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      »Und was sagt man?«

      »Dass es eine abscheuliche Untat ist.« Johannes richtete sich auf.

      »Sicher. Aber haben die Leute auch Mutmaßungen? Wen halten sie für den Täter?«

      »Darüber reden sie doch nicht mit mir, Vater«, entgegnete Johannes. »Ich bin für sie ein Mönchlein. Die Leute mögen uns nicht. Sie glauben, dass wir uns auf ihre Kosten bereichern. Dabei besitze ich nichts. Nicht mal meine Kutte gehört mir.«

      »Schau auf den Tisch«, verlangte Eusebius. Johannes tat es. »Dort siehst du eine Geldbörse. Nimm ein paar Groschen und beschaffe uns unauffällige Kleider.«

      »Aber das darf ich nicht, Vater!«

      »Johannes, kannst du schweigen?«

      »Das jedenfalls hab ich hier gelernt.«

      »Ich habe für den Weihbischof einen geheimen Auftrag zu erledigen«, sagte Eusebius. Das war ein wenig übertrieben, denn Geheimhaltung hatte Balthazar nicht verlangt. Aber es wirkte: Johannes machte große Augen, und seine Wangen röteten sich.

      »Wir unterstehen aber nicht der Diözese, sondern direkt dem Papst«, sagte der Junge. »Der Weihbischof kann uns doch gar keinen Auftrag erteilen?«

      »Einen geheimen schon«, behauptete Eusebius und ließ Johannes nicht aus den Augen. Es sollte doch mit dem Teufel zugehen, wenn ein bisschen Geheimniskrämerei bei einem neugierigen Jüngling nicht auf fruchtbaren Boden fiel. »Außerdem möchte der Prior doch, dass du mir zur Seite stehst?«

      »Das möchte er.«

      »Also tust du, was ich dir befehle. Und du schweigst!«

      »An welche Art von Kleidung dachtet Ihr, Ehrwürdiger Vater?«

      »An bürgerliche«, sagte Eusebius. »Aber schlicht.«

      »Nun langt doch zu, lieber Waldemar!« Heinrich von Alfeld deutete auf den Rinderbraten mit Oliven und Senf. »Nicht dass Ihr hinterher sagt, Ihr hättet beim künftigen Schwiegervater Eurer Tochter Hunger leiden müssen.«

      »Aber mein lieber Heinrich, ich bin satt.« Waldemar Klingenbiel lehnte sich erschöpft zurück. Nach der Biersuppe mit Brot hatte er Biber, Schwanenfleisch und Schweinskopf gegessen, alles erlesene Speisen. Heinrich von Alfeld wollte offensichtlich beweisen, wie gut es ihm ging. Klingenbiel, der Knochenhauer war wie Alfeld, sah mit nur einem Blick auf den Rinderbraten, dass das Fleisch ganz frisch war. Er zögerte. Erst einmal nahm er einen Schluck von dem guten Einbecker Bier.

      »Wir könnten auch Wein trinken«, sagte von Alfeld.

      »Ich bin zufrieden«, entgegnete Klingenbiel.

      »Aber Ihr esst doch noch? Halb verhungert lasse ich Euch nicht gehen.«

      »Nun denn.« Klingenbiel zückte sein Messer, schnitt eine dicke Scheibe vom Rinderbraten, bestrich sie mit Senf und belegte sie mit Oliven. Völlerei war eine Sünde, aber es wäre auch Sünde, den Braten kalt werden zu lassen.

      »So gefallt Ihr mir«, meinte von Alfeld. »Es gibt dann auch noch Konfekt und Nüsse.«

      »Und wir sind uns einig?«, fragte Klingenbiel, um sich noch einmal zu vergewissern, dass alles Wichtige verhandelt worden war; immerhin ging es um die baldige Hochzeit seiner Tochter.

      »Wie besprochen. Peter und Magdalena heiraten zu Sankt Johannes Baptista.«

      »Das ist gut. Bis zum vierundzwanzigsten Juli bleibt uns noch genug Zeit, die Hochzeit vorzubereiten.« Klingenbiel biss ein Stück vom Braten ab. Das Fleisch war zart und saftig, und das gelang bei Rind nicht immer.

      Auch Heinrich von Alfeld bediente sich.

      »Damit sich Magdalena an Peter gewöhnt, könnte sie schon heute bei uns einziehen«, schlug er vor.

      Um nicht gleich antworten zu müssen, spülte Waldemar Klingenbiel das Fleisch mit Bier hinunter. Alfelds Vorschlag gefiel ihm nicht. Es gab gewisse Gerüchte, dass sich sein Gegenüber gern mit sehr jungen Mädchen vergnügte. Vielleicht war an den Gerüchten nichts dran – Klingenbiel versuchte, sich selbst davon zu überzeugen. Im Hause von Alfelds wäre Magdalena aufs Beste versorgt. Ihr würde es an nichts fehlen. Heinrich von Alfeld war reich, viel reicher als er selbst. Und immerhin zählte auch Klingenbiel zu den wohlhabenden Bürgern. Fast nichts war ihm wichtiger, als seiner Tochter ein gutes Auskommen zu verschaffen. Vielleicht musste sie dafür das eine oder andere Opfer bringen.

      Klingenbiel seufzte. »Ein ungewöhnlicher Gedanke«, murmelte er.

      »Wir sind handelseinig?«

      »Heinrich, das wisst Ihr doch.« Klingenbiel reichte seinem Gegenüber nach kurzem Zögern die Hand. »Es ist immer ein Vergnügen, mit Euch Geschäfte zu machen.«

      »Zwei Wünsche noch, wenn es erlaubt ist.« Heinrich von Alfeld ergriff Klingenbiels Hand.

      »Selbstverständlich.«

      »Erstens: Lass uns Du sagen. Und zweitens: Wir sollten uns verwöhnen. Was hältst du von ein paar Stunden in der Badestube?«

      »Eigentlich viel. Aber du traust dich da noch hin?«

      »Was soll schon passieren?« Heinrich von Alfeld schlug Klingenbiel auf die Schulter. »Jetzt ist die Badestube doch noch sicherer als Abrahams Schoß.«

      Jacob Findling hatte sich entschieden. Er musste handeln, und ihm blieb nur ein Weg. Wieder hatte Marie den Gesellen zu sich gerufen, hatte ihn gelockt und mit ihm zärtliche Worte gewechselt, um ihn dann abrupt von sich zu stoßen. Jacob fühlte sich zutiefst gedemütigt. Aber er verstand Marie auch: Zwischen ihnen stand nun einmal sein Ziehvater, der bei Marie die Rechte eines Ehemanns beanspruchen konnte. Das wollte Jacob endlich auch.

      Am späten Vormittag hatte Waldemar Klingenbiel sein Haus verlassen. Jacob hatte eigentlich mit den Lehrjungen Schinken machen sollen, aber das konnten die Jungen auch allein. Er hatte sie instruiert, und dann war er seinem Ziehvater gefolgt. Es regnete nicht mehr, und auch der Wind hatte nachgelassen. Jacob hob den Blick. Der Himmel sah aus, als könne er noch unendlich viele Unwetter verfertigen, aber noch hielt er sich zurück.

      Klingenbiel war nicht weit gegangen, nur vom Andreaskirchhof zur Saustraße. Im Haus Güldener Hirsch war er verschwunden. Jacob wusste, wer in diesem Haus mit den überkragenden Obergeschossen wohnte, der Ratsherr und Knochenhauer von Alfeld nämlich. Über dem Tor prangte ein mit Goldbronze bestrichener Hirschkopf. Hier in der Saustraße lebten die reichsten Männer Hildesheims. Von Alfelds Nachbar war Consul Tile Brandis. Sein fünfgeschossiges Haus war noch prächtiger. Das Fachwerk war mit allegorischem Schnitzwerk versehen, das die Gründungslegende Hildesheims darstellte, und dort, wo Jacob die Wohnstube vermutete, gab es einen ausladenden Erker. So reich wie die Familie Brandis würde Jacob sicher nie sein. Aber er befand sich auf dem besten Weg zu einem Wohlstand, der es ihm erlauben würde, Bürger und Meister zu werden.

      Jacob tastete nach dem linken Ärmel seines Mantels. Dort befand sich der Dolch.

      Wenn Klingenbiel tot war, stand er ihm bei Marie nicht mehr im Wege. War die Trauerfrist verstrichen, würde Jacob um ihre Hand anhalten – zu einem Zeitpunkt, da niemand mehr einen Zusammenhang mit dem Mord vermutete. Marie genösse dann das Witwenrecht, sie konnte das Handwerk ihres Gatten weiterführen, mit einem Gesellen oder eben mit einem neuen Ehemann. Und dieser Ehemann würde Jacob heißen.

      Heute noch würde Waldemar Klingenbiel sterben, sollte Jacob den Mut aufbringen, seinen Vorsatz in die Tat umzusetzen. Er war fest entschlossen, hatte zugleich aber Angst. Wenn die Tat nun misslänge? Sich vorzustellen, einen Menschen zu töten, war das eine. In der Vorstellung genügte ein überraschender Stoß ins Herz. Aber Jacob hatte noch nie jemanden getötet. Vielleicht war das ja viel schwieriger, als er es sich ausmalte. Vielleicht würde Klingenbiel Widerstand leisten.

      Und doch musste es sein.

      »Du wirkst nachdenklich, Tile«, sagte Gesche Brandis. Da der Arzt ihr Ruhe verordnet hatte, befand sie sich noch in ihrer Schlafkammer, hatte sich aber ausgerichtet. Tile setzte sich

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