farmarbeiter, als Holzfäller, als Cowboy immer weiter nach Westen gekommen. Zu einem selbständigen Betrieb aber reichte es nicht.

      Die Kinder waren alle drei in Kanada geboren. Sie fanden überall rasch Heimat, wohin sie auch zogen. Aber manchmal an den Abenden begann der Vater von einer wirklichen Heimat zu erzählen, eigenem Haus und Feld, eigenen Kühen und Pferden – einer Burg, aus der einen niemand vertreiben konnte. Dann wurde seine Stimme warm, und die Kinder fühlten die Bewegung des Vaters mit heimlichem Beben. Sie begannen zu ahnen, daß jenseits der unbeschwerten Jugend noch viel Großes und Hartes auf sie wartete. Dann befiel Bill und Peer ein wilder Mut, alle verschlossenen Tore vor ihrem Leben aufzustoßen.

      Peter Sattlers Stimme war spröde geworden. „Du kannst wie ein Rattenfänger reden, Mac! Aber du hast einiges nur angedeutet, was du in deinem kantigen Schädel als Pläne herumwälzt. Nun ist es soweit, daß du uns alles sagen mußt!“

      Über das lederfaltige Gesicht des Chefs der Cowboys bei Perkins & Sons legte sich ein breites Grinsen. „Sogleich sollst du alles hören, Bär. Aber du siehst es ja, die Deinen sind schon so Feuer und Flamme, daß man kaum zum Reden kommt. Sie fassen eben viel rascher auf als du old Europäer!“

      Er leckte mit der Zunge über seine Lippen. Frau Bärbi verstand diese Geste sofort und brachte aus der Küche eine Flasche Ale, helles Dünnbier, das jede Woche aus Trail auf die Viehfarm gebracht wurde. Die Petrolgaslampe zischte leise, während George Mac Lean seinen großen Plan ausbreitete.

      Mac Lean besaß in seinen Adern noch das unruhige Blut der ersten Pioniere, die vor hundert Jahren nach dem äußersten Westen der Staaten in einem monatelangen Treck gekommen waren. Seine Wiege stand in Wenatchee im Staate Washington. Nach der Schulzeit kam er auf ein großes Handelskontor in Seattle, und eine solide Zukunft als Überseekaufmann bahnte sich an. Auf einer Autoreise über den Alaska Highway bis nach Fairbanks aber erlag er der Verlockung des Nordens. Er ging nach Kanada, verschiffte Getreide, fällte Holz und landete zuletzt als Chef der Cowboys bei Perkins & Sons, die insgesamt stets über zwanzigtausend Rinder auf den Weiden hatten.

      Aber auch dieses Jobs wurde Mac Lean allmählich überdrüssig. Er war genug geritten und hatte das Lasso über stürmende Stierherden geschwungen. Nun wollte er endlich einmal auf eigenen Beinen stehen! Hier im Süden von British Columbia war schon jede Quadratmeile Land vermessen und aufgeteilt. Doch droben im Nordwesten, im hochgelegenen, kühlen Land zwischen Rocky Mountains und Küstengebirge lag immer noch der „letzte Rand der Welt“. Einst waren die Indianer alleinige Herren dieser Territorien gewesen. Allmählich schoben sich einige weiße Ranchers in das Sumpf- und Weideland westlich des reißenden Fraser River vor. Doch sie wurden von der unerhörten Weite des Landes verschluckt. Und weil das Leben zweihundert und dreihundert Kilometer von der letzten fahrbaren Straße entfernt hart und einsam war, gab es nur geringen Nachschub. Selbst die Indianer, die Kluskus und Chilcotin, die Nazkos und Ulgatchos, wurden von dem angenehmeren Leben in der Nähe der Zivilisation angelockt, verließen ihre Wildnis und zogen als Arbeiter und Cowboys in die Rancher- und Holzfällersiedlungen der Weißen . . .

      Mac Lean nahm wieder einen Trunk aus der Flasche. „Glaubt ihr mir nun, daß das Land dort oben auf uns wartet? Wir brauchen nichts zu tun, als bis zur letzten Ranch zu reisen und die nächste herrenlose Viehweide für uns in Besitz zu nehmen. Der Kaufpreis ist niedrig, und die Behörden tragen unsern Kauf mit Freuden in das Grundbuch von Quesnel oder Williams Lake ein.“

      Mac Leans Plan gewann allmählich Farbe und Gestalt. „Allein bin ich ziemlich hilflos und verwildere bald. Aber mit dir und deiner Familie schaffen wir dort oben sogar eine Stadt, wenn es sein muß!“

      Bill und Peer standen während Macs Erzählung wie im Feuer. Es zuckte in ihren Beinen, in ihren Händen kribbelte es, als müßten sie schon morgen einen Pfad durch die Tannendikkichte der Jawnie-Berge schlagen, und dahinter lagen die Weiden, durch deren Gras die Pferde „bis zum Bauch“ waten mußten.

      Rossy blickte fragend auf ihre Mutter. Mein Gott, sie wird mich doch auch mitkommen lassen und mich nicht wegen der Schule nach Nelson verbannen! dachte sie. Irgendwo würde es auch dort oben eine Schule geben. Und sonst – ach, Rossy fand, daß sie eigentlich schon das meiste wußte, was man so als Frau zu wissen hatte.

      Mac Lean hörte endlich zu berichten auf und hob den Kopf. „Unsere Kündigungsfrist ist vierzehn Tage. Wenn wir uns morgen bei Perkins and Sons abmelden, können wir am ersten Juli reisen!“

      Peter Sattler saß immer noch wie betäubt da. Wenn er auch im ersten Feuer des Begreifens den Weg zu seinem ersehnten Ziel – wieder ein freier, ungebundener Bauer, ein Rancher, zu werden – vor sich gesehen hatte, so versank dieser doch bald wieder hinter den grauen Nebeln der Ungewißheit und der Lebenssorgen.

      „Du sprichst ja, als wartete dort oben schon jedermann auf uns! Man brauchte nur ins Magazin zu gehen um Werkzeug, in den Drugstore um Lebensmittel, und es würde uns auch dies noch nachgetragen

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