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Obers­ten zu se­hen, daß er sie nicht mehr er­schreck­te; bald ge­wöhn­te sie sich dar­an, sich ne­ben ihn zu set­zen, ihn mit ih­rem ma­ge­ren be­weg­li­chen Arm zu um­fas­sen. In die­ser, den Lie­ben­den so teu­ren Hal­tung, gab ihr Phil­ipp lang­sam ei­ni­ges Zucker­zeug, für das die Grä­fin eine Vor­lie­be hat­te. Wenn sie al­les auf­gen­ascht hat­te, ge­sch­ah es zu­wei­len, daß Ste­pha­nie die Ta­schen ih­res Freun­des mit Ges­ten durch­forsch­te, die die me­cha­ni­sche Schnel­lig­keit ei­nes Af­fen zeig­ten. Wenn sie ganz si­cher war, daß er nichts mehr dar­in hat­te, be­trach­te­te sie Phil­ipp mit kla­rem Auge, ohne Ge­dan­ken, ohne ein Wie­de­rer­ken­nen; sie spiel­te dann mit ihm; sie ver­such­te dann, ihm die Stie­fel weg­zu­neh­men, um sei­nen Fuß an­zu­se­hen, sie zer­riß sei­ne Hand­schu­he, setz­te sei­nen Hut auf; sie ließ ihn sei­ne Hän­de in ihr Haar ste­cken, er­laub­te ihm, sie in sei­ne Arme zu neh­men, und emp­fing ohne Ver­gnü­gen glü­hen­de Küs­se. End­lich sah sie ihn schwei­gend an, wenn er Trä­nen ver­goß; sie be­griff wohl den Pfiff von Par­tant pour la Sy­rie, aber es woll­te ihm nicht ge­lin­gen, sie ih­ren ei­ge­nen Na­men »Ste­pha­nie« aus­spre­chen zu las­sen. Phil­ipp wur­de bei sei­nem schreck­li­chen Un­ter­neh­men in ei­ner Hoff­nung fest­ge­hal­ten, die ihn nie­mals ver­ließ. Wenn er an ei­nem schö­nen Herbst­vor­mit­tag die Grä­fin ru­hig auf ei­ner Bank sit­zend sah, un­ter ei­nem gelb ge­wor­de­nen Pap­pel­baum, la­ger­te sich der arme Lie­ben­de zu ih­ren Fü­ßen und sah ihr so lan­ge in die Au­gen, als sie ihn hin­ein­se­hen ließ, in der Hoff­nung, daß das Licht, das ihr dar­aus ent­schlüpf­te, wie­der zur Ver­nunft wer­den wür­de. Manch­mal bil­de­te er sich et­was ein: er glaub­te die har­ten und un­be­weg­li­chen Züge von neu­em zit­ternd, weich und le­ben­dig wer­den zu se­hen und rief aus: »Ste­pha­nie! Ste­pha­nie! Du ver­stehst mich, du siehst mich!« Aber sie hör­te den Ton sei­ner Stim­me wie ein Geräusch, wie die Wir­kung des Win­des, der die Bäu­me be­weg­te, wie das Brül­len der Kuh, auf die sie klet­ter­te; und der Oberst rang ver­zwei­felt sei­ne Hän­de, im­mer von neu­en ver­zwei­felt. Die Zeit und sei­ne ver­geb­li­chen Ver­su­che ver­mehr­ten nur sei­nen Schmerz. Ei­nes Abends, bei ru­hi­gem Him­mel und in­mit­ten des Schwei­gens und Frie­dens des länd­li­chen Asyls, be­merk­te der Dok­tor von fern, wie der Oberst eine Pis­to­le lud. Der alte Arzt be­griff, daß Phil­ipp kei­ne Hoff­nung mehr hat­te; er fühl­te, wie al­les Blut ihm zu Her­zen floß, und wenn er den Schwin­del, der sich sei­ner be­mäch­tig­te, wi­der­stand, so ge­sch­ah es, weil er lie­ber sei­ne Nich­te le­bend und irre se­hen woll­te als tot. Er lief her­zu.

      »Was ma­chen Sie da?« sag­te er.

      »Das ist für mich,« ant­wor­te­te der Oberst und zeig­te auf eine ge­la­de­ne Pis­to­le auf der Bank, »und die dort ist für sie!« füg­te er hin­zu und schob die Ku­gel in die Waf­fe, die er hielt.

      Die Grä­fin lag auf der Erde aus­ge­streckt und spiel­te mit den Ku­geln.

      »Sie wis­sen also nicht,« sag­te kalt der Arzt, der sei­nen Schre­cken ver­barg, »daß sie heu­te Nacht im Schla­fe ge­sagt hat: Phil­ipp?«

      »Sie hat mei­nen Na­men ge­nannt!« rief der Baron und ließ sei­ne Pis­to­le zur Erde fal­len, die Ste­pha­nie wie­der auf­hob; aber er ent­riß sie ih­ren Hän­den, be­mäch­tig­te sich der­je­ni­gen, die sich auf der Bank be­fand, und ret­te­te sich.

      »Arme Klei­ne!« rief der Arzt aus, glück­lich über den Er­folg, den sei­ne List ge­habt hat­te. Er drück­te die Irre an sei­nen Bu­sen und fuhr fort: »Er hät­te sie ge­tö­tet, der Ego­ist! Er will dir den Tod ge­ben, weil er sel­ber lei­det. Er ver­steht es nicht, dich um dei­net­wil­len zu lie­ben, mein Kind! Wir wer­den ihm ver­ge­ben, nicht wahr? Er ist un­sin­nig, und du, du bist nur irre. Gott, mein Lieb­ling, soll dich al­lein an ihn er­in­nern. Wir hal­ten dich für un­glück­lich, weil du an un­se­rem Elend nicht teil­nimmst, tö­richt wie wir sind! Du aber,« sag­te er und setz­te sie auf sei­ne Knie, »du bist glück­lich, nichts stört dich; du lebst wie eine Hirsch­kuh.«

      Sie sprang auf eine jun­ge Am­sel los, die hüpf­te, pack­te sie mit ei­nem klei­nen Schrei der Ge­nug­tu­ung, er­stick­te sie, sah die Tote an und ließ sie am Fuße ei­nes Bau­mes lie­gen, ohne wei­ter an sie zu den­ken.

      Als der nächs­te Mor­gen tag­te, stieg der Oberst in die Gär­ten hin­ab. Er such­te Ste­pha­nie, er glaub­te an sein Glück; und als er sie nicht fand, pfiff er nach ihr. Als die Ge­lieb­te her­an­ge­kom­men war, nahm er sie beim Arm und ging mit ihr zum ers­ten­mal in glei­chem Schritt, sie be­ga­ben sich in ein Ge­sträuch ver­blü­hen­der Bäu­me, von de­nen im Mor­gen­win­de Blät­ter her­ab­fie­len. Der Oberst setz­te sich, und Ste­pha­nie lehn­te sich von selbst an ihn. Phil­ipp zit­ter­te vor Freu­de.

      »Mei­ne Ge­lieb­te,« sag­te er und küß­te mit glü­hen­der Lie­be die Hän­de der Grä­fin, »ich bin Phil­ipp.«

      Sie sah ihn voll Neu­gier­de an.

      »Komm«, füg­te er hin­zu und preß­te sie an sich. »Fühlst du, wie mein Herz schlägt? Es hat nur für dich ge­schla­gen. Ich lie­be dich noch im­mer … Phil­ipp ist nicht tot: er ist hier … Du bist bei ihm … Du bist mei­ne Ste­pha­nie, und ich bin dein Phil­ipp.«

      »Adieu!« sag­te sie, »adieu!«

      Der Oberst er­zit­ter­te, denn er glaub­te zu be­mer­ken, daß sei­ne Er­re­gung sich sei­ner Ge­lieb­ten mit­teil­te. Sein zer­rei­ßen­der Schrei, von der Hoff­nung an­ge­sta­chelt, die­se letz­te An­stren­gung ei­ner ewi­gen Lie­be, ei­ner ver­zeh­ren­den Lei­den­schaft, wür­de die Ver­nunft sei­ner Ge­lieb­ten er­we­cken.

      »Ach, Ste­pha­nie! Wir wer­den glück­lich sein!«

      Sie ließ sich einen Schrei der Ge­nug­tu­ung ent­schlüp­fen, und ihre Au­gen zeig­ten einen war­men Schim­mer von In­tel­li­genz.

      »Sie er­kennt mich wie­der! Ste­pha­nie!«

      Der Oberst fühl­te sein Herz schwel­len und sei­ne Au­gen feucht wer­den. Aber er sah plötz­lich die Grä­fin ihm ein Stück­chen Zu­cker zei­gen, das sie ge­fun­den hat­te, als sie ihn durch­such­te, wäh­rend er sprach. Er hat­te also für einen mensch­li­chen Ge­dan­ken die­sen Grad von Ver­stand ge­hal­ten, den die List des Af­fen vor­aus­setzt. Phil­ipp ver­lor die Be­sin­nung. Herr Fan­jat fand die Grä­fin auf dem Kör­per des Obers­ten sit­zend. Sie biß zum Zei­chen ih­res Ver­gnü­gens in ih­ren Zu­cker mit ei­ner Schön­tue­rei, die man be­wun­dert hät­te, wenn sie, im Be­sitz ih­rer Ver­nunft, zum Spaß ih­ren Pa­pa­gei oder ihre Kat­ze hät­te nach­ah­men wol­len.

      »Ach, mein Freund!« rief Phil­ipp aus, als er wie­der zur Be­sin­nung kam, »ich st­er­be alle Tage, alle Au­gen­bli­cke! Ich lie­be sie zu sehr! Al­les wür­de ich er­tra­gen ha­ben, wenn sie in ih­rem Irr­sinn ein klein we­nig von weib­li­chem Cha­rak­ter bei­be­hal­ten hät­te. Aber sie im­mer wie eine Wil­de se­hen und selbst scham­los, sie se­hen …«

      »Sie wol­len also einen Oper­nirr­sinn ha­ben«, sag­te bit­ter der Dok­tor, »und die Hin­ge­bung Ih­rer Lie­be ist Vor­ur­tei­len un­ter­wor­fen? Wie, mein Herr, ich habe mich des trü­ben Glücks be­raubt, mei­ne Nich­te zu er­näh­ren, ich habe Ih­nen das Ver­gnü­gen über­las­sen, mit ihr zu spie­len, und mir nur die drückends­ten Las­ten vor­be­hal­ten … Wäh­rend Sie schla­fen, wa­che ich über sie, ich … Nein, mein Herr, über­las­sen Sie sie mir wie­der. Ver­las­sen Sie die­se trau­ri­ge Ein­sie­de­lei. Ich kann mit die­sem teu­ren klei­nen We­sen le­ben; ich ver­ste­he ih­ren

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