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gab es die Unterstellung, sie hätte jemanden decken wollen. Der sich in Luft aufgelöst hatte. Doch wen hätte sie decken sollen? Man war allen möglichen Verdachtsmomenten nachgegangen, weil man nichts in der Hand hatte. Gar nichts.

      »Ich hole dir ein Glas Wasser.« Lars setzte sich in Bewegung.

      Sie sah ihm zu, wie er aus dem Kühlschrank eine Flasche Mineralwasser nahm. Er goss ein Glas voll und kam zu ihr zurück.

      »Hier.«

      »Danke.« Mia trank ein paar Schlucke. Das eiskalte Wasser tat unerwartet gut.

      Sie betrachtete Lars näher. Zarte Lachfältchen krümmten sich um seine Augen. Grüne Augen, ungewöhnlich. Seine Hände, die immer noch die Flasche hielten, waren groß und schwielig mit schmutzigen Rändern unter den Fingernägeln.

      »Was hast du studiert?«, fragte sie.

      »Psychologie. Und du, was machst du?«

      »Ich bin im Moment arbeitslos.«

      »Mist. Aber du findest sicher was. Was bist du denn von Beruf?«

      »Ich habe studiert.«

      Er grinste. »Ist ja nicht ganz falsch.«

      »Kunstgeschichte und Ethnologie.«

      Sein Grinsen wurde breiter. »Ehrlich gesagt, das würde mich auch jucken. Alte Kirchenfresken restaurieren und so.«

      »Ich kann den Schrank nicht nehmen. Ich bin mit dem Rad da. Ich habe kein Auto.«

      »Pass mal auf.« Lars stellte die Flasche zurück in den Kühlschrank. »Ich liefere dir den Schrank nach Hause und stelle ihn dir auf. Ist alles im Preis inbegriffen. Was meinst du?«

      Mia nickte stumm.

      9.

      Sein Sohn hatte den Kontakt vor sechs Jahren abgebrochen. Damals war er 13. Jungs in der Pubertät, das war eine üble Sache, sogar, wenn die Familie intakt war. Bei Scheidungskindern wurde alles noch komplizierter. In seinem Fall kam hinzu, dass seine Ex, davon war er überzeugt, den Jungen gegen ihn aufhetzte, ihm den Kontakt mit dem Vater vergällte. Jakob hatte die Vater-Wochenenden boykottiert, und er, der Erzeuger dieses widerwilligen Kindes, hatte sich gefügt. War ja auch bequem gewesen.

      Dennoch hatte es ihn gewurmt, so vollkommen abgeschrieben zu sein. Doch seit Jakob 18 geworden war, hatte sich dieser wieder für seinen Vater interessiert, und sie hatten sich einige Male getroffen. Nun gut, nicht allzu oft, vier Mal im vergangenen Jahr. Meist am Abend in einer Kneipe. Entweder in Bamberg oder auf dem Land, im Sommer auf einem der vielen Bierkeller, und einmal hatten sie sogar einen Spaziergang in der Fränkischen Schweiz gemacht und anschließend in Ebermannstadt in einem Lokal, das als Geheimtipp gehandelt wurde, gegessen. Seitdem machte er sich Hoffnungen, dass er im Lauf der Zeit mit seinem Sohn eine annähernd normale Beziehung pflegen könnte. Seit einigen Wochen fragte er sich, ob er Jakob erzählen sollte, dass er im Sommer ein Geschwisterchen bekäme. Noch zögerte er. Natürlich würde Jakob diese Neuigkeit brühwarm seiner Mutter weitererzählen. Die würde erneut durchdrehen vor Eifersucht. Wie er das alles satt hatte. Vielleicht war es besser, wenn er seinem Sohn nichts erzählte. Natürlich sprachen sich die Dinge herum, seine Ex würde früher oder später sowieso erfahren, dass er erneut Vater wurde. Bamberg war ein Nest, jeder kannte jeden. Zu gegebener Zeit erführe er wiederum von dem Gift, das die Frau, die er einst geheiratet hatte, in anderer Leute Ohren träufelte.

      Doch jetzt hatte er andere Sorgen.

      Ihm brummte der Kopf. Draußen brach der Frühling los. Die Hecke trug weiße Häubchen. Schlehen und Weißdorn explodierten förmlich, und aus der Wiese spitzten Krokusse. Nur der Wald oberhalb des Hangs wirkte weiterhin winterlich und abweisend. Der Wald. Der Wald. Mein Gott.

      Er rieb sich das Gesicht. Damit würde er leben müssen. Und wie er gedachte zu leben! Und zwar nicht im Knast. Sondern mit Nadja und dem kleinen Hosenscheißer, der in ein paar Monaten zur Welt käme und im dann blühenden Garten in einer Wiege schliefe. So stellte er sich das vor. Und vorher hatte er Nadja ein gemütliches Osterfest versprochen, zu Hause, sie war ja schon so unbeweglich mit dem dicken Bauch. Trotzdem schmückte sie eifrig Haus und Garten. All diese Osterhasen und Eier und sonstiges Zeug lagen ihm nicht so, aber Nadja hatte Spaß dran.

      Jetzt jedoch musste er herausfinden, ob seine Ex Bescheid wusste. Dazu blieb ihm Jakob als einziger Informant. Er würde sich mit dem Jungen treffen. Die ehemaligen Freunde hatte er seit Jahren nicht mehr gesehen, hatte die Beziehungen lange vor der Sache mit Monika auf Eis gelegt.

      Es war besser so.

      10.

      »Okay, wo soll’s hingehen?«

      Lars hatte ruckzuck den Schrank in seine Einzelteile zerlegt und diese mitsamt Mias Fahrrad in seinem Lieferwagen verstaut. Nun sprang er energiegeladen hinters Steuer. Mia stieg auf den Beifahrersitz.

      »Moosstraße.«

      »Ist nicht dein Ernst. Kann man da wohnen?«

      »Gewerbe-Mischgebiet.« Sie hatte sich die Gegend nicht ausgesucht. Nicht freiwillig. Wohnen in Bamberg war teuer geworden, und sie konnte sich nichts leisten, was näher an der Innenstadt lag. In den letzten Monaten hatte sie jedoch die Vorzüge dieser Lage schätzen gelernt. Es gab ein Café mit Konditorei ein paar Meter die Straße runter. Manchmal frühstückte sie da. In der Nähe lag ein Biomarkt. Am Wochenende herrschte Ruhe, Touristen waren in interessanteren Stadtteilen unterwegs. Und es war auf alle Fälle besser, in einer eigenen Wohnung zu wohnen, als bei den Eltern unterzukriechen.

      Lars legte den Gang ein. Der Motor zickte, bevor er ansprang.

      »Man merkt, dass Osterferien sind, finde ich. Weniger Verkehr als sonst.« Lars schaltete das Radio ein. BR-Klassik. Violinenklänge. »Tschaikowsky. Ich wette, das ist Tschaikowsky.«

      Mia schielte auf das Radiodisplay.

      »Stimmt. Bist du Klassikfreund?«

      »Ich habe sogar ein Abo bei den Symphonikern. Hättest du nicht gedacht, was?« Er summte ein paar Takte mit. »Klassik habe ich schon immer geliebt. Meine Oma hatte ein Album mit Schellackplatten. Klassische Musik. Aufnahmen, die sie als Jugendliche gesammelt hatte. Als ich ungefähr 14 Jahre alt war, habe ich das entdeckt und bin in eine neue Welt eingetaucht.«

      »Ungewöhnlich für einen Jungen in der Pubertät.«

      »Wahrscheinlich habe ich sie deshalb ohne Drogen überstanden. Die Musik war meine Droge. Vor allem die Russen. Tschaikowsky. Rachmaninow. Das zweite Klavierkonzert von ihm hat mich umgehauen.«

      Mia musste zugeben, dass dieser Mann in seinen Cargohosen sie neugierig machte. »Wieso?«

      »Das ging mir wahnsinnig tief. Ist heute noch so. Die Musik trägt einfach immer. Wie eine Arznei ohne Nebenwirkungen.« Er lachte. »Ist das hier die Moosstraße?«

      »Ja, fahr einfach noch 100 Meter weiter und halte vor dem Haus mit den gelben Fensterläden an.«

      »Klar doch. Hier?«

      »Hm.«

      Er hielt und drehte den Zündschlüssel. Die Musik brach ab.

      »Schade«, murmelte Mia.

      »Wenn du willst, überspiele ich dir mal was. Wobei ich ja am liebsten Platten höre. Vinyl. Auf meinem guten alten Dual-Plattenspieler.«

      »Ich habe mir sagen lassen, Vinyl wäre wieder im Kommen, vor allem bei den echten Musikliebhabern.«

      »Es war nie aus der Mode, genau genommen.« Lars sprang aus dem Wagen. »Welche Etage?«

      »Erste.« Mia drückte die Haustür auf.

      »Nimm die Bretter.« Lars drückte ihr einen Stapel Einlegeböden in die Arme.

      Mia stieg die Treppen nach oben, stellte die Bretter ab und steckte den Schlüssel ins Schloss. In der Wohnung roch es muffig. Rasch stieß sie die Fenster im Wohnzimmer auf.

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