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zu den Siedehütten. Vierundfünfzig dieser Hütten umgaben den Solebrunnen. Sie waren in Senken errichtet oder in die Erde eingegraben worden, so dass man nur ihre strohgedeckten Dächer sehen konnte. Aus dem Sod schöpften mehrere Sodeskumpane die Sole und gossen sie in Rinnen, die mit den Siedehütten verbunden waren. Aus deren Essen rauchte es heftig.

      »Kennt Ihr die Sage von der Salzsau?«, wollte Reyner Stolzfuß wissen. Frau Hildegard, Tidemann und Margarete nickten, die anderen schüttelten den Kopf.

      »Du kennst sie?«, wandte sich Elisabeth Grüneberg an ihre Tochter.

      »Tidemann hat sie mir erzählt, Mutter«, entgegnete Margarete. »Uns war in der Hochzeitsnacht nur danach, miteinander zu sprechen.«

      »Das sollte aber nicht sein«, meinte Elisabeth.

      »Aber Mutter, nach diesem Todesfall … Wer kann denn überhaupt noch an etwas anderes denken?«

      »Als es die Stadt noch gar nicht gab und die Gegend mit Wald bedeckt war«, erzählte Stolzfuß, »da sollen mehrere Jäger Wildschweine gejagt haben. Sie folgten der Spur eines Tieres und drangen dabei tief in eine hügelige Gegend an der Ilmenau vor. Und was sahen sie dort? Eine große Wildsau schlief in der Sonne, und ihre Borsten waren weiß. Das Tier wurde erlegt, die Männer untersuchten es und stellten fest, dass Salz an den Borsten klebte. Als sie nun die Spuren der Sau rückwärts verfolgten, stießen sie schließlich auf einen Tümpel, in dem sie sich gesuhlt hatte. Das Wasser dieses Tümpels schmeckte salzig. Die Saline war entdeckt.«

      »Verehrt man nicht einen Schinkenknochen der Salzsau?«, fragte Margarete.

      »Ja, er wird im Rathaus aufbewahrt. Immerhin verdanken wir der Sau unseren Reichtum. Der Sau und vor allem natürlich dem Salz.«

      Vor einer der Siedehütten angekommen, wies Reyner Stolzfuß auf eine Figur auf dem Dach über dem Eingang. Es handelte sich um einen Fuß, und man konnte sagen, dass er sich tatsächlich stolz in die Höhe reckte. Damit war die Hütte als Pachtgut des Sülfmeisters bezeichnet. Das sülzbegüterte Michaeliskloster kassierte die Pacht, Stadt und Landesherr kassierten Steuern und Zölle, aber für einen Sülfmeister blieb genug übrig, so dass er hervorragend von der Saline zu leben vermochte. Und auch die Sodkumpane und Fahrtknechte, die Sieder und die Hilfsarbeiter hatten ihr Auskommen, wenn auch nur ein bescheidenes. Fast ganz Lüneburg, so schien es zumindest den Gästen, hing vom Salz ab.

      Hatte die Sülte schon aus der Entfernung wie die Hölle ausgesehen, so waren alle überzeugt, dass in der Siedehütte tatsächlich eine Höllenhitze herrschte. Unter jeder der vier Siedepfannen aus Blei brannte ein starkes Feuer, das von einem kleinen Knaben beschickt wurde, während eine Frau sich anschickte, die Hütte zu verlassen. Auch sie trug einen Holzeimer auf dem Kopf, dieser jedoch enthielt heiße Asche. Der Sülzer war damit beschäftigt, Sole in eine der Pfannen zu füllen, während in einer zweiten Pfanne das Wasser bereits so weit verdampft war, dass man die Salzkristalle sehen konnte. Wegen der barbarischen Temperaturen hatte der Sieder seinen Kittel abgelegt und war nur mit einem Lendenschurz bekleidet. Schweiß glänzte auf seinem Rücken, Schweiß lief ihm über das Gesicht. Auch die Frau und der Knabe schwitzten.

      Als der Sieder seinen hohen Besuch bemerkte, verbeugte er sich knapp, ließ sich aber in seiner Arbeit nicht stören. Er wusste, dass der Sülfmeister genau das von ihm erwartete. Auf der Saline war die Zeit kostbar. Die Arbeit lief immer, rund um die Uhr und, mit einer Ausnahmegenehmigung der Kirche, auch am Sonntag.

      Gegenüber von den Siedepfannen befand sich ein hoher Berg aus Salz. Reyner Stolzfuß bat seine Freunde und Anverwandten, das weiße Gold zu probieren. Da man dazu näher an die Siedepfannen treten musste, wurde die Hitze noch unerträglicher. Niemand musste den Finger befeuchten, mit dem er das Salz berührte; die Hände waren feucht vom Schweiß, eine kleine Salzprobe blieb an ihnen ohne weiteres kleben.

      »Ich verstehe nicht, wie Ihr behaupten könnt, dass Salz sei süß«, meinte Sebastian Vrocklage, nachdem er sich den Finger abgeleckt hatte. »Ich finde, es schmeckt, wie Salz schmecken muss.«

      »Man braucht Erfahrung, um es richtig beurteilen zu können«, erklärte der Sülfmeister. »Es schmeckt natürlich salzig … Nicht das Salz, verehrter Freund, die Sole war süß. Im Übrigen, die Salprobe ist nur ein Ritual, das von den Bürgermeistern erwartet wird. Auch wenn wir alle Schnupfen haben, findet sie statt. Unser Geschmackssinn wird nicht unbedingt gebraucht, denn man kann mit einer Solewaage den Salzgehalt genau bestimmen. Schon bevor wir uns zur Probe begeben, teilt uns der Sodmeister die Ergebnisse mit.«

      »Dann ist das ja ein kleiner Betrug«, sagte Sebastian.

      »Ein Gaukelspiel, gewiss. Aber Ihr kennt das Publikum: Es liebt solche Aufführungen. Ziehen die Bürgermeister zur Salprobe, ist die halbe Stadt auf den Beinen. Warum nicht ein bisschen schummeln, wenn dabei alle auf ihre Kosten kommen. Oder auch nicht: Wenn die Sole schlecht ist …«

      Es war voraussehbar, dass Heinrich von Ritzerow nach dem Verlassen der Sülte zu einem Umtrunk in den Gasthof lud. Durstig waren alle geworden, doch so recht mochte niemand auf die Offerte eingehen. Gegen einen Umtrunk war nichts zu sagen, gegen eine Zecherei, die einen leidvollen Morgen zur Folge hatte, sprach etliches.

      Bruder Anselm verabschiedete sich als Erster. Als Mönch war ihm vergönnt, immer einen Vorwand zu haben, um unangenehmen Begegnungen aus dem Weg zu gehen, schließlich musste ein Klosterbruder tägliche Stundengebete verrichten. Nicht der Ritter war ihm unangenehm, sondern nur dessen Trinklust. Gerade waren die Kopfschmerzen gewichen, und Anselm wollte nicht riskieren, dass er sich neue zuzog.

      Auch Reyner Stolzfuß hatte ein Geschäft. Der Gesandte eines Revaler Kaufmanns wünschte ihn zu sprechen und ihm im Auftrag seines Herrn ein Angebot zu unterbreiten, von dem ein Schreiben aus Reval sinngemäß behauptete, nur ein Narr könne es abschlagen. Guten Angeboten war Stolzfuß immer aufgeschlossen, und so hatte er die Einladung des Gesandten zum Essen angenommen. Der Mann, der Albrecht Gregorius hieß, logierte in der feinen Herberge Bei der Ratsmühle, er musste also wirklich Geld im Rücken haben.

      Da Maria, Piet und Geseke Peters sich nicht mehr vor der Saline aufgehalten hatten, waren die Frauen in Sorge und wünschten, so schnell wie möglich nach Hause zurückzukehren. Tidemann Stolzfuß erbot sich, sie zu begleiten, schließlich schickte es sich für eine bürgerliche Frau nicht, unbegleitet durch die Stadt zu gehen, nur manchmal auf den Markt, aber da war dann immerhin eine Magd dabei. So blieben denn am Ende nur Martin Grüneberg und Sebastian Vrocklage als mögliche Zechkumpane des Ritters übrig. Da sie Heinrich so betrübt sahen, willigten sie aus Mitleid ein, ihm für ein paar Stunden Gesellschaft zu leisten; außerdem waren sie froh, dass ihnen das Trauerhaus noch einige Zeit erspart bleiben würde.

      Wein nahm nur der Ritter, Martin und Sebastian hielten sich ans Dünnbier. Alle drei hingen Erinnerungen an Ereignisse nach, die sie vor zwei Jahren schon einmal zusammengeführt hatten: Balthazar Vrocklage, Sebastians Vater, war ermordet worden, der Ritter und der Weddeherr hatten einen großen Anteil an der Aufklärung des Verbrechens gehabt, wobei Grüneberg von seinem Verstand, der Ritzerow mehr von seiner Intuition geleitet worden war. Sie schien nicht einmal bei größter Trunkenheit zu versagen.

      Für die Untersuchung eines Mordes innerhalb der Mauern der Stadt war der Lüneburger Rat zuständig und hier vor allem die Richteherren und der Gerichtsvogt. Jedermann durfte davon ausgehen, dass sie ihr Handwerk verstanden, und wenn sie einmal gar nicht vorankamen, konnten sie immer noch den Scharfrichter rufen. Um jemanden zu foltern, brauchte man allerdings nicht nur einen Verdächtigen, man musste seiner auch habhaft sein. Längst hatte Martin Grüneberg beschlossen, sich in die Untersuchung auf seine Weise einzumischen. Über Umwege war Lüdeke Peters immerhin seit Magaretes so blutig beendeter Hochzeit mit ihm verwandt.

      Grüneberg zog den Ritter und Vrocklage ins Vertrauen. Er berichtete ihnen von der Entdeckung des Spittlers im Josephus Flavius, den Heinrich von Ritzerow zu seinem Erstaunen sogar kannte.

      »Bücher über Kriege gehören zu den Leidenschaften aller Ritzerows«, meinte der Ritter und nahm einen tiefen Schluck aus seinem Becher. Dem Weddeherrn, der schon gegen das Dünnbier nicht ankam, drehte sich der Magen um. »Meinen Vorfahren ist es nie gelungen,

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