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aber ich lehnte seine deutlichen Huldigungen mit ebenso großer Deutlichkeit ab. Wie sehr war ich erstaunt, als mein Vater mir nach wenigen Tagen mitteilte, dass Geheimrat R … ihn um die Erlaubnis gebeten habe, sich um meine Hand zu bewerben!

      Ich fragte, bebend vor Entrüstung:

      »Wie durfte er das wagen, da ich ihm deutlich genug zu verstehen gegeben habe, dass ich ihn nicht will?«

      »Du urteilst zu vorschnell, meine liebe Toska!«, sagte Papa mit einem hübschen, überlegenen Lächeln. »Der Geheimrat ist eine sehr angesehene Persönlichkeit … und sehr reich …«

      »Reich!«, rief ich, »reich! Wir haben doch selbst alles, was wir uns wünschen … Wir sind selber reich genug!«

      Papa redete noch eine Weile an mir herum, aber ich blieb eigensinnig: nichts, nichts auf der Welt sollte mich dazu bewegen, einen Mann zu heiraten, den ich nicht liebte!

      »Hat dein Herz etwa vielleicht schon gesprochen?«, fragte Papa mich sichtlich erschrocken.

      »Gott bewahre, Papa! – Wenn du die Herren ausnehmen willst, mit denen ich getanzt habe, so habe ich überhaupt noch keinen Mann recht angesehen!«

      »Dann kann noch alles gut werden!«, rief Papa erfreut. »Ich will dich vorerst nicht quälen; ich bin sicher, du wirst selbst das Richtige in dieser Sache finden! Vergiss nur nicht, dass mir dein Lebensglück und deine Versorgung sehr am Herzen liegen!«

      »Und das kann mir, nach deiner Meinung, Geheimrat R. geben, Papa?«

      »Sicherlich!«, sagte er lebhaft.

      »Dann lasse ich lieber vorerst alles beim alten!«, rief ich aus. –

      – Aber eines Tages brach mein häusliches Glück, welches ich als einziges Kind meines Vaters in reichem Maße genoss, zusammen. Mein armer Vater erlitt eine Rückenmarkslähmung, verlor teilweise die Sprache und zuerst auch das Bewusstsein, und es ging schnell mit seinen Kräften bergab. In diesen fürchterlichen Wochen war es Adolf R., mein ungeliebter und ungern gesehener Bewerber, der mir mit großer Energie und Ergebenheit beistand. Unter dem Druck dieser schweren Zeit versprach ich dem Geheimrat eines erschütternden Abends, neben dem Bette meines Vaters, seine Frau zu werden. Mein armer Papa war durch diese halberzwungene Verlobung so erfreut und beruhigt, dass ich in Wahrheit sagen kann, dieses für mich so unerfreuliche Ereignis hat seine letzten Tage verschönt.

      Als der unvermeidliche traurige Fall eingetreten war, nahm Adolf, mein Bräutigam, mir alle äußeren Sorgen ab. Ich hatte Muße, mich ungestört meinem Kummer hinzugeben. Ich dachte kaum daran, dass durch den Tod meines Vaters eine Änderung meiner Verhältnisse eingetreten sein könnte, und erst nach mehr als zwei Monaten bemerkte ich, dass der Geheimrat zu den Haushaltskosten seit Wochen beisteuerte. Ich fasste sofort den Entschluss, den Geheimrat genau über den Stand meiner Vermögensangelegenheiten zu befragen, und tat dies auch bei seinem nächsten Besuche. Da erfuhr ich mit Schrecken, dass Papa fast nichts hinterlassen hatte und dass ich ganz arm gewesen wäre, wenn mein Bräutigam nicht für mich eingetreten wäre! –

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      Im ersten Impuls warf ich dem Geheimrat meine Arme um den Hals und dankte ihm leidenschaftlich. Ich merkte, dass ihm unter meiner unerwarteten, stürmischen Liebkosung ein wenig warm ums Herz wurde. Seine natürliche Steifheit und Pedanterie verhinderte ihn indessen, zu tun, was jeder Mann an seiner Stelle ohne Besinnen getan haben würde. Es war dies nämlich das erste Mal, dass ich Adolf freiwillig eine Liebkosung zuwendete, und der Geheimrat hätte umso mehr gut getan, diese bei mir seltene Stimmung zu benutzen, als ich meistens sehr zurückhaltend war, was mir dem Geheimrat gegenüber auch nicht schwer fiel.

      Der Geheimrat also, statt zärtlich zu werden, küsste mich bedächtig auf die Stirn. Während ich merkte, wie wohl ihm die Berührung meines Körpers tat, gab er sich gleichwohl ­einen pedantischen, seelischen Rippenstoß und erklärte mir, indem er meine Arme von seinem Halse löste, dass er das, was er täte, für seine Pflicht und sein beneidenswertes Recht hielte. Er wäre glücklich, meinen Fuß auf Rosen schreiten zu sehen! Dieser Auffassung stimmte ich mit rascher Überlegung zu. Dann aber fügte der Geheimrat noch hinzu:

      »Ich muss dir gestehen, liebste Toska, dass ich es nicht gar gern sehe, wenn junge Mädchen sich ihren Empfindungen allzu sehr hingeben. Eine Braut muss scheu und herb sein, wie eine geschlossene Knospe. So liebe ich das deutsche Mädchen. Bisher hat es mir an dir gerade imponiert, dass du dich deinen Gefühlen niemals hingibst. Bleibe so, meine teuere Toska, und lasse dich niemals gehen!«

      Ich habe dem Geheimrat nie merken lassen, wie tief mich diese schulmeisterliche Prüderie, die er dem naiven Ausdruck meiner einfachen Dankbarkeit gegenüber herauskehrte, erbittert hat. Aber er hat in Zukunft nie Gelegenheit gehabt, auch nur die geringste »Hingebung« von meiner Seite zu spüren! –

      In dieser Zeit begannen, wiewohl meine Brautschaft ja, wie man zu sagen pflegt, »kalt wie eine Hundenase« war, zärtliche und zweisame Gefühle in meiner Einsamkeit aufzutauchen. Ich hielt nach Freundinnen Umschau. Aber unter meinen Freundinnen war kaum eine einzige, mit der ich eine Verständigung zu suchen Lust gehabt hätte. Ich langweilte mich also durch meine Tage, und da ich natürlich kein Vergnügen darin fand, mit unserer Wirtschafterin zu plaudern, saß ich den größten Teil des Tages allein, sehnte mich – ziellos und schrankenlos, und empfand ein wirk­liches Grauen vor dem schon in Aussicht stehenden Hochzeitstage.

      Da trat plötzlich ein für mich sehr erfreuliches Ereignis ein. Schon seit Wochen hatte mein Bräutigam mir in seiner langweiligen Weise von einer auf Regierungskosten ausgerüsteten Expedition zur Erforschung der Flora und Fauna der Südseeinseln erzählt. Ich hatte diese langatmigen Berichte immer mit dem stillen Gedanken angehört: schade, dass der Geheimrat nicht mitgeht!! Und der Himmel hatte wirklich ein Einsehen und ließ den botanischen Mitarbeiter der Expedition zur rechten Stunde erkranken oder sterben, was weiß ich! Jedenfalls wurde dem Geheimrat, der die Teilnahme an der Forschungsreise wegen unserer Verlobung schon vor einigen Monaten abgelehnt hatte, von neuem nahe gelegt, der botanische Leiter der Expedition zu werden. Als Adolf mir das amtliche Schreiben zeigte, hatte ich Mühe, mein Entzücken zu verbergen. Ich war indessen so klug, meinem Gesicht ein ernsthaftes Aussehen zu geben, sonst hätte der Geheimrat doch wohl Verdacht geschöpft … Ich sagte meinem Bräutigam würdevoll:

      »Du tust in der Tat unrecht, lieber Adolf, der Wissenschaft deine Kraft zu entziehen.«

      »Aber du, meine gute Toska? – Was würdest du tun, wenn ich dich verließe?«

      »Ich würde der Wissenschaft zuliebe gern dieses kleine, vorübergehende Opfer bringen«, murmelte ich, während alle Träume aus Tausendundeiner Nacht um mich einen beflügelten Reigen zu schlingen begannen.

      »Aber die Reise würde mindestens ein Jahr dauern, wenn nicht länger!«

      »Und wenn sie zwei Jahre dauerte, mein Freund, so würde ich diese Zeit des Alleinseins ertragen, weil sie die Ehre und der Wissenschaft Nutzen bringen wird!«

      »Ich habe nicht geahnt, dass meine teure Toska so vernünftig denkt!«

      »Du hast mich also unterschätzt, Freund!«

      – Am Abende nach diesem Gespräch blickte ich zum ersten Mal einigermaßen getröstet und hoffnungsfroh in die Zukunft. Ah! ein ganzes Jahr wurde mir geschenkt, ein ganzes, kostbares Jahr meines jungen Lebens! O, wie wollte ich es ausnützen, dieses reiche und einzige Geschenk! – Bis dahin war ich, ohne irgendwie unglücklich zu sein, niemals zu einem nennenswerten Genusse des Lebens gekommen. Meinem armen Papa hatte ich nicht besonders nahe gestanden, sein Tod hatte mich zwar aufrichtig betrübt, aber keine große Lücke in mein Leben gerissen. Intime Freundinnen oder gar Freunde hatte ich nie gehabt. Mein einziges wirkliches Vergnügen war, seit meinen Backfischjahren, das kleine, naive, einsame Liebesspiel gewesen, welches ich ohne Raffinement gelegentlich, nicht einmal täglich, zu meiner Erheiterung betrieb.

      Aber jetzt, aber jetzt! Oft, in den einsamen Nächten, hatte ich das Gefühl, vor einem verschlossenen Garten der Wonne zu stehen. In den Werken der Dichter suchte und

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