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die Arme auf dem Lenkrad und stützte seinen massigen Körper darauf. Er wirkte gereizt. Nach einigen Augenblicken gab er ihnen mit fuchtelnden Armbewegungen zu verstehen, dass sie verschwinden sollten.

      »Ich glaub, ich kann das nicht«, flüsterte Amanda. »Rückwärts den Hügel hinab. Und das auf einem Feldweg.«

      Fynn wollte gerade aussteigen und den Traktorfahrer bitten, etwas zurückzufahren. Aber als er die Tür öffnete, schrie der Fahrer wütend, dass sie verschwinden sollen.

      »Lass ihn«, entgegnete Amanda.

      Sie legte gerade den Rückwärtsgang ein, als sie die grelle Hupe des Traktors hörte. Das war zu viel.

      »Klappe jetzt«, fauchte sie, legte den rechten Arm auf den Beifahrersitz, blickte durch die Heckscheibe und fuhr langsam los.

      Sie lenkte den Wagen zu weit nach links und dann zu weit nach rechts. Er streifte an borstigem Gras, dornige Sträucher kratzten am Blech, und die Reifen schabten an den Wänden der Fahrbahnrinnen. Amanda begann zu schwitzen und steuerte das Auto weiter in Schlangenlinien abwärts, bis sie endlich eine kleine Ausweichbucht erreichte und dort stehen blieb. Ihre Halsmuskeln schmerzten vom Rückwärtsblicken, und ihre Finger zitterten vor Aufregung.

      Der Traktor rollte langsam den Weg hinab und hielt neben ihr an. Der Fahrer ließ das Seitenfenster herunter und rief: »He, du Waldfee! Das ist ein Privatweg, okay? Da vorne ist eine Schranke und danach ist Ende Gelände. Haut ab von hier, sonst steig ich aus und zeig euch, wo’s lang geht.«

      Während der Fahrer irgendetwas von Polizei sagte, pfiff Amanda leise vor sich hin. Gleichzeitig fingerte sie im Handschuhfach nach einem Schlüsselbund und steckte ihn an den Mittelfinger. Kurz danach streckte sie ihren Arm aus dem Fenster und sagte laut: »Das hier ist ein Schlüssel, okay? Und dieser Schlüssel passt genau in jenes Torschloss, von dem Sie gerade gelabert haben, okay? Und das, was sich hinter diesem Tor befindet, gehört uns, okay? Und wenn Sie jetzt weiterfahren, wäre das eine tolle Sache, denn dann könnten wir endlich auf unser Grundstück. – Ach, und noch etwas.« Nun reckte Amanda ihren Kopf aus dem Wagen und blickte zum Traktorfahrer hoch. »Wenn du weiter Faxen machst, bekommst du ein Schreiben von meinem Vater.« Kurz verschwand ihr Kopf im Wagen. Aber Augenblicke später streckte sie ihn wieder hinaus, da sie etwas Wichtiges vergessen zu haben schien: »Ach ja, mein Vater. Der leitet übrigens eine Anwaltskanzlei.«

      Im nächsten Augenblick tuckerte der Fahrer los. Aus der Kabine dröhnte laute Schlagermusik und schließlich verschwand der Traktor hinter einer Kurve aus dem Rückspiegel von Amandas rotem Toyota.

      »Aber …«, setzte Fynn an, den die Aufregung durchflutete, »dein Vater ist doch gar kein Anwalt.«

      »Mag sein, aber dieser Typ hat 100-prozentig keine Ahnung davon.«

      Sie rollten langsam den Hang hinauf, auf der anderen Seite hinunter und hielten vor einem großen Tor. Links und rechts davon begann eine hüfthohe Hecke aus Buchs, Liguster und Hainbuchen.

      Als sie das Tor hinter sich gelassen hatten, wurde das Gras auf dem Mittelstreifen des Weges noch höher. Samenkörner regneten gegen die Windschutzscheibe. Pflanzendolden und vertrocknete Grasspitzen flogen davon, und Käfer krabbelten über die Motorhaube und an den Außenspiegeln entlang. Sie fuhren mehrere Kilometer über sanft dahinwellendes Gelände und erreichten schließlich eine weite Ebene.

      Als sie ausstiegen, schüttelten sie staunend die Köpfe. Die Landschaft erstreckte sich weit gegen Osten. Das hohe Gras neigte sich träge im Wind hin und her wie ein großes, weites Meer.

      »Verrücktes Bild«, sagte Fynn. »Hier der Weg und ringsherum nur dieses ausgeschossene gelbe Gras«.

      Drüben begann ein Wald mit hohen Fichten, Tannen und Buchen. Und vorne am Horizont, weit entfernt, ragten graue Felswände empor. Darüber konnten sie das bläuliche Weiß einer Gletscherzunge erkennen.

      »Diese Stille hier«, sagte Fynn.

      Kohlweißlinge und Zitronenfalter flatterten vorbei. Bienen und Hummeln summten. In der Ferne gurgelte ein Bach.

      »Mann, Fynn. So etwas. Also das ist ja beinahe unglaublich. Haben wir das Zelt dabei und die Schlafsäcke?«

      Fynn nickte.

      »Und auch den Gaskocher und Proviant?«

      »Reis, etwas Kaffeepulver und einige Würfel Gemüsebrühe.«

      Sie trat näher, umfasste mit den Händen seine Pobacken, drückte sanft zu und gab ihm einen Kuss. »Was hältst du davon, wenn wir heute hier übernachten und so?«

      Fynn lächelte verschwörerisch. »Davon halte ich sehr viel.«

      Sie schulterten ihre Trekkingrucksäcke und zogen los. Amanda folgte Fynn auf einem schmalen Wildwechsel, der von hohem verdorrtem Gras eingefasst war. Manchmal schob er Halmspitzen zur Seite, die sich gegen den Weg neigten.

      Wie schön seine Hände sind, dachte sich Amanda. Das dachte sie sich immer, wenn sie sie genauer betrachtete.

      Wohl eine Stunde wanderten sie zwischen dem Meer aus hohem Gras dahin. Die Sonne schien angenehm warm, und Amanda grinste, als sie einen Blick auf Fynns braune Cordhose warf und seinen Po, der sich darunter abzeichnete.

      »Sollten wir nicht einmal eine Pause machen?«, flüsterte sie.

      Er gab ihr aus seiner Wasserflasche zu trinken und sie lächelte einladend.

      »Es ist so still hier. Was meinst du? Ich würde gerne im hohen Gras liegen, gegen den Himmel blicken, der zwischen den Halmen hindurchblinzelt, deine braunen Augen, dein friedliches Gesicht sehen und deine Bewegungen spüren.«

      Fynn streichelte ihre Wange und steckte die Trinkflasche zurück in den Rucksack. »Sollen wir nicht zuerst einen Zeltplatz suchen, bevor es dunkel wird?«

      »Gleich finden wir einen. Ganz bestimmt.« Amanda küsste ihn und sie gingen weiter.

      Ihr Weg führte sie durch einen Hochwald. Einige Bäume waren längst umgefallen, moderten vor sich hin und waren von Schwämmen und Pilzgeflechten übersät. Es roch nach feuchter Erde, Nadeln und Harz. Amanda seufzte zufrieden. Immer, wenn ihr diese Gerüche in die Nase stiegen, musste sie an die Wanderungen mit ihrem Vater denken, die sie früher an den Wochenenden unternommen hatten. Sie war vielleicht sieben oder acht gewesen, als sie damit begonnen hatten. Meistens waren sie kreuz und quer durch das Gelände gestreift, hatten Beeren und Pilze gesammelt, sich auf Moosteppichen ausgeruht und mitgebrachte Brote gegessen. Sie waren bei jedem Wetter unterwegs. Egal, ob die Sonne schien, ob es regnete, schneite oder neblig war. Manchmal nahmen sie ihr Zelt mit und campierten auf einer Lichtung. Dann entfachten sie ein kleines Feuer, brieten Würste und kochten Tee. Und nachts, wenn vor dem Zelt etwas knackte oder ächzte, klammerte sie sich ängstlich an ihren Vater, und ihr Vater streichelte ihr über die Stirn und das Haar und versicherte ihr, dass alles gut sei. Dadurch fühlte sie sich so sicher und geborgen, dass sie meistens gleich wieder einschlief. Amanda war in diese Wanderungen verliebt und sie hatten gewiss ihre Leidenschaft für die Natur geweckt. Alles Weitere, der Einsatz für das Moor, das drainiert werden sollte, die Spendenaktion und die Rettung des Moores wären ohne diese Erlebnisse niemals möglich gewesen. Davon war sie überzeugt.

      Der Weg schlängelte sich hügelauf und hügelab durch den Wald.

      »Ein Wildwechsel«, sagte Fynn, »bestimmt.«

      Wenn Fynn in seiner braunen Cordhose so vor ihr her ging, wurde sie jedes Mal verrückt nach ihm. Manchmal musste sie einfach seinen Rücken berühren, seine Arme, ihm durch das lockige Haar fahren, ihn küssen oder ihm sagen: »Ich hab dich so lieb.«

      Der Pfad führte eine Anhöhe hinauf und wieder eine Senke hinab. Sie folgten ihm über eine Stunde, als Fynn hinter einer großen Kiefer auf einmal das Blau eines Sees schimmern sah.

      »Wow«, flüsterte er. »So etwas habe ich noch nie gesehen.«

      »Glaub ich nicht«, sagte Amanda.

      Das Ufer des Sees glich einem lang gezogenen C und war mit feinen Kieselsteinen und einigen Sandbänken bedeckt.

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