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Kanne füllte er die Pokale mit einer Flüssigkeit, die wie Wasser aussah. Es war auch Wasser, allerdings verriet der Salzgeruch, was es enthielt und was es so kostbar machte.

      Die vier Bürgermeister hoben die Pokale und vertrauten sich in einem Trinkspruch Gott an. Jeder nahm einen herzhaften Schluck. Dann setzten sie die Pokale ab und stellten sie auf den Tisch zurück. Der Sodmeister, die Barmeister und die Fahrtknechte heuchelten Interesse, dabei kannten sie das Ergebnis schon. Die Bürgermeister schauten einander betroffen an. Sie wussten, in den nächsten Wochen würde Lüneburg weniger Salz verkaufen, würden weniger Münzen in den Kassen klingeln.

      Die Sole war zu süß.

      ERSTER TEIL

      Lüneburg, das Salzhaus

      1. KAPITEL

      Vor der Hochzeit

      Die Dampfwolke über der Saline und den hohen Kirchturm von St. Johannis sahen die Reisenden zuerst. Sie kamen aus Rostock und aus Lübeck, und die Rostocker waren vor einem Monat in großer Kälte aufgebrochen, um nun, am 15. März 1433, endlich Lüneburg zu sehen. Sie sahen es, erreicht hatten sie es noch nicht. Die Dampfwolke und der Kirchturm sprachen allerdings vom bevorstehenden Ende der Fahrt, und auch das Kloster Lüne, das sich linker Hand erstreckte, zeigte ihnen, dass sie sich auf dem rechten Weg befanden.

      »Heute Abend schlafen wir in einem reichen Haus«, rief der Rostocker Kaufmann und Ratsherr Martin Grüneberg und wandte sich zu seiner Tochter um, die hinter ihm auf dem Planwagen hockte und übernächtigt aussah. Für Margarete war es die erste Reise ihres Lebens. Sie war sechzehn Jahre alt, und in ein paar Tagen würde sie Margarete Stolzfuß sein.

      »Ich nicht«, konterte Bruder Anselm, der Franziskaner. Er saß auf dem zweiten Wagen, der keine Plane zum Schutz vor dem Wetter besaß, und hatte gerade sein Gebet zur Non beendet. Martin Grüneberg hatte lange auf seinen Freund und Beichtiger einreden müssen, bevor dieser sich bereit erklärt hatte, als Margaretes Trauzeuge zu fungieren und mit dem Tross nach Lüneburg zu ziehen. Bruder Anselm war zwar welterfahren, schließlich hatte er in Bologna und Paris studiert, aber er war nicht mehr der Jüngste und verließ Rostock nur noch ungern. Für Martin und Margarete Grüneberg hatte er es getan. Das war ihm hoch, sehr hoch anzurechnen.

      »Ihr nicht, Ehrwürdiger Vater?« Martin Grüneberg lachte. »In einem Kloster werdet Ihr nächtigen …«

      »Darum bitte ich ausdrücklich«, fiel Anselm ihm ins Wort. »Wie Ihr an meiner grauen Kutte und auch an der Tonsur erkennen könnt, bin ich ein Mönch, und Mönche pflegen in Klöstern zu leben. Zumindest zu nächtigen!«

      »Und sind die Klöster nicht reich?«

      »Die Klöster vielleicht. Ich nicht.« Frater Anselm griff neben sich und förderte einen Apfel zutage. »Im Übrigen möchte ich nicht wieder darüber diskutieren, dass in manchen Klöstern die Ordensregeln gebrochen werden. Das müssen die Brüder mit Gott selber ausmachen. Ich richte nicht, Er wird es tun.«

      »Ihr seid immer so nachsichtig, Ehrwürdiger Vater«, meinte Elisabeth Grüneberg, die neben ihrer Tochter auf dem Planwagen saß.

      »Bin ich das?« Anselm klopfte dem Wagenlenker auf die Schulter und erbat sich mit einer Geste ein Messer. »Nun, mag sein. Man wird gelassener im Alter und … Wer bin ich denn, dass ich Seine Gerichtsbarkeit vorwegnehme? Dass ich verurteile, wo nur Er urteilen darf? Gott hat nie verlangt, dass wir keine Fehler machen. Er will bloß, dass wir sie erkennen und bereuen. Der reuige Sünder ist ihm der liebste. Vollkommen untadelige Menschen, wenn es sie denn gibt …« Der Franziskaner erhielt vom Wagenlenker ein kleines Messer. »Vollkommen untadelige Menschen«, wiederholte er, »sind monströs.«

      »Das sagt Ihr so«, mischte sich Sebastian Vrocklage ins Gespräch, der auch auf dem ungeschützten Leiterwagen einen nicht gerade bequemen Platz gefunden hatte. Sebastian war Grünebergs Geschäftspartner in einer Mascopei, einer Handelsgesellschaft, und ebenfalls zum Trauzeugen erkoren worden.

      »Das sage ich.« Der Mönch begann, den Apfel zu schälen.

      »Lehnt Ihr also die irdische Gerichtsbarkeit ab?« Sebastian Vrocklage hatte, bevor er das Unternehmen seines ermordeten Vaters übernommen hatte, die Rechte studiert. Er war ein guter Kaufmann geworden, aber manchmal kam doch der Jurist zum Vorschein.

      »Mitnichten. Ich frage mich nur, wie gerecht der Mensch sein kann. Ist er fähig, interesselos Recht zu sprechen … so wie Gott?« »Was haben wir nur für gelehrte Männer um uns«, sagte Elisabeth Grüneberg nicht ohne Ironie zu ihrer Tochter. Margarete nickte.

      »Bruder Anselm spricht sieben Sprachen«, sagte sie.

      »Fünf«, wehrte der Mönch bescheiden ab.

      »Pour honte ôter et mal couvrir, on doit un peu par bel mentir«, zitierte Margarete.

      »Was heißt das?«, wollte ihre Mutter wissen.

      »Um Schande zu tilgen und Böses zu decken, darf man ein wenig die Wahrheit verstecken.«

      »Das hast du aber nicht bei mir gelernt«, schnauzte der Franziskaner.

      »Nein, Ehrwürden«, räumte Margarete ein, »nicht diesen Spruch, aber die Sprache.«

      »In dieser Sprache wurden große Lieder und Romane abgefasst«, meinte Anselm. »Denk an Chrétien de Troyes, mein Kind, an seinen Roman über den Tod von König Artus.«

      »Aber auch das Italienische ist eine bedeutsame Sprache«, sagte Margarete und lächelte.

      »Die Sprache der Buchführung«, sagte Sebastian Vrocklage trocken.

      »Nun ja.« Der Mönch schaute weg.

      »Unser hochverehrter Vater Anselm liest nämlich den Boccaccio in der Originalsprache«, behauptete Margarete. Ratsherr Grüneberg warf einen Blick in den anderen Wagen. Der Franziskaner hatte den Kopf eingezogen und war tatsächlich rot geworden.

      Ihren künftigen Schwiegervater lernte Margarete am Lüner Tor kennen. Reyner Stolzfuß hatte sich nicht nehmen lassen, seine Gäste und die Braut persönlich zu empfangen, was ihnen den Einzug nach Lüneburg ungemein erleichterte; die Torwache wagte nicht, ihnen auch nur eine Frage zu stellen. Die Anwesenheit eines Proconsuls bedeutete mehr als eine schriftliche Bürgschaft, Gäste eines Bürgermeisters waren über jeden Zweifel erhaben.

      Stolzfuß hatte auch seinen Sohn mitgebracht, Tidemann, den Bräutigam. Sie waren hoch zu Ross, aber als die beiden Wagen das Lüner Tor erreichten, saßen sie ab. Mit ausgestreckten Armen eilte Reyner auf Martin Grüneberg zu, der vom Kutschbock gesprungen war. Die beiden Männer gaben sich den Bruderkuss, dann halfen sie den Damen aus dem Wagen. Tidemann kam vorsichtig näher. Die Eheverhandlungen hatten sein Vater und Grüneberg geführt, nun sah er seine Braut zum ersten Mal. Als er Margarete höflich begrüßte, errötete er. Das Mädchen auch.

      »Sei auch du mir willkommen, Lüdeke!« Reyner Stolzfuß, der ein etwas vierschrötiger, aber leutseliger und herzlicher Mensch war, breitete abermals die Arme aus. Mit dem Sohn des Lübecker Salzherrn Lüdeke Peters, mit Piet Peters, war seine Tochter Geseke verheiratet, und das bedeutete, was da aus Lübeck und Rostock angereist war, war Familie oder würde bald Familie sein.

      »Ihr seid sicher hungrig und durstig?«, wollte Reyner Stolzfuß wissen. »Halten wir uns hier nicht auf. In meinem Haus ist der Tisch gedeckt, ich bitte euch alle, mir die Ehre zu erweisen. Auch Euch gilt mein Gruß, Ehrwürdiger Vater!« Stolzfuß verbeugte sich vor dem Mönch, der mühsam vom Wagen herabgeklettert war und sich den Rücken massierte.

      »Danke, mein Sohn.« Frater Anselm streckte seine Hand nach dem mächtigen Mann aus, der sie küsste. »Ich werde natürlich nicht in Eurem Hause wohnen, sondern bei meinen Brüdern im Kloster Sankt Marien.«

      »Ihr habt einen guten Ruf, Ehrwürden«, meinte Stolzfuß. »Ihr geltet als ein äußerst gelehrter und belesener Mann. Der Guardian von Sankt Marien ist schon

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