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meiner Generation sollen in einer Umfrage, gefragt nach dem besten Spiel der Nationalmannschaft, das WM-Halbfinale 1970 gegen Italien genannt haben. Das verlor Deutschland bekanntlich 3:4 nach Verlängerung. Und es gibt ja keinen Mangel an WM-Titeln in der Geschichte des deutschen Fußballs. Sicher, man braucht als Fan das Siegenwollen als Motivation, um sich überhaupt auf ein Spiel einzulassen. Aber letztlich ist das nicht die Grundlage, nicht die Hauptkomponente an unserer Faszination für eine Mannschaft oder einen Sportler. Im Boxen sagt man ja, mindestens eine große Niederlage gehöre zu den ganz außergewöhnlichen Helden. Anders kann ein Boxer nicht wirklich populär sein. So gesehen, haben Federers große Niederlagen sein Profil nur noch prägnanter gemacht.

      Wie würden Sie ihn einordnen im Vergleich mit den ganz Großen des Sports? Mit Muhammad Ali, Michael Jordan, Pelé, Babe Ruth oder Wayne Gretzky?

      Für mich stehen Muhammad Ali und Federer zuoberst. Und sie haben auch tatsächlich erstaunlich viele – auf den ersten Blick gar nicht sichtbare – Parallelen. Auch Ali wollten die Leute in jedem Land und gegen jeden Gegner siegen sehen. Die ästhetische Komponente stach auch bei Ali gegenüber der Konfrontation hervor. Wie sagte er so schön: «Float like a butterfly, sting like a bee.» Sein Kampf gegen Joe Frazier 1971, den er verlor, war ein Fight des Jahrhunderts. So wie das Wimbledon-­Finale 2008 als größtes Tennisspiel aller Zeiten betrachtet wird. Und vor allem hatte man bei Ali wie bei Federer das Gefühl: Da ist etwas richtig, das über den Sport hinausgeht! Ali gab mir schon als Kind vor dem Radio die Gewissheit, bei ihm könne nichts schiefgehen. Und das schließt Niederlagen ein. Natürlich sind Michael Jordan, Pelé, Babe Ruth oder Wayne Gretzky alle großartig und singulär gewesen. Aber ich möchte Federer und Ali noch über sie stellen. Vielleicht liegt es auch daran, dass sich Größe in Einzelsportarten viel prononcierter zeigt. Und dass Boxen und Tennis eben beide konfrontativ sind, mit einem selten aktivierten Potenzial von Schönheit.

      Und was, wenn Federer nach Grand-Slam-Titeln von Rafael Nadal oder Novak Djokovi´c oder von beiden übertroffen würde?

      Ich finde, die Diskussion nach dem Größten einer Sportart und im Sport überhaupt sollte man nicht nach rein statistischen Kriterien führen. War Muhammad Ali der statistisch beste Boxer? Babe Ruth der statistisch beste Baseballer? Wohl eher nicht. Würde man nur die Statistik zum Maßstab nehmen, ergäben sich keinerlei Diskussionen: Es gäbe dann immer und für jede Kategorie einen objektiv Größten. Je nachdem natürlich, wie man die Statistik anlegt. Und dann wäre die Diskussion schon vorbei. Wenn man dagegen die Debatte mit Begriffen führt, entfaltet man die verschiedenen Aspekte. Das wird den Sportlern eher gerecht. Mit Statistiken fängt man nicht ein, was ihre Faszination ist. Darüber hinaus transzendieren Ali wie Federer eben Sieg und Niederlage.

      Das Leben der Federer-Fans ändert sich faktisch nicht durch seine Siege oder Niederlagen, und trotzdem hallen diese

      in ihnen lange nach: wie der Sieg über Nadal in Melbourne 2017 oder die Niederlage gegen Djokovi´c in Wimbledon 2019. Ist er Teil der Identität seiner Fans geworden?

      Natürlich. Seine Siege und Niederlagen sind Teil der Identität seiner Fans geworden. Dazu hat Christoph Biermann, der für die Fußballzeitschrift «11 Freunde» schreibt, die starke These geäußert, dass Leute durch solche psychische Investitionen ihrem Leben prägnante Sinnprofile geben können. Damit kann ich mich selbst voll und ganz identifizieren. Die Mannschaft, in die ich am meisten emotional investiert habe, ist Stanford Cardinal. Also College-Football. Da wirke ich mit bei der intellektuell-akademischen Betreuung von Spielern und verfolge jedes Heimspiel bei der Mannschaft am Spielfeldrand. Wenn wir ein Heimspiel verlieren, vielleicht sogar noch gegen unseren Erzrivalen Berkeley, sieht man mir das am nächsten Tag vermutlich an. Ich möchte dann nicht einmal nach

      Europa fliegen, weil ich denke, mir stände selbst da die Nie­derlage ins Gesicht geschrieben. Obschon ja in der Schweiz oder in Dänemark niemand etwas vom College-Football weiß. Die zweite Mannschaft, mit der ich mich identifiziere, ist Borussia Dortmund. Als ich neun war, nahm mich mein Opa 1958 mit zu einem Europacupspiel unter Flutlicht gegen die AC Milan. Seitdem ist der BVB eine der Komponenten meines Lebens. So wie Federer zum Leben vieler gehört. Ich finde es immer absurd, wenn irgendwo steht, ich sei ein «bekennender» Fan von Borussia Dortmund. Was soll ich denn bekennen? Ich kann gar nicht anders. So wie es Federer-Fans gibt, die nicht mehr Tennis schauen können, seit er das Wimbledon-Finale 2019 verloren hat, weil es sie immer noch allzu sehr schmerzt. Das sucht man sich nicht aus. Es stößt einem zu.

      Als Dortmund-Fan hat man einen Vorteil: Der Club bleibt einem wohl lebenslang erhalten, Federer wird aber irgendwann aufhören. Wie kann man als Fan damit umgehen, wenn diese wichtige Komponente wegfällt?

      Man kann sie nicht ersetzen. Es wird keinen nächsten Federer geben. So wie es keinen nächsten Elvis Presley gab. Ich kann mich noch gut an den Moment erinnern, als ich im August 1977 hörte, Elvis sei gestorben. Ich war damals gerade in Rio. Klar kann man seine Songs immer wieder hören, aber das ist nie mehr dasselbe. So wie es nicht dasselbe sein wird, Federer-­Videos zu schauen, wenn er seine Karriere beendet hat. Wenn Federer aufhört zu spielen, dann ist das schon – nicht nur

      metaphorisch gesehen – wie ein Tod. Selbst wenn er danach der beste Tenniscoach werden sollte. Tode gehören eben zum

      Leben.

      Was wird zurückbleiben von Federer? Wie wird man ihn in fünfzehn, zwanzig Jahren betrachten?

      Zurückbleiben wird, hoffe ich, dieses beglückende Gefühl, das er uns gab: Wenn es möglich ist, dass einer so Tennis spielt, dann ist etwas richtig an dieser Welt. Ich bin sehr dankbar, ihn als Zeitgenosse erlebt haben zu dürfen.

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