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1940 wurden überdies die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen entgegen dem deutsch-sowjetischen Freundschaftsund Nichtangriffspakt als Sowjetrepubliken der UdSSR einverleibt. Damit hatte sich der sowjetische Machtbereich wieder ein bedrohliches Stück in Richtung Großdeutsches Reich vorgeschoben. Um weiteren Annexionsgelüsten Stalins einen Riegel vorzuschieben, sandte Hitler seinerseits »Lehrtruppen« nach Rumänien. Mit Finnland, das nach dem harten und verlustreichen sowjetisch-finnischen Winterkrieg 1939/40 an die UdSSR die Karelische Landenge und Teile von Ostkarelien abtreten und den strategisch bedeutsamen Flottenstützpunkt Hangö verpachten musste, schloss das Dritte Reich daher ein Bündnis ab.

      Doch damit nicht genug: Zahlreiche diplomatische Verstimmungen, die es bereits seit dem Sommer 1940 zwischen dem Deutschen Reich und der UdSSR gegeben hatte, führten zu einer weiteren dramatischen Verschärfung der Lage, so dass am Ende dieses Prozesses der Entfremdung die Konfrontation des nationalsozialistischen Großdeutschen Reichs mit der kommunistischen Sowjetunion stand. Diese Entwicklung war nicht nur ideologisch, sondern auch geopolitisch bedingt. Denn wie Hitler, so besaß auch Stalin »ein langfristiges Programm. Er wollte […] den Streit der ›imperialistischen Mächte‹ ausnutzen, die eigene strategische Lage systematisch zu verbessern und zuletzt eingreifen.«10

      Aufgrund der skizzierten unüberbrückbaren Gegensätze zwischen dem nationalsozialistischen Deutschland und der Sowjetunion befasste sich die deutsche Führung immer intensiver damit, einen Angriffsplan für einen Feldzug gegen die UdSSR auszuarbeiten. »Die Sphinx Russland, mit ihren nicht klar einzuschätzenden Machtmitteln, ihren nicht durchschaubaren Plänen, ihrer gefährlichen Ideologie bedrückte und beengte Hitler. Er hoffte, das Rätsel in einem schnellen Feldzug lösen und der Welt die Hohlheit des sowjetischen Staates, seiner Lehre und die Brüchigkeit seiner Fassade zeigen zu können.«11

      Daher wurden Studien, Pläne und erste Operationsentwürfe unter anderen von den Generalstabsoffizieren Oberst Hans von Greiffenberg, Oberstleutnant Gerhard Feyerabend und Oberstleutnant Bernhard von Loßberg vom Oberkommando der Wehrmacht (OKW) sowie von den Generalen Erich Marcks und Friedrich Paulus vom Oberkommando des Heeres (OKH) erarbeitet. Diese Operationspläne wurden als Kinzel-, Feyerabend-, Marcks-, Loßberg-, Sodenstern-, Salmuth-, Kluge-, Blumentritt-, Rundstedt-, Hoth-, Halder- und Hitler-Plan bezeichnet. Und wieder hatte Hitler das Gefühl, »unter höchstem Zeitdruck zu stehen. Nach der einen Seite hatte er die absolute Höhe seiner militärischen Macht erreicht und kontrollierte den größten Teil des europäischen Festlands. Andererseits wusste er, dass sein Griff nach der europäischen Hegemonie auch einen Wettlauf mit der Zeit bedeutete.«12

      Wie die Generale von Brauchitsch, Halder, Keitel, Jodl und der Admiral Raeder, so rechneten auch die am Unternehmen »Barbarossa« beteiligten Generalstabsoffiziere mit einem weiteren »Blitzkrieg«, dieses Mal im Osten. Dementsprechend knapp war die Zeitplanung bemessen. Allgemein, so können wir dem »Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht« entnehmen, rechnete die deutsche Wehrmachtführung mit einem Feldzug von nur drei bis fünf Monaten.13 Dieser viel zu eng bemessene Zeitraum wirkte sich später – als der russische Winter früh hereinbrach – verhängnisvoll, ja kriegsentscheidend aus.

      Nach den Operationsentwürfen der Generalstäbler Kinzel und Feyerabend, die eine nach Osten gerichtete Schlieffenplan-Lösung vortrugen, wurde der junge Generalmajor Marcks von Generaloberst Halder mit einer Studie über den Russlandfeldzug beauftragt. Dieser Operationsentwurf, der mit dem 5. August 1940 datiert ist, stellt ein bedeutendes zeitgeschichtliches Dokument dar:

      »Zweck des Feldzuges ist«, so heißt es unter anderem in der Marcks-Studie, »die russische Wehrmacht zu schlagen und Russland unfähig zu machen, in absehbarer Zeit als Gegner Deutschlands aufzutreten. Zum Schutz Deutschlands gegen russische Bomber soll Russland bis zur Linie unterer Don – mittlere Wolga – nördlich Dvina besetzt werden. Russlands kriegswirtschaftliche Hauptgebiete liegen in dem Lebensmittel- und Rohstoffgebiet der Ukraine und des Donezbeckens und in den Rüstungszentren um Moskau und Leningrad. Die östlichen Industriegebiete sind noch nicht leistungsfähig genug. […] Die Russen werden uns nicht den Liebesdienst eines Angriffs erweisen. Wir müssen damit rechnen, dass das russische Heer uns gegenüber in der Abwehr bleibt und nur die Luftwaffe und die Marine, namentlich die U-Boote, offensiv wirken. Russlands Kriegsführung wird darin bestehen, dass es sich der Blockade anschließt. Zu diesem Zweck ist ein russischer Einbruch nach Rumänien wahrscheinlich, um uns das Öl zu nehmen. Zum mindesten ist mit starken Luftangriffen auf das rumänische Ölgebiet zu rechnen. Andererseits kann sich der Russe nicht wie 1812 jeder Entscheidung entziehen. Eine moderne Wehrmacht von 100 Divisionen kann ihre Kraftquellen nicht preisgeben. Eine gute Verteidigungsstellung wird es in der Linie Düna bis Polozk – Beresina – Tiefe der Pripjetsümpfe – Zbrutsch – Pruth oder Dnjestr finden. Diese Linie besitzt von früher her Befestigungen. Auch ein Zurückweichen bis zum Dnjepr ist möglich. Vor dieser Linie wird der Russe voraussichtlich nur hinhaltend kämpfen. […]

      Führung des Feldzuges: Bei der Größe des Kriegsgebietes und seiner Teilung durch die Pripjetsümpfe kann die Entscheidung gegen das russische Heer nicht in einer einzigen Kampfhandlung herbeigeführt werden. Man wird anfangs gegen die beiden Hauptteile des russischen Heeres getrennt vorgehen müssen, mit dem Ziel, später zu einer einheitlichen Operation jenseits der großen Wälder zu kommen.

      Operationsabsicht: Das deutsche Heer schlägt mit seinen Hauptkräften den in Nordrussland stehenden Teil des russischen Heeres und nimmt Moskau. Es geht hierzu mit Schwerpunkt aus der Linie Brest – Insterburg gegen die Linie Rogatschew – Witebsk vor. Südlich der Pripjetsümpfe verhindern schwächere Kräfte durch Angriff aus der Linie Jassy – Ussok – Przemysl – Hrubieszow auf Kiew und den mittleren Dnjepr ein Vorgehen der feindlichen Südgruppe gegen Rumänien und bereiten ein späteres Zusammenwirken mit den Hauptkräften ostwärts des Dnjepr vor.«

      Nach dem Operationsentwurf von Generalmajor Marcks lag der Schwerpunkt der Offensive gegen die UdSSR eindeutig in Nordrussland mit dem Hauptziel Moskau. Später wurde der Marcks-Plan jedoch in wesentlichen, vielleicht sogar in kriegsentscheidenden Punkten abgeändert.

      Eine weitere Studie, mehr ein Kriegsspiel, stammte von General Paulus, einem der besten deutschen Generalstäbler, der später als Generalfeldmarschall mit der 6. Armee im Kessel von Stalingrad in aussichtsloser Lage kapitulierte. Als »Kriegsspiel« bezeichnete man seinerzeit eine Übung, die im operativen Rahmen mit zwei Parteien in einem Saal stattfand. Auf diesen beiden Studien, vor allem aber auf dem »Operationsentwurf Ost« von Generalmajor Marcks fußend, entstand der endgültige Plan für den Feldzug gegen die UdSSR, dessen Entwurf der Chef des Generalstabes des Heeres am 5. Dezember 1940 Hitler überreichte.

      Zur Vorbereitung des Angriffs auf die Sowjetunion erließ Hitler dann schließlich am 18. Dezember 1940 – also einen Tag nachdem Roosevelts Englandhilfe verkündet worden war – die schicksalsschwere »Weisung Nr. 21 Fall Barbarossa«, die schließlich zum Ausgangspunkt der jahrzehntelang in zwei ideologische Blöcke geteilten Welt werden sollte. Sehen wir uns dieses wichtige militärhistorische Dokument daher zunächst sehr genau an, um zu erfahren, unter welchen Rahmenbedingungen die Armeen der Wehrmacht während des Russlandfeldzuges insbesondere im Südabschnitt der Ostfront eingesetzt wurden:

       Weisung Nr. 21 Fall Barbarossa

      Die deutsche Wehrmacht muss darauf vorbereitet sein, auch vor Beendigung des Krieges gegen England Sowjetrussland in einem schnellen Feldzug niederzuwerfen (Fall Barbarossa).

      Das Heer wird hierzu alle verfügbaren Verbände einzusetzen haben mit der Einschränkung, dass die besetzten Gebiete gegen Überraschungen gesichert sein müssen.

      Für die Luftwaffe wird es darauf ankommen, für den Ostfeldzug so starke Kräfte zur Unterstützung des Heeres freizumachen, dass mit einem raschen Ablauf der Erdoperationen gerechnet werden kann und die Schädigung des ostdeutschen Raumes durch feindliche Luftangriffe so gering wie möglich bleibt. Diese Schwerpunktbildung im Osten findet ihre Grenze in der Forderung, dass der gesamte von uns beherrschte Kampf- und Rüstungsraum gegen feindliche Luftangriffe hinreichend geschützt bleiben muss und die Angriffshandlungen gegen England, insbesondere seine Zufuhr, nicht zum Erliegen kommen dürfen.

      Der Schwerpunkt des Einsatzes

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