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qualmende Feuerstellen, hielten die Hände über die wärmenden Flammen. Von dort, wo sich die Cross Street mit der Orange Street kreuzte und zusammen mit der Anthony Street den menschenfressenden Molloch Five Points bildete, hallte das Lärmen unzähliger Menschen. Wenn Hells Kitchen ein Herz hatte, fand man es dort. Wie ein eiterndes Geschwür, kalt und schwarz, aber immerwährend schlagend.

      Sie konnte spüren, wie es in den Straßen brodelte. Der Bürgerkrieg ging ins zweite Jahr und zehrte die Gemüter aus. Ein blutrünstiger Vampir, der die Iren direkt von den Schiffen für die Front verpflichtete, während an den Ladekränen die Särge der Gefallenen hingen, um an unbekannten Orten hastig verscharrt zu werden. Das düstere Gespenst Krieg breitete seine Schwingen über Hells Kitchen aus und machte die einfachsten Dinge unbezahlbar. Bredica fühlte, dass sich die Gangs diese Zustände nicht mehr lang gefallen lassen würden.

      Zu Lakrimas Lebzeiten genoss ihre Familie in den von Migranten und Halsabschneidern bevölkerten Straßen ein hohes Ansehen. Doch nun, kaum ein halbes Jahr nach Mutters Tod, hatten sich viele Türen verschlossen. Sie galten als beschmutzt und Unglück bringend, wie die Raben, die hier allgegenwärtig auf den Dächern hockten, die aber keiner wollte. Manche wechselten gar die Straßenseite oder spuckten aus, wenn Bredica ihnen entgegenkam. Teufelsbrut war da noch einer der nettesten Namen, die man ihr hinterherschrie. Inzwischen hatte sie sich an die Beschimpfungen gewöhnt, an die Verachtung, die man ihr entgegenbrachte, jedoch nicht.

      Ein verbissener Zug umspielte Bredicas Lippen, als sie aus der Seitengasse ins geschäftige Treiben hinaustrat, denn sie wusste, dass jeder hier der Mörder ihrer Mutter sein konnte. Betrunkene torkelten aus einer der unzähligen Taverns und fingen Schlägereien an. Ihre aufgedunsenen Gesichter waren rot und fleckig. Eine Tür öffnete sich und für einen Moment tönte Klaviergeklimper auf die Straße hinaus, dazu das Lachen ordinärer Weiber, die ihre ungewaschenen Körper für ein paar Pennys verkauften.

      Im Dämmerlicht der fauchenden Gaslaternen wurde sie zum Schatten, der zwischen vorzeitig gealterten Häusern, deren Augen zerbrochene oder geflickte Scheiben waren, im Zwielicht verschwand. Hier war es besser, nicht gesehen zu werden, denn es gab zu viele, die noch Rechnungen mit ihrer Familie offen hatten. Viel Leid wurde ihrer Mutter zugeschrieben – abgesehen von den Eskapaden ihres Vaters, wenn der Alkohol ihn aus dem Haus trieb. Viele Frauen hatten sich von ihr Beistand erbettelt, dass ihre Männer und Söhne bald aus dem Krieg zurückkehren würden. Schwefelhölzer wurden entflammt und Sprüche gewoben. Niemand hörte auf die Warnung ihrer Mutter, die vor dem unerbittlichen Schicksal und das man nie wissen konnte, welchen Preis die Kräfte forderten, warnte. Als die Männer dann in grob gezimmerten Holzkisten oder in Säcke eingenäht zurückkehrten, gaben sie ihr die Schuld an dem großen Unglück.

      Bredica mochte nicht weiter darüber nachdenken, denn je mehr sie es tat, desto größer wuchsen die Zweifel an dem, was ihre Mutter getan hatte. Unbemerkt huschte sie zwischen Bergen aus Unrat und Abfall dahin, wich einem schief stehenden Telegrafenmast aus, und –

      Ein klappriger Junge von höchstens zehn Jahren sprang ihr aus einem der zerbrochenen Fenster in den Rücken. Bredica stürzte in den rußschwarzen Schnee. Zwei weitere krochen blass wie Maden aus Kellerfenstern hervor und versetzten ihr ein paar Tritte, noch ehe sie den auf ihrem Rücken abzuschütteln vermochte. Ein kurzer Pfiff ertönte, und die Burschen ließen von ihr ab, blieben aber in ihrer Nähe, bereit, erneut auf sie einzudringen.

      Bredica rappelte sich auf und schlang ihre Arme fest um den Sack. Man hatte ihr aufgelauert, ihr eine Falle gestellt. Voller Angst erinnerte sie sich an das Schicksal ihrer Mutter.

      Im Licht der Gaslaternen überlange Schatten werfend, traten sechs Jungen in ihrem Alter vor sie hin. Ihre an den Seiten blau gestreiften Hosen und die dunklen, langschößigen Jacken wiesen sie als Mitglieder der Roach Guards aus. Einer Bande, welche das Viertel zwischen Cross und Mulberry kontrollierte, nicht jedoch Five Points selbst.

      Verdammte, irische Kakerlaken ...

      Einer der Jungs, ein langer Kerl mit Zylinder auf dem Kopf, trat an sie heran. »Bredica, Bredica, Bredica ... so düster und schön wie die Nacht.« Er verbeugte sich in einer überschwänglich beleidigenden Geste vor Bredica, die geschlagen am Boden lag. »Du hast uns doch sicher was mitgebracht, ist es nicht so?«

      Sein Atem roch nach faulen Zähnen und billigem Fusel, wehte ihr entgegen, als sie die dargebotene Hand annahm, die ihr auf die Beine half. Sie saß in der Falle. Hinter ihr die Kinder, rechts das niedergebrannte Haus einer illegalen Destillerie, zur Straße hin ein Haufen übelriechenden Unrats, den sie, wenn sie jetzt einen Fehler machte, bald mit ihrem niedergestochenen Leichnam bereichern würde. Sie sah sich vergeblich nach Beistand um. »Ich ... ich weiß nicht, was du meinst, Marty Brennan.«

      Brennan war einer der Unterführer der Roach’s und für die Strauchdiebe zuständig. Fiese kleine Mistkerle, die weder Gefühl noch Anstand kannten, abgekauft von Waisenhäusern. Brennan konnte man durchaus für einen netten Kerl halten, wenn man ihn nicht kannte. Seine Ohrfeige warf ihren Kopf zur Seite, sie hatte den Schlag weder kommen sehen noch mit ihm gerechnet. Bredica zischte wütend auf, wich einen Schritt vor dem Jungen zurück, der ein Rasiermesser zückte. Die Finger brannten rot auf ihrer Wange nach. »Verdammt, Marty, du weißt doch ...«

      Das Messer zerschnitt vor ihrem Gesicht spielerisch die Luft. »Deine Mutter ist nicht mehr, Süße ... hat übertrieben mit dem, was sie tat, kam einigen in die Quere damit ...« Er trat an sie heran. »Niemand mehr da, der dich schützt.«

      Bredica konnte nicht ausweichen, denn die Kinder waren direkt hinter ihr. Sie hatte gesehen, zu was die fähig waren. Zugleich entfachten Brennans Worte eine bittere Wut, die ihre Angst vor der Klinge wegspülte. »Weißt du was darüber, ja? Wer hat sich an ihr gestört? Sag’s mir!«

      Brennan verzog das Gesicht zu einem hinterhältigen Lächeln und legte ihr die Klinge auf die Wange, ohne sie zu schneiden. Die geringste Bewegung würde allerdings ausreichen, um ihre Haut zu öffnen. »Ich sollte dir das Gesicht zerschneiden ... nach allem, was sie uns angetan hat!«

      Bredica verließ der Mut. Sie wurde starr vor Angst, denn Brennan hatte recht. Ihre Mutter hatte den Leuten von Five Points Leid zugefügt. Hatte die empfindsame Seele, die unter der verrohten Schale steckte, mit ihren Schwefelholzbündeln aufgeschlitzt, wie es gleich Brennans Rasiermesser mit ihrem Gesicht machen würde.

      »Wir könnten in die Ruine gehen, könnt mich dort ein wenig um dich kümmern«, startete sie einen verzweifelten Versuch, in der Hoffnung, ihn doch zum Reden zu bringen. »Wenn das deine Zunge lockert ...«

      »Nichts für ungut, Bredica«, hauchte ihr Brennan branntweinig ins Gesicht, »bist ’n hübsches Ding, aber mit einer wie dir lass ich mich nicht ein ...« Er blickte über die Schulter zu seinem Gefolge. »Am Ende beißt sie mir noch den Schwanz ab!«

      Raues Gelächter.

      »Mach sie endlich alle«, rief einer.

      »Ich würd sie ficken, auch wenn sie kalt is’«, kam’s von einem anderen.

      Brennan schüttelte jedoch den Kopf. »So einfach isses nicht.« Er stieß Bredica grob gegen die Wand, dass ihr ganz anders wurde. »Ich will da mal was wissen ... Kannst du das auch, was deine Mutter konnte? Man munkelt da ziemlich schräge Dinge ... vom Teufel und so.«

      Sie rieb sich den schmerzenden Hinterkopf, den sie sich an einem hervorstehenden Nagel angeschlagen hatte. Zwischen ihren Fingern wurde es warm und klebrig. »Ich war gelehrig, also, ja ...«, gab sie zu, was sowieso jeder wusste.

      Und ob sie es konnte, wenn nicht sogar besser als ihre Mutter, weil sie jung war und unverbraucht. Weil ihre Seele unberührt war wie frisch geschlagene Milch. »Aber du musst dich nicht sorgen«, setzte sie schnell nach, damit es ihr nicht so erging, wie ihrer Mutter. »Wenn du mir sagst, was du weißt!«

      Brennans Blick glitt anzüglich an ihr herunter, blieb an ihren Stiefelchen haften. »Nette Schuhe hast du da ... sag, schenkst du sie mir?«

      Die Aussicht, nur in Strümpfen durch den Schnee der eiskalten Nacht zu laufen, ließ sie eilig den Kopf schütteln. »Das sind die Einzigen, die ich habe ... das, was mir von Mama geblieben ist.«

      »Vergiss

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