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aber …« Es war Staudinger tatsächlich gelungen, Lotte aus dem Konzept zu bringen. Sie verstummte.

      »Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Meine Fragen zielen nur darauf ab, Ihre Erinnerung zu beflügeln. Sie mögen dadurch manchmal etwas unhöflich klingen. Das ist nicht so gemeint.«

      Ein weiteres Polizeifahrzeug fuhr vor. Mehrere Personen stiegen aus. An ihrem Verhalten erkannten meine geschulten Hauptkommissaraugen, dass es die Spurensicherung war. Eine Dame mittleren Alters kam zu Staudinger herüber.

      »Ah, die Spusi«, begrüßte er die Kollegin.

      Dann wandte er sich wieder Lotte und mir zu: »Wissen Sie, was wir jetzt machen? Sie geben einem der Kollegen hier Ihre Personalien und hinterlassen, wo wir Sie erreichen können. Verdauen Sie das Geschehene erst mal, besonders Sie, gnädige Frau. Morgen treffen wir uns um elf in der Henning-von-Treskow-Straße in Potsdam. Dort werden wir ausführlich über diese mysteriöse schwarze Gestalt reden. Vielleicht sortieren Sie bis dahin Ihre Beobachtungen, Frau Siebert, und erzählen mir hübsch der Reihe nach, was Sie gesehen haben. Ich habe größtes Verständnis dafür, dass Sie noch unter den Eindrücken der Tat stehen.«

      Staudinger reichte mir eine Visitenkarte mit der Adresse seiner Dienststelle.

      »Aber wir sind hier im Urlaub«, tat Lotte ihren Unwillen kund, »den möchten wir nicht in muffigen Amtsstuben absitzen. Außerdem ist mein Mann ebenfalls Kriminalbeamter.«

      Was das wiederum heißen sollte, war mir schleierhaft. Staudinger wahrscheinlich auch.

      Trotzdem sah er mich freundlich mit hochgezogenen Augenbrauen an.

      »Richtig. Ich vergaß. Darf ich Sie bitten, Ihrer Frau ein wenig beim Sortieren zu helfen. Sie wissen ja, worauf es ankommt. Nun müssen Sie mich leider entschuldigen. Ich brenne darauf zu erfahren, wie die Spusi den Tatort sieht.«

      Zum Abschied gab uns Staudinger beiden die Hand. Dann nahm er die Kollegin mit in den Garten.

      Einer der Uniformierten ließ sich unsere Personalausweise zeigen, und notierte unsere Urlaubsadresse sowie meine Handy-Nummer. Er verabschiedete uns und half seinen Kollegen weiter dabei, Haus und Garten mit Flatterband abzusperren. Alles wie bei uns.

      »Fühlst du dich in der Lage, das Fahrrad zurückzuschieben?«, erkundigte ich mich besorgt bei Lotte.

      Sie antwortete erstaunlich restauriert.

      »Lass uns schnellstmöglich von hier abhauen. Was denkt dieser Kerl eigentlich? Dass ich ihm alles wie in einem Polizeibericht herunterrassele? Eingebildeter Fatzke.«

      Daher wehte also der Wind. Meine Allerbeste schrieb die Präzision, die Staudinger an ihrer Aussage bemängelte, seiner Überheblichkeit zu. Na gut. Es war besser, sie hatte etwas zum Aufregen. Das brachte sie zurück auf den Damm.

      Schweigend schoben wir unsere Fahrräder auf dem Weg zurück, den wir hergekommen waren. Am kleinen Strand hielten wir an und nahmen dort erneut die Bank in Beschlag. Mein Blick schweifte zur gegenüberliegenden Havel-Insel hinüber. Welch ein Frieden hier herrschte! Nur wenige hundert Meter vom Schauplatz eines Kapitalverbrechens entfernt.

      »So habe ich mir unseren Urlaub nicht vorgestellt«, beklagte sich Lotte bei mir. »Reifen platt, zwei Erschossenen gegenüberstehen, Zeugenaussage bei der Kripo.«

      »Das ist morgen Mittag überstanden. Danach starten wir durch.«

      »Wir müssen Lucy noch absagen. Die wollte doch morgen früh kommen.«

      Das hatte ich beinahe vergessen. Stimmte ja!

      »Ich rufe Sie heute Abend an. Vielleicht können wir uns mit ihr im Anschluss an unsere Aussage in Potsdam treffen und ein wenig bummeln.«

      Lotte wurde plötzlich leiser. »Wie geht das vor sich, eine Aussage?«, flüsterte sie, als ob wir inmitten eines vollbesetzten Theaters säßen, in dem gerade ein Stück aufgeführt wurde.

      Ich beschrieb ihr das Prozedere. »Du erzählst einfach der zeitlichen Reihenfolge nach, was du gesehen hast. Möglichst detailliert.«

      »Da habe ich nicht den geringsten Bock drauf!«

      »Beruhige dich. Das hat kaum ein Zeuge. Ich habe da einschlägige Erfahrungen, weißt du …«

      Lotte schaute mich verwundert an. Endlich begriff sie, dass ich sie mit meiner Bemerkung trösten wollte und schenkte mir ein kleines, dankbares Lächeln.

      Dann huschte ein neuer Schatten über ihr Gesicht.

      »Die armen Frauen«, jammerte sie wieder.

      ***

      Ecki hat mir aufmerksam zugehört. Er unterbricht mich das erste Mal.

      »Wie hat Lotte das eigentlich weggesteckt?«

      Worauf genau will Ecki hinaus? »Was weggesteckt?«

      »Na, die beiden ermordeten Frauen. Leichen am Tatort, das ist nicht einfach. Mancher verdaut das nie. Kann man sich eigentlich jemals daran gewöhnen? Mit der Zeit stumpft man etwas ab. Aber es ist immer wieder schwer, dem Tod ins Gesicht zu sehen.«

      »Das ist Jahre her, Ecki. Außerdem hat Lotte die beiden ermordeten Frauen nur ganz kurz gesehen. Ich bin ziemlich sicher, dass sich das Bild nicht bei ihr festsetzen konnte. Sie wird keine konkrete Erinnerung daran besitzen. Wir haben zu Hause ewig nicht darüber gesprochen. Ich denke, sie ist drüber weg. Lotte ist ziemlich robust.«

      Mein Erzählfluss ist durch Eckis Zwischenfrage etwas aus dem Lot geraten.

      »Wo mache ich nun weiter? Ach, ja. Es wird glaube ich Zeit, die Geschichte von der Frau zu erzählen. Was meinst du?«

      »Die Sache von dieser ungewollten Schwangerschaft? Wie ewig die Motive für Mord zurückliegen können! Der Mensch trägt manches auf dem Buckel mit sich herum«, sinniert Ecki.

      »Kannste wohl sagen. Als wir das Puzzle stückweise zusammengesetzt haben, damals, waren wir selbst erstaunt, was da alles zutage trat.«

      »Allerbeste Zutaten für einen Doppelmord, finde ich.«

      »Sollen wir nun mit ihrer Geschichte fortfahren?«, fasste ich nach.

      »Meinetwegen. Ihre Geschichte, seine Geschichte, eure Geschichte … Leg einfach los.«

      »Gut. Also ihre Geschichte. Ich erzähle sie dir in der Version, die uns die Frau später selbst serviert hat. Reden konnte sie …!«

      Sie starrte an die Decke. Immerzu an die weiße Decke. So als ob das hier nichts mit ihr zu tun hätte.

      Dann überfielen sie wieder die Wehen. Wellen des Schmerzes.

      »Pressen!«, rief ihr jemand zu, der am Fußende ihrer Liege stand.

      Sie schloss die Augen, spannte den Körper, atmete aus und presste. Wann würde dieser Geburtsvorgang endlich ein Ende nehmen? Wann käme endlich dieses »Balg« aus ihr heraus, wie es der Vater die ganze Zeit über ausschließlich genannt hatte? Mit seinem Ausstoßen wäre ihr Martyrium der letzten Monate endlich zum Abschluss gebracht. Dann wäre sie endlich wieder frei vom Gewicht der Frucht und von der Last, dass sich ihr Leben nur noch darum drehte.

      »Pressen, pressen, pressen!«

      Abgegeben hatte sie die Mutter hier in der Klinik, als es so weit war. Wie einen Gegenstand, den man unauffällig loswerden will.

      »Ich übergebe meine Tochter und ihr Unglück in ihre Hände.«

      Bloß schnell weg. Niemand aus ihrer Familie wollte etwas mit ihrer Schande zu tun haben. Als Geächtete hatte sie zwischen Vater und Mutter gelebt. Versteckt hatte man sie vor den Augen der neugierigen Nachbarschaft, aus dem Leben im Viertel ausradiert. Nicht einmal mehr zum Training hatten sie die Eltern gehen lassen.

      Die nächste Welle Wehen überfiel sie. Noch brutaler, noch schmerzhafter. »Pressen, pressen, pressen!«, feuerte sie die Stimme zu ihren Füßen wieder

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