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heißen? Ich verstehe dich nicht, Kind.«

      »Frag mich nicht.« Ariane tat ein paar Schritte in den Büroraum hinein, sie preßte die Hände vor der Brust zusammen.

      »Gut, ich werde dich nichts fragen.« Irene sah zum Fenster hin, wo Regentropfen jetzt gegen die Scheiben schlugen. »Aber wenn du so uneins mit dir selbst bist und am liebsten davonlaufen möchtest, würde ich dir doch raten, einen Koffer zu packen und irgendwohin zu fliegen, wo es noch nicht herbstlich ist. Zwei, drei Wochen am Meer, Sonne und Strand…«

      Aber ihre Worte waren an Arianes Ohr vorbeigegangen.

      »Es kommt mir vor, als würde ich Michael untreu, Tante Irene«, sagte sie gequält. »Ja, ich bin wieder lebendig geworden, und das wollte er ja auch, daß ich mich wieder aufrichten sollte. Aber doch nicht so, daß ich für einen anderen Mann wieder etwas empfinden kann, daß ich ihn eines Tages – gar lieben könnte…«

      »Ariane, ist das wahr?« Lebhaft trat Irene auf ihre Nichte zu. »Dann sei doch dankbar, daß dein Herz wieder für einen Menschen schlagen kann. Es sind jetzt drei Jahre her…«

      »Drei Jahre erst, Tante Irene«, unterbrach Ariane sie mit zitternder Stimme. »Müßten es nicht zehn, zwanzig, dreißig sein, da ich Michael so sehr geliebt habe? Und das Kind, Angela, wenn sie mich so anschaut, dann denke ich nicht mehr immer nur an meine Janine, sondern es ist dieses kleine Mädchen vor mir, das um irgend etwas zu betteln scheint. Ach, Tante – ich kenne mich selbst nicht mehr!« Aufschluchzend barg Ariane den Kopf an der anderen Schulter.

      »Meine Liebe, weine nur, jetzt kannst du es wieder«, murmelte Irene bewegt und streichelte ihr das Haar. »Glaube mir, es ist nur natürlich, daß du aus deiner Starrheit erwachst. Wir haben alle darum gebetet.«

      Ein Strom von Tränen mußte noch fließen, bevor Ariane sich beruhigte. »Aber ich kann es Gerhard doch nicht zeigen, daß es bei mir anders geworden ist«, brachte sie dann hervor. »Er ist nett zu mir, aber doch zurückhaltend. Er spricht ja auch nicht von Heirat. Daß wir uns offiziell verlobten, war der Wunsch meines Vaters. Vielleicht bereut Gerhard schon etwas.«

      »Ach, er…« Ein tiefes, wissendes Lächeln umspielte Irenes Mund. Sie wollte sagen, er liebt dich doch, aber sie hielt es zurück. Das sollte er ihr selber sagen, wenn die Stunde gekommen war.

      Doch dann kam ihr eine Idee, die sie auch sofort aussprach, wie elektrisiert davon.

      »Wie wäre es denn, wenn du Torsten und Mireille mal besuchtest, um Abstand zu finden aus der Wirrnis deiner Gefühle? Sie haben dich doch schon so oft eingeladen!«

      »Nach Paris?« fragte Ariane unsicher.

      »Nach Paris, jawohl«, nickte Irene. »Die beiden würden dir eine Menge bieten, und für dich allein kannst du in den Louvre gehen und dir die herrlichsten Gemälde der großen Meister ansehen. Das wäre doch etwas.«

      »Ich werde mal darüber nachdenken«, sagte Ariane und wischte sich ein letztes Mal über die Augen.

      »Nichts da, das machst du«, versetzte die Tante energisch. »Ich rufe sie gleich an, sie werden sicher zu Hause sein um diese Zeit.«

      Die Nummer wußte sie auswendig, telefonierte sie doch öfter mit ihrem Sohn. Er war auch sofort am Apparat. Ein kurzes, aber lebhaftes Gespräch entwickelte sich. »Ich werde es ihr ausrichten«, schloß Irene es ab. »Adieu, mein Junge. Ich umarme dich und Mireille.«

      Danach wandte sie sich an ihre Nichte. »Was habe ich gesagt? Von ihnen aus kannst du morgen schon kommen. Mit Torsten hast du doch schon im Sandkasten gespielt.«

      »Und die ersten Reitversuche auf meinem Pony gemacht«, vollendete Ariane und brachte schon ein kleines Lächeln zustande.

      Sie hatte sich der Tante anvertraut, sie hatte geweint, weil sie vor ihr keine Hemmungen zu haben brauchte. Es war ihr nun etwas leichter.

      Und sie wußte, daß sie fahren würde.

      *

      »Warum hat sie mir nichts davon gesagt?« wunderte sich Gerhard, als Korff ihm am Morgen im Büro eher beiläufig mitteilte, daß Ariane zu Verwandten nach Paris gefahren war.

      »Sie hat sich ganz plötzlich dazu entschlossen«, sagte der Vater. »Sicher wird sie Ihnen schreiben. Ich denke, es ist kein schlechtes Zeichen, daß Ariane von sich aus etwas unternimmt. Damit hat sie doch eine Hemmschwelle überwunden. Allzu lange wäre das undenkbar gewesen, daß sie an irgend etwas Interesse zeigte. Wenn meine Schwester sie nicht hin und wieder in ihrem Kunstsalon beschäftigt hätte, wäre sie überhaupt nicht mehr unter Menschen gegangen. Es beweist doch, daß sie neuen Mut hat.«

      Ausnahmsweise brauchte Gerhard diesmal ein paar Minuten, um sich voll auf die Arbeit zu konzentrieren.

      Was war von dieser überstürzten Abreise zu halten? War es eine Flucht? Er hatte doch schon geglaubt, daß ein kleines Pflänzchen echter Zuneigung für ihn in ihr aufkeimte. Sollte es wieder verdorren, wenn sie sich nun einige Zeit nicht mehr sahen?

      Hatte sie ihm nicht einmal abends beim Abschied von sich aus den Mund geboten, errötend wie ein junges Mädchen. Wie hatte er sich bezwingen müssen, sie nicht ungestüm in die Arme zu nehmen und zu küssen, wie ein Mann die Frau küßt, die er liebt. Es schien ihm dies noch zu früh. Nur einen sanften Kuß hatte er auf ihre Lippen gedrückt. Sie war dann auch ins Haus geeilt, ohne sich umzuwenden, schamvoll fast.

      Was ging in ihr vor, daß sie nun einfach fortgefahren war?

      Dieser Herbsttag erschien Gerhard grauer und düsterer als jeder andere zuvor, wo er sonst bei aller Arbeit kaum darauf achtete, ob Sonne oder Regen war. Er suchte Ariane und fand sie nicht mehr.

      »Sie ist weg?« fragte auch sein Töchterchen ganz bestürzt. »Dann ist sie ja gar nicht zu meinem Geburtstag da! Den hatte ich ihr doch gesagt.«

      »Ariane wird es vergessen haben, Angela. Aber den feiern wir mit ihr nach«, tröstete sie der Papa.

      Fünf Kerzen brannten auf der Geburtstagstorte. Es war ein Samstag, auch Rolf und seine Freundin waren am Nachmittag gekommen.

      »Na, Mäuschen«, sagte der junge Onkel, »du bist ja so still. Freust du dich denn gar nicht, daß die Oma den Tisch so lustig für dich gedeckt hat und du eine Menge Geschenke bekommen hast?«

      »Doch«, nickte das kleine Mädchen gehorsam, »ich freue mich sehr. Ihr seid alle so lieb.«

      »Angie ist enttäuscht, daß Ariane nicht dabei ist«, warf Anja ein und schleckte genüßlich von der Sahne. »Die ist nämlich in Paris.«

      »In Paris«, staunte Katarina. »Was tut sie denn da?«

      »Sie besucht Verwandte dort«, erklärte Gerhard kurz, mit einer leisen Gereiztheit, während er in seinem Kaffee rührte.

      »Vielleicht kümmert sich mein großer Bruder nicht genug um seine Verlobte«, sagte Anja mit einem beziehungsvollen Blick auf ihn.

      »Sie hat noch nichts davon gesagt, daß sie meine Mama werden will«, wisperte Angela. »Wenn sie das nun gar nicht möchte? Dann bleib ich bei meiner Oma, immer und ewig.«

      »Und der Opa zählt wohl gar nicht«, versuchte Vater Arno abzulenken.

      »Wozu hat der dir den Drachen gebastelt, den wir morgen fliegen lassen wollen, wenn ein ordentlicher Wind ist?«

      Angelas Gesichtchen erhellte sich. Der feuerrote Vogel nahm den größten Platz ein auf ihrem Geburtstagstisch. Sie fand ihn sehr schön, und sie war neugierig darauf, wie das ging, daß er hochflog, denn so etwas kannte sie noch nicht. Nun erzählten die Brüder, wie sie früher ihren Spaß damit gehabt hatten, der große und der kleine, und so wurde es doch noch ganz lustig, weil sie Angela damit zum Lachen brachten.

      Dann kam doch noch ein Anruf aus Paris. Die Oma hatte ihn entgegengenommen. »Für dich, Angela«, sagte sie. »Es ist Ariane.«

      Das Kind war so schnell vom Stuhl gerutscht, daß er beinahe umgekippt wäre. »Hallo«, piepste Angela mit heißgewordenen Wangen.

      »Mir

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