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      Rupert van Gerven

      Die Zeit ohne uns

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      Roman

      van Gerven, Rupert: Die Zeit ohne uns. Frankfurt am Main, Größenwahn Verlag 2020

      Erste Auflage 2020

      ISBN: 978-3-95771-276-9

      Dieses Buch ist auch als eBook erhältlich und kann über den Handel oder den Verlag bezogen werden.

      ePub-eBook: 978-3-95771-277-6

      Lektorat: Lena Riebl; August-Paul Sonnemann

      Korrektorat: Lilly Pia Seidel

      Satz: 3w+p GmbH, Rimpar

      Umschlaggestaltung: @Annelie Lamers, Hamburg

      Umschlagmotiv: Marti O´Sigma

      Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.d-nb.de abrufbar.

      Der Größenwahn Verlag ist ein Imprint der Bedey Media GmbH,

      Hermannstal 119k, 22119 Hamburg und Mitglied der Verlags-WG:

      https://www.verlags-wg.de

      © Größenwahn Verlag, Frankfurt am Main 2020

      Alle Rechte vorbehalten.

      https://www.groessenwahn-verlag.de

      Widmung:

      All jenen, die nicht frei sind zu lieben,

      ausschließlich weil sie anders sind als die anderen.

      Zitat:

      »Welch triste Epoche, in der es leichter ist ein Atom zu zertrümmern als ein Vorurteil!«

      Albert Einstein

Prolog

      Wörter verbieten die Liebe – Es war einmal 1961

      »Die Liebe hält viel aus«, sagt man. »Ein Paar wird zu oft auf die Probe gestellt« und »Trennungen sind immer schmerzhaft«. Sprüche, die sich in ihrer Brutalität erst zeigen, sobald man selbst davon betroffen ist. Wie viele Amouren können so anfangen? Und wie viele davon finden ein Happy End? Wer könnte so eine Liebesgeschichte erzählen? Und macht er sich strafbar dabei?

      Weder Aaron, der von der Schauspielerei träumte, noch Herbert, der sich vom kommunistischen System eine bessere Zukunft erhoffte, hatten je gelernt, einander von ihren tiefen Verletzungen zu erzählen. Von der Angst des herankommenden Morgens ganz zu schweigen. Exekutionen in einer pechschwarzen Nacht mitten im Nirgendwo. Getarntes Duschen in einem Ort, der Sachsenhausen hieß. Für solche Bilder hatte niemand Sprüche parat. Das Vergessen sollten sie lernen, auch das Abgestempelt-Sein. Der eine als Jude, »wir wussten nichts davon ... und nun ist Ruhe!«, ruft ein Mann, der andere als Kollaborateur: »So, so! Sie haben also gekämpft! Und wie war es denn so an der Front?«, eine Vertriebene kann es nicht fassen. Vergessen wollen und Dankbarkeit für die Zeit, die den beiden das Weiterleben ermöglichte.

      Sie stürzten sich in die Arbeit, jeder in seinem Aufgabenbereich. Aaron hatte akzeptiert, keine zweite Chance in seinem Beruf zu bekommen, also hielt er Herbert den Rücken frei. Sie arrangierten sich. Sie sprachen über ihren Alltag im Leben: Verkaufszahlen von Herberts Büchern, über das neu erstandene Haus in Berlin-Dahlem, über den chromglänzenden Wagen vor der Tür. Nur über »die Zeit ohne uns« zu sprechen, das wagten sie nicht.

      »Die Zeit ohne uns«, so hatte einmal Herbert ihre Liebe bezeichnet, in einem Anflug poetischer Schöpfung – und seitdem klebte dieser Satz in Aarons Kopf, der ähnlich dem Fallobst brutal auf den Boden der Gegenwart zerschellt, doch hoffte auch er gleichzeitig, dass »die Zeit alle Wunden heilt«, so sagt man doch. Ein Gedanke wurde in die neue Zeit gepresst, um die Vergangenheit erträglicher zu machen – bloß nicht darüber reden, keine Wunden aufreißen, »Herberts Körper hatte genug davon«, Aarons ebenfalls, Wunden brauchen Zeit, um zu verheilen, Narben verhindern das eigene Vergessen, welches sich in mancher Nacht Bahn bricht. Besonders, wenn man älter wird und die Angst doch außen vor bleiben sollte und nie mehr Eintritt finden im Leben dieser beiden Männer, deren Liebe über alles steht.

      Doch während alle Menschen in der Bundesrepublik Deutschland – so hieß nun das Land, welches oft Namen, Fahnen, Staatsformen und Grenzen wechselte –, während die meisten ihr eigenes Glück in der Demokratie erleben wollen – in der neuen Wirtschaftswunder-Zeit –, droht Unheil über die große Liebe, über das Traumpaar herzufallen. Der böse Grund ist verankert in einem Paragraphen, denn Wörter verbieten die Liebe! In der BRD also, in der diese Geschichte ein Ende nehmen wird ... gab es einmal ein Liebespaar – Aaron und Herbert.

      Berlin-Dahlem – Herbst 1957

      Herberts kalte Füße stecken in dicken Socken. Schwarzer Tee, inzwischen kalt geworden, in der geöffneten Isolierkanne neben der Schreibmaschine. Der Aschenbecher ist am Überquellen, die Luft zum Zerschneiden dick. Das eingespannte Blatt Papier beinahe leer.

      Auf dem Gang nähert sich ein federnder Schritt, die Tür öffnet sich, und Herberts Züge über der Schreibmaschine werden weicher, ohne dass er sich zu Aaron umwenden muss.

      »Der Verlag wartet auf das Manuskript, mein Herz. Bist du denn noch nicht fertig?« Aaron tritt näher, schaut seinem Liebsten über die Schulter.

      »Oh ja ... doch«, erwidert Herbert.

      »Frau Schreiber lässt nicht locker, sie glaubt, dass deine Autobiografie reißenden Absatz finden würde ... aber was solltest du schon schreiben ...?«

      Blicke treffen sich. Ein Blatt wird aus der Maschine gezogen. Der Autor seufzt. »Wochenlang habe ich dieses Manuskript nicht angefasst. Jede Zeile, die auf der alten Maschine gehämmert wurde, ist von mir.« Fäuste liegen angespannt neben der Schreibmaschine, Aarons Hände ruhen auf Herberts Schultern, wollen Herbert zur Ruhe bringen, doch dieser steigert sich in eine verzweifelte Wut hinein. »Es ist, als hätte jemand anderes diesen Scheiß geschrieben. Es erscheint mir fremd und gelogen, ohne jede Substanz. Warum bezahlen sie mich für diesen Mist so fürstlich?« Er schreit fast. »Sahnepudding, gestärkte Hausmädchenschürze im aufgewirbelten Mehlstaub eines Salzburger Vorstadtgartens. Damit der Kitsch nicht zu kurz kommt, werden auch noch Rosensträucher durch ein Tränenmeer gezogen ... Quatsch eben! Alle Welt will, dass ich meine Autobiografie schreibe! Ja natürlich, es füllt die Haushaltskasse noch ein bisschen mehr ... Sollte ich mich für dieses Projekt entscheiden, wird mir schon etwas einfallen ...«, lässt Herbert resignierend verlauten, seine Hände bedecken das Gesicht, Tränen werden zurückgehalten. Die Vergangenheit will sich wieder einmal seines Kopfes bemächtigen, er muss so viel Kraft aufwenden, um diese Vergangenheit nicht in sich aufsteigen zu lassen.

      Aarons Hände verweilen wieder auf Herberts Schultern, sie wandern zum Nacken, Fingerspitzen versuchen aufzuweichen, was schon so lange verhärtet. Herbert legt seinen Kopf zurück.

      »Ich brauche dich ...«, sagt er leise, er sagt nicht, dass er wieder mal zu seinen Beruhigungstabletten greifen musste, »... wie kann ich sein ... arbeiten, leben ohne dich?«

      Der Regen hämmert unablässig.

      »Wir haben so viel erreicht, das Haus, einen stattlichen Wagen, Personal. Finanziell geht es uns gut. Was brauchen wir mehr?« Herberts Stimme ist jetzt ganz sanft, ein Streicheln.

      Aaron stellt sich an das Fenster, sein Blick wandert über den Rasen, hängt in den Tannenspitzen. Das kleine Häuschen am Ende des Grundstücks, kaum größer als eine Gartenlaube, offiziell Aarons Zuhause. Nur keinen Gerüchten Nahrung geben. Niemand, außer Eingeweihte, darf um ihre Beziehung wissen.

      Abrupt dreht sich Aaron zu Herbert um. Sein leicht gebräuntes Gesicht verliert an Farbe. »Wir haben viel erreicht?« Spott liegt in seinen Worten,

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