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schrieb, dass sie sehr lange habe suchen müssen, bis sie seine neue Adresse gefunden habe. Sie habe damals nach dem Urlaub an der Nordsee vor sieben Jahren ein Kind zur Welt gebracht. Du bist der Vater dieses Jungen, schrieb sie weiter.

      Daniel las diesen einen Satz immer wieder. Danach folgte nur noch die Bitte, sie in Davos zu besuchen. Sie sei krank und zu einer Kur dort.

      Daniel ließ den Briefbogen sinken. Er war völlig durcheinander. Anjuta hatte ein Kind von ihm zur Welt gebracht. Warum in aller Welt hatte sie ihn damals nicht davon unterrichtet?

      Doch dann erinnerte er sich auch wieder an das, was sie beim Abschied vereinbart hatten: einander nie mehr wiedersehen. Denn Anja war die Tochter eines steinreichen Hamburger Reeders. Und der hätte einen armen Betriebswirt niemals als Schwiegersohn akzeptiert.

      Ich war damals siebenundzwanzig, rechnete Daniel nach, und gerade mit meinem Studium fertig. Es war für ihn nicht einfach gewesen, sich dieses Studium selbst zu verdienen. Denn er war Vollwaise gewesen.

      Niemand hatte ihn unterstützen können. Aber er hatte es trotzdem geschafft, sein Diplom zu machen. Und er hatte die Prüfung sogar mit Auszeichnung bestanden. Um sich selbst dafür zu belohnen, war er an die Nordsee gefahren und hatte Urlaub gemacht. Während dieses Urlaubs hatte er Anjuta kennengelernt und sich Hals über Kopf in sie verliebt. Sie hatte seine Gefühle erwidert und ihm alles geschenkt, ihre Zärtlichkeit und ihre Liebe. Es waren wunderschöne Tage gewesen, voller Romantik und Poesie. Und der Abschied war schmerzhaft gewesen. Aber er hatte sich an sein Versprechen gehalten und nie mehr versucht, Anjuta wiederzusehen. Auch dann nicht, als ihm unverhofft die Erbschaft in München zugefallen war. Kurz darauf hatte er dann Carsta kennengelernt und geheiratet. Zu dieser Zeit war Carsta noch ein unbekanntes kleines Filmsternchen gewesen.

      Daniel las Anjutas Brief noch einmal. Was kann sie bewogen haben, mich gerade jetzt wiedersehen zu wollen?, fragte er sich. Ihre Krankheit?

      Er wusste nicht, was er tun sollte Nach Davos fahren? Das kann ich nicht, dachte er. Es ist Carsta gegenüber nicht fair. Aber war Carsta denn ihm gegenüber fair?

      Einen ganzen Tag lang kämpfte Daniel mit sich. Während er mit seinen Angestellten sprach, neue Vorschläge prüfte und telefonierte, kehrten seine Gedanken immer wieder zu Anjutas Brief zurück. Was sollte er tun?

      Daniel ließ noch einen Tag vergehen. Der dritte Tag war ausgefüllt mit Besprechungen und Konferenzen, sodass er auch da keine Zeit zu einer Entscheidung fand.

      Am vierten Tag entschloss er sich, Anjutas Brief zwar zu beantworten, aber nicht nach Davos zu fahren. Ich will von meiner Seite aus nichts tun, was meine Ehe gefährdet, sagte er sich. Auch wenn ich das Gefühl habe, dass Carsta mich nicht mehr liebt oder nie geliebt hat. Vielleicht täusche ich mich. Vielleicht ist unsere Ehe doch noch zu retten.

      Es war ein warmer Sommerabend. Daniel saß vor dem geöffneten Fenster in seinem Arbeitszimmer und begann einen Brief an Anjuta zu schreiben.

      Da läutete es.

      Verwundert blickte er auf. Ich erwarte doch keinen Besuch, dachte er und ging zur Haustür.

      Davor stand der Briefträger mit einem Eilbrief.

      Daniel nahm den Brief, bedankte sich und ging zurück in sein Arbeitszimmer. Der Eilbrief kam von Anjuta.

      Diesmal bat sie ihn flehentlich, um des Kindes willen zu ihr kommen. Aus jedem Wort dieses zweiten Briefes ging hervor, dass sie sehr verzweifelt war.

      Angesichts dieser Situation brachte Daniel es nicht fertig, ihr abzuschreiben. Er zerriss den angefangenen Brief an sie und beschloss, am nächsten Morgen nach Davos zu fahren.

      In dieser Nacht fiel es ihm schwer, Ruhe und Schlaf zu finden. Seine Gedanken eilten immer wieder zu Anjuta und zu seinem Kind, das er nicht einmal kannte. Ein Junge. Er musste inzwischen schon fast sieben Jahre alt sein. Wo wuchs er auf? Bei Anjuta? Fragen über Fragen und keine Antwort. Ich muss warten bis morgen, sagte er sich.

      *

      Daniel Fernau erreichte Davos am späten Nachmittag. Der hochgelegene Luftkurort war überfüllt mit Feriengästen und Touristen. Da er auf jeden Fall eine Nacht bleiben musste, suchte er sich zuerst eine Unterkunft. Erst danach fuhr er zu dem Sanatorium, in dem Anjuta untergebracht war. Er war so nervös, dass er einige Minuten in seinem Auto sitzen bleiben musste, um sich zu beruhigen. Erst dann stieg er aus und ging ins Haus.

      Eine Schwester führte ihn einen endlosen Korridor entlang, von dem unzählige Türen abzweigten. Vor der vorletzten Tür im dritten Stock blieb sie stehen.

      »Das ist das Zimmer von Fräulein Fabricius.«

      »Vielen Dank, Schwester.« Daniel wartete, bis die Schwester sich entfernt hatte. Dann klopfte er. Als keine Antwort kam, drückte er die Klinke herunter und trat ein.

      Zunächst sah er nur ein großes Bett und in den Kissen ein schmales Gesicht. Beim Nähertreten erkannte er sie wieder. Anjuta. Er war mit zwei Schritten an ihrem Bett, sank auf die Kante und drückte sein Gesicht in die durchsichtigen Hände, die sie ihm entgegenstreckte. »Anjuta!«

      Plötzlich war alles, was er jahrelang vergessen gehabt hatte, wieder gegenwärtig. Der sonnige Nordseestrand, die lauen Nächte – und Anjutas Küsse. Nun lag sie hier. Blass, offensichtlich krank und mit Tränen in den Augen.

      »Danke, dass du gekommen bist«, sagte sie leise.

      Daniel schluckte. »Verzeih, dass ich nicht sofort kam.« Er umfasste ihre schmalen Finger mit beiden Händen, als wollte er sie beschützen. Dann schauten die beiden sich lange an.

      Keiner sprach. In Gedanken durchlebten sie beide noch einmal die gemeinsame Zeit vor so vielen Jahren. Wie konnte ich sie nur vergessen?, dachte Daniel. Die Zeit mit ihr war schöner als alles, was danach kam.

      »Du hast dich nicht sehr verändert«, sagte Anjuta leise. »Ich habe sehr oft an dich gedacht, Daniel.«

      Er drückte ihre Hände so sehr, dass es wehtat. »Warum hast du mir nichts von unserem Kind geschrieben, Anjuta?«

      Er sah, dass sie mit den aufsteigenden Tränen kämpfte. »Wie heißt unser Sohn?«, fragte er.

      »Ich weiß es nicht.«

      Er starrte sie an. »Du – weißt es nicht? Aber … er lebt doch?«

      »Auch das kann ich dir nicht bestätigen.«

      »Anjuta!« Es war ein hilfloser Ausruf der Verzweiflung. »Bitte, sag mir die Wahrheit!«

      »Das will ich. Deshalb habe ich dich ja hierhergebeten.«

      Sie begann zu husten und presste schnell ihr Taschentuch vor den Mund. Mit leiser Stimme begann sie dann zu erzählen. »Mein Vater und meine Stiefmutter waren entsetzt, als sie erfuhren, dass ich ein Kind erwartete. Sie verboten mir, dich zu verständigen. Und sie brachten mich weg, damit ja niemand von dieser Schande erfuhr. Eine Fabricius und ein uneheliches Kind! Das war undenkbar.«

      »Wohin brachten sie dich?«, wollte Daniel wissen.

      »An das entgegengesetzte Ende von Deutschland. Möglichst weit weg von Hamburg. Nach Oberbayern. In Rottach-Egern brachte ich mein Kind zur Welt. Aber sie ließen mir den Jungen nur zwei Tage lang. Dann nahmen sie ihn mir weg.« Anjuta presste schnell ein Taschentuch vor den Mund. Diesmal, um das aufsteigende Schluchzen zu unterdrücken.

      Daniel wartete geduldig, bis sie sich wieder gefasst hatte. Erst dann stellte er die Frage, die ihn so brennend interessierte. »Wohin haben sie das Kind gebracht?«

      Anjuta hob hilflos die Schultern und ließ sie wieder sinken. »Ich weiß es nicht. Sie haben es mir nicht gesagt. Und ich konnte es auch bis jetzt nicht herausfinden.« Sie schwieg.

      Daniel war erschüttert. »Hast du es versucht? Ich meine, hast du versucht, den Aufenthaltsort des Kindes zu erfahren? Oder wenigstens, ob es noch lebt?«

      »Ich bin überzeugt, dass mein Kind noch lebt. Wenn es gestorben wäre, hätten sie es mir gesagt. Aber wo es aufwächst, konnte ich nicht herausfinden, sooft

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