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bei­den Schütz­lin­ge wäre ich schon tot! Ihret­we­gen sor­ge ich für mein Pferd und esse selbst nicht mehr. Um Him­mels­wil­len hast du nicht ir­gend­ein Stück­chen Brot? Es sind jetzt drei­ßig Stun­den her, daß ich nichts in den Ma­gen be­kom­men habe, und ich habe wie ein Wahn­sin­ni­ger ge­kämpft, um mir das biß­chen Wär­me und Mut zu er­hal­ten, das ich noch be­sit­ze.‹

      ›Ar­mer Phil­ipp! Nichts, nichts. Ver­su­che nicht, hier hin­ein­zu­kom­men! In die­ser Scheu­ne lie­gen un­se­re Ver­wun­de­ten. Stei­ge noch hö­her! Du wirst dann zu dei­ner Rech­ten eine Art von Schwei­ne­ko­ben fin­den: da ist der Ge­ne­ral! Leb wohl, mein Tap­fe­rer. Wenn wir je­mals wie­der auf ei­nem Pa­ri­ser Par­kett Qua­dril­le tan­zen …‹

      Er vollen­de­te den Satz nicht: der Sturm weh­te in die­sem Mo­ment so tückisch, daß der Ad­ju­tant los­mar­schier­te, um nicht zu er­frie­ren, und die Lip­pen des Ma­jors Phil­ipp er­starr­ten. Bald herrsch­te völ­li­ges Schwei­gen. Es wur­de nur von Seuf­zern un­ter­bro­chen, die aus dem Hau­se dran­gen, und durch das dump­fe Geräusch, das das Pferd des Herrn de Sucy mach­te, das vor Hun­ger und Wut die er­fro­re­ne Rin­de kau­te, aus der das Haus er­baut war. Der Ma­jor steck­te sei­nen Sä­bel in die Schei­de, nahm das kost­ba­re Tier, das er zu be­wah­ren ver­stan­den hat­te, jäh beim Zü­gel und riß es, trotz sei­nes Wi­der­stan­des, von der un­heil­vol­len Nah­rung zu­rück, nach der es so gie­rig war.

      ›Vor­wärts, Bi­chet­te, vor­wärts! Du al­lein kannst Ste­pha­nie ret­ten. War­te nur, spä­ter, da wer­den wir uns aus­ru­hen und si­cher ster­ben kön­nen.‹

      Phil­ipp, in einen Pelz gehüllt, dem er sei­ne Er­hal­tung und sei­ne Ener­gie ver­dank­te, fing an zu lau­fen, in­dem er mit den Fü­ßen scharf auf den ge­fro­re­nen Schnee trat, um sich warm zu er­hal­ten. Kaum hat­te der Ma­jor fünf­hun­dert Schritt ge­macht, als er ein tüch­ti­ges Feu­er an dem Plat­ze wahr­nahm, wo er seit heu­te mor­gen sei­nen Wa­gen un­ter der Ob­hut ei­nes al­ten Sol­da­ten ge­las­sen hat­te. Eine furcht­ba­re Un­ru­he be­mäch­tig­te sich sei­ner. Wie alle die, wel­che wäh­rend die­ser Flucht von ei­ner mäch­ti­gen Emp­fin­dung be­herrscht wur­den, ver­spür­te er, um sei­nen Freun­den zu hel­fen, Kräf­te in sich, die er zu sei­ner ei­ge­nen Ret­tung nicht auf­ge­bracht hät­te. Bald be­fand er sich we­ni­ge Schritt von ei­ner Ter­rain­fal­te ent­fernt, in der er, vor den Ku­geln ge­bor­gen, eine jun­ge Frau un­ter­ge­bracht hat­te, sei­ne Ju­gend­ge­fähr­tin und sei­nen teu­ers­ten Schatz!

      Et­li­che Schrit­te vom Wa­gen hat­ten sich etwa drei­ßig Nach­züg­ler vor ei­nem rie­si­gen Feu­er zu­sam­men­ge­fun­den, das sie mit hin­ein­ge­wor­fe­nen Bret­tern, mit den Ober­tei­len von Kas­ten, mit Rä­dern und Wa­gen­wän­den un­ter­hiel­ten. Die­se Sol­da­ten wa­ren je­den­falls die letz­ten al­ler Her­bei­ge­kom­me­nen, die von dem Ein­schnitt zwi­schen dem Ter­rain von Stud­zi­an­ka bis zu dem ver­häng­nis­vol­len Flus­se einen Ozean von Köp­fen, Feu­ern und Ba­ra­cken bil­de­ten, ein le­ben­des, von fast un­merk­li­chen Wo­gen be­weg­tes Meer, aus dem ein dump­fes, manch­mal von schreck­li­chem Lärm un­ter­bro­che­nes Geräusch em­por­drang. Von Hun­ger und Verzweif­lung ge­trie­ben, hat­ten die­se Un­glück­se­li­gen sich wahr­schein­lich zu dem Wa­gen hin­ge­drängt. Der alte Ge­ne­ral und die jun­ge Frau, die hier auf Fet­zen, in Män­tel und Pel­ze ge­wi­ckelt la­gen, wa­ren in die­sem Mo­ment vor dem Feu­er nie­der­ge­kniet. Der eine Wa­gen­vor­hang war zer­ris­sen. So­bald die um das Feu­er ge­la­ger­ten Män­ner die Trit­te des Pfer­des und des Ma­jors hör­ten, er­ho­ben sie einen Schrei wü­ten­den Hun­gers.

      »Ein Pferd, ein Pferd!«

      Al­les ver­ei­nig­te sich zu ei­nem ein­zi­gen Ruf.

      ›Zu­rück! Neh­men Sie sich in acht!‹ rie­fen zwei bis drei Sol­da­ten und mach­ten sich an das Pferd.

      Phil­ipp stell­te sich vor sein Tier und sag­te: ›Schuf­te! Ich sto­ße euch alle in euer Feu­er. Da oben gib­t’s ge­nug tote Pfer­de! Holt sie euch.‹

      ›Ist das ein Spaß­vo­gel, die­ser Of­fi­zier! Eins, zwei, willst du dich weh­ren?‹ ent­geg­ne­te ein rie­si­ger Gre­na­dier. ›Na, gut, wie du willst!‹

      Der Schrei ei­ner Frau lenk­te den Schuß ab. Phil­ipp wur­de glück­li­cher­wei­se nicht ge­trof­fen; aber Bi­chet­te, die zu­sam­men­ge­bro­chen war, kämpf­te mit dem Tode; drei Män­ner stürz­ten sich auf sie und ga­ben ihr mit Ba­jo­nett­stö­ßen den Rest.

      ›Kan­ni­ba­len! Laßt mich we­nigs­tens die De­cke und mei­ne Pis­to­len neh­men,‹ sag­te Phil­ipp ver­zwei­felt. ›Die Pis­to­len, ja‹, er­wi­der­te der Gre­na­dier. ›A­ber was die De­cke an­langt, da ist ein In­fan­te­rist, der seit zwei Ta­gen ›nichts auf sei­ner La­ter­ne‹ hat, und der in sei­nem elen­den Jam­mer­rock zit­tert. Das ist un­ser Ge­ne­ral …‹

      Phil­ipp schwieg, als er einen Mann sah, des­sen Schuh­zeug ver­braucht, des­sen Hose an zehn Stel­len durch­lö­chert war, und der auf dem Kop­fe eine schlech­te, mit Eis be­deck­te Po­li­zei­müt­ze trug. Er be­eil­te sich, sei­ne Pis­to­len an sich zu neh­men. Fünf Män­ner zo­gen das Tier vor das Feu­er und be­gan­nen, es mit sol­cher Ge­schick­lich­keit zu zer­le­gen, wie es Flei­scher­ge­sel­len in Pa­ris hät­ten ma­chen kön­nen. Mit be­wun­de­rungs­wür­di­ger Kunst wur­den die Stücke ab­ge­löst und auf Koh­len ge­legt. Der Ma­jor stell­te sich ne­ben die Frau, die einen Schrei des Ent­set­zens aus­ge­sto­ßen hat­te, als sie ihn wie­der­er­kann­te; er sah sie un­be­weg­lich auf ei­nem Wa­gen­kis­sen sit­zend und sich wär­me­nd; sie be­trach­te­te ihn still­schwei­gend, ohne ihm zu­zu­lä­cheln. Phil­ipp sah jetzt ne­ben ihr den Sol­da­ten, dem er die Ver­tei­di­gung des Wa­gens an­ver­traut hat­te; der arme Mensch war ver­wun­det wor­den. Über­wäl­tigt von der Men­ge, war er eben den Nach­züg­lern ge­wi­chen, die ihn an­ge­grif­fen hat­ten; aber wie ein Hund, der bis zum letz­ten Au­gen­blick das Es­sen sei­nes Herrn ver­tei­digt hat, hat­te er sich sei­nen Teil an der Beu­te ge­nom­men und sich aus ei­nem wei­ßen Tuch eine Art Man­tel ge­macht. Jetzt war er da­mit be­schäf­tigt, ein Stück Pfer­de­fleisch um­zu­dre­hen, und der Ma­jor nahm auf sei­nem Ge­sich­te die Freu­de wahr, die ihm die Zu­rüs­tun­gen zu dem Fes­tes­sen ver­ur­sach­ten. Der Graf von Van­dières, seit drei Ta­gen in eine Art kin­di­schen Zu­stan­des ver­fal­len, blieb auf sei­nem Kis­sen ne­ben sei­ner Frau sit­zen und be­trach­te­te mit un­be­weg­li­chen Au­gen die Flam­men, de­ren Wär­me an­fing, sei­ne Er­star­rung zu mil­dern. Er war von der Ge­fahr und der An­kunft Phil­ipps nicht mehr er­regt wor­den, als von dem Kampf, bei dem sein Wa­gen ge­plün­dert wor­den war. Sucy er­griff zu­erst die Hand der jun­gen Grä­fin, um ihr ein Zei­chen sei­ner Hin­ga­be aus­zu­drücken und ihr den Schmerz dar­über kund­zu­ge­ben, daß sie so ins letz­te Elend ge­ra­ten war; aber er blieb stumm ne­ben ihr auf ei­nem Schnee­h­au­fen, der sich in Was­ser auf­lös­te, sit­zen und gab selbst dem Wohl­ge­fühl, sich zu er­wär­men, nach, die Ge­fahr und al­les an­de­re ver­ges­send. Sein Ge­sicht nahm ge­gen sei­ne Ab­sicht einen bei­na­he stumpf­sin­ni­gen Aus­druck von Freu­de an, und er war­te­te un­ge­dul­dig auf den Au­gen­blick, wo das sei­nen Sol­da­ten ge­ge­be­ne Stück Pfer­de­fleisch ge­bra­ten war. Der Ge­ruch die­ses ver­kohl­ten Flei­sches reiz­te sei­nen Hun­ger, und sein Hun­ger ließ sein Her­zens­emp­fin­den, sei­nen Mut und sei­ne Lie­be schwei­gen. Ohne Zorn be­trach­te­te er die Er­geb­nis­se der Plün­de­rung sei­nes Wa­gens. Alle Leu­te, die

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