Скачать книгу

»Nicht. Vielleicht ist es eine Falle.«

      David runzelte die Stirn. »Willst du unsere Freunde im Stich lassen?«

      »Nein«, antwortete Rian mit einem leichten Kopfschütteln, »aber du weißt, wie die Dinge in Paris beinahe ausgegangen wären. Wenn der Getreue uns gefolgt sein sollte, müssen wir uns gut überlegen, wie wir uns ihm nähern.«

      David zog seine leicht gekrümmte Klinge und wollte gerade etwas erwidern, als sie den hohen, schnell ersterbenden Schrei hörten.

      »Jetzt warte ich nicht mehr«, zischte David und spurtete in Richtung der Quelle los.

      Nicht willens, ihren Bruder allein zu lassen, folgte Rian ihm notgedrungen. Sie bemerkte, dass sie nicht die Einzigen waren, die auf den Ursprung des Schreis zuhielten. Während sie zwischen den Bäumen hindurcheilten, rannten die Menschen, die sie beobachtet hatten, unter lauten Rufen den Weg entlang. Rian holte David ein und packte ihn am Pullover, um ihn zurückzuhalten. Sie deutete zu den Sterblichen.

      »Lass sie vorgehen«, sagte sie leise. »Wir beobachten, was geschieht.«

      Etwas schoss von der Seite her auf sie zu, und David fuhr herum. Es war Pirx, direkt gefolgt vom keuchenden Grog.

      »Der Getreue und der Spindeldürre, der Kau …«, ächzte Pirx.

      »Wisst ihr, wer geschrien hat?«, fragte der Prinz.

      Grog senkte den Blick. »Ich denke, es war eine Sterbliche.«

      »Eine Sterbliche? Aber wer würde denn …« David blinzelte kurz und fuhr dann wieder zum Weg herum.

      »Nina«, murmelte Rian.

      Schnell brachten sie die wenigen Bäume und Büsche hinter sich, die sie von der freien Fläche zwischen Quell und Ruhehütte trennten. Als sie die Gestalt im dunklen Kapuzenmantel sahen, die einen Körper in ihren Armen hielt, wollte David vorstürmen, doch die Esoteriker waren schneller.

      Die Menschen hatten den Getreuen inzwischen entdeckt. Sie konnten aber weder den mit Leidensmiene dahinter am Boden liegenden Kau, noch den eben auf der anderen Seite aus dem Wald herbeieilenden Spriggans sehen, denn beide waren für Sterbliche ebenso unsichtbar wie Grog und Pirx.

      »He, du!«, rief ein bärtiger Mann mit einem Schwert und trat einen Schritt vor die restliche Gruppe. »Lass das Mädchen los!«

      Er hielt die Klinge in seiner Hand auf eine Art, als wisse er, wie man damit umging. Rian sah zugleich, dass das Band, das mit dem Wasser zwischen den Menschen gewoben worden war, anscheinend noch an Stärke gewonnen hatte. Es war eindeutig mit Elfenmagie durchtränkt, und so gab sie Grog innerlich mit seiner Vermutung recht – durch ihre Gegenwart und Davids Hilfe beim Wasserschöpfen war etwas auf diese Menschen übergesprungen, das ihnen half, sich gegenseitig zu stärken und zu schützen. Die Kraft war dabei vervielfacht worden.

      Mehrere hielten Dolche in der Hand, dunkle zweischneidige Klingen, und sie wirkten, als wären sie bereit, sie einzusetzen. Rian hatte Zweifel, ob sie unter normalen Umständen so gehandelt hätten.

      Der Getreue musterte die Versammlung der Sterblichen eingehend. Auch er schien all das zu bemerken, was Rian aufgefallen war, und entweder sah er eine echte Gefahr darin, oder er wollte es nicht darauf ankommen lassen.

      Mit einer Kopfbewegung hielt er den Spriggans auf, der sich gerade neben ihm zu einem reißzahnbewehrten Ungeheuer aufzublasen begann, und nickte dann dem Mann mit dem Schwert zu.

      »Wie Sie wünschen«, sagte er in einer Stimme, die unter anderen Umständen angenehm und sympathisch gewirkt hätte.

      Im nächsten Moment öffnete er die Arme, und Ninas Körper sackte herab und schlug auf dem Weg auf. Aus derselben Bewegung heraus warf er den versammelten Menschen eine Kraftwelle entgegen, die sie zurücktaumeln ließ und kurzzeitig das Band zwischen ihnen zum Wabern brachte.

      David spannte sich an, um den Getreuen anzuspringen, doch im nächsten Moment hob der vorderste Mann in der Menschengruppe das Schwert und schwang es zwei Mal herum. Es war, als würde er damit den imaginären Sturm abschneiden.

      »Er flieht«, zischte David.

      Der Getreue war einige Schritte zurückgetreten, und nun wandte er sich um und eilte davon, gefolgt von seinen Helfern. Menschen und Elfen sahen ihm unschlüssig hinterher, um sich dann nahezu zeitgleich zu dem auf dem Boden liegenden Körper in Bewegung zu setzen.

      Obwohl sein Weg weiter war als der der Menschen, erreichte David Nina zuerst. Er ließ sich neben ihr auf die Knie fallen und hob ihren Kopf in seinen Schoß, während die Sterblichen sich in einem Halbkreis um beide sammelten und unsicher auf sie hinuntersahen.

      »Nina. Nina, wach auf«, rief David leise mehrfach, tätschelte ihre Wangen und rieb ihre Hände. Als Rian ihn erreichte, sah er zu ihr auf. »Sie lebt, aber sie ist eiskalt.«

      »Wir haben Decken oben, und heißen Tee«, sagte die kleine blonde Frau. »Karin, Melanie, kommt mit, wir holen die Sachen.«

      »Wir sollten sie ins Krankenhaus bringen«, meinte der Schwertträger. Ihm schien erst jetzt bewusst zu werden, dass er die Waffe noch immer in der Hand hielt, und ließ sie ächzend sinken. »Ich dachte, das Ding könne man gar nicht führen«, murmelte er mit einem verwirrten Blick darauf.

      David stand auf und hob Nina auf seine Arme. »Wir werden sie ins Krankenhaus bringen«, erklärte er.

      Die Menschen sahen ihn skeptisch an, doch die rothaarige Frau nickte. »Ihr scheint ja Freunde von ihr zu sein. Was hat sie denn hier allein gemacht, und wer war der Kerl?«

      Rian trat vor. Sie lächelte die Menschen gewinnend an. »Wir wissen selbst nichts. Nina war beim Auto geblieben, während wir losgezogen sind. Sie wollte dann wohl doch zu uns, und unterwegs hat der miese Kerl sie angegriffen.«

      Der Mann starrte Rian an und fuhr sich dann mit einer Hand über das Gesicht. »Heute ist wirklich eine seltsame Nacht«, meinte er. Er schüttelte den Kopf und sah dann etwas hilflos zu den anderen Menschen.

      Rian bemerkte, wie das Band zwischen ihnen langsam zerfiel, als habe die Anstrengung gegen den Getreuen es ausgetrocknet. Aus den krafterfüllten zusammengeschlossenen Menschen wurden plötzlich wieder einzelne Wesen ohne Verbindung, die sich blinzelnd und verunsichert gegenseitig ansahen. Vermutlich würden sie sich morgen nur noch an die Hälfte der Ereignisse dieser Nacht erinnern.

      Die drei Frauen, die zur Hütte hinaufgegangen waren, kehrten zurück, zwei von ihnen beladen mit Wolldecken, die dritte mit einer Thermoskanne in der Hand.

      »Danke«, sagte Rian und lächelte die Frauen warm an, während sie die Kanne entgegennahm. Die anderen halfen David, die bewusstlose Nina in die Decken einzuwickeln, ehe er sie wieder auf die Arme nahm.

      »Und jetzt macht, so schnell ihr könnt«, meinte die Frau, für die David das Wasser geschöpft hatte. »Und möge die Göttin euch schützen!«

      »Euch auch«, antwortete Rian und hob kurz die Hand, während David bereits mit langen Schritten loslief, gefolgt von dem niedergeschlagen wirkenden Grog und dem erschöpft hinterherstolpernden Pirx. »Welche Göttin auch immer ihr meint.«

      »Rhiannon ist die Schutzpatronin unseres Kreises«, antwortete die Blonde und lächelte breit. »Stark, liebevoll und geduldig wie ein Pferd.«

      Rian blinzelte kurz, dann nickte sie nur und eilte ihrem Bruder nach.

      Rian trat das Gaspedal vollständig durch und raste rücksichtslos durch Kurven und über gerade Strecken. Wenn andere Autos auf ihrer Seite vor ihr auftauchten, blendete sie meist nur kurz auf, ehe sie an ihnen vorbeischoss. Sie musste nicht sehen, ob jemand entgegenkam, um es zu wissen, und das verschaffte ihr in diesem Moment einen unschätzbaren Vorteil.

      Immer wieder wanderte ihr Blick im Rückspiegel zu David, der seitlich auf der Rückbank saß und Ninas Kopf auf seinem Schoß hielt. Er wirkte blass und starrte durch das gegenüberliegende Seitenfenster hinaus.

      »Langsam wird es zur Gewohnheit, dass du deine Lebensenergie mit Menschenfrauen teilst«, stellte Rian fest.

Скачать книгу