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      Stierkampf auf Französisch: Junge Männer springen über die herangaloppierende Kuh.

      Erst nach langer Suche fand ich den Zeltplatz. Er war zwischen einem kleinen Flugplatz und einer Motorradrennbahn eingeklemmt. Das verhieß nichts Gutes. Immerhin verstummte der Motorenlärm gegen 22 Uhr. Ich dachte schon ans Einschlafen, aber da täuschte ich mich. Von einigen nahen Baracken ausgehend, erhob sich zu Ehren der „Grande Nation“ ein infernalischer Discolärm, der bis in die Morgenstunden dauerte. Einer der Scheinwerfer war genau auf mein Zelt gerichtet, und die Schatten der Tanzenden hopsten wie Gespenster über mir auf und ab.

      Ausnahmsweise war es von Vorteil, dass ich nicht schlafen konnte. Im Licht des Scheinwerfers wurde ich auf den Schatten eines Hundes aufmerksam, der sich meinem Zelt näherte und daran herumschnüffelte. Seine Absicht war unverkennbar. Als er schließlich sein Hinterbein hob, um das Zelt nach Hundeart zu markieren, gab ich ihm durch die Zeltwand hindurch einen derart heftigen Fußtritt, dass er jaulend davonrannte.

      An Schlaf war nicht zu denken. Nicht allein wegen des Lärms. Alle möglichen Gedanken schossen mir durch den Kopf. Das lädierte Rad ging mir nicht mehr aus dem Sinn. Es ließ bohrende Zweifel aufkommen, ob ich Santiago je erreichen würde.

       VERFÜHRUNGEN UND NÄCHTLICHE GESCHOSSE

      15. Juli

      Der erzwungene Ruhetag wirkte lähmend auf mich. Planlos und gelangweilt war ich in der Gegend herumgeirrt. Der neu anbrechende Morgen erschien wie eine Erlösung. Punkt neun Uhr begab ich mich ins Städtchen hinauf und stand voller Erwartung vor der Werkstatt. Ein junger Mechaniker traf ein. Er nahm sich sofort Zeit für mich. Zuerst musste das Hinterrad in seine Einzelteile zerlegt werden. Dann ersetzte er die gebrochene Speiche und fügte alles wieder zusammen. Während der Reparaturarbeiten erzählte ich vom gestrigen Stierkampf und sagte ihm, wie sehr mich dieses Schauspiel abgestoßen hatte. Mit Genugtuung vernahm ich, dass auch ihm diese jährliche Veranstaltung zuwider war. Er sagte mir, er würde nie daran teilnehmen.

      Ich war voller Tatendrang. Nun wollte ich Pau ohne Zwischenhalt erreichen. Aber während eines längeren Anstiegs warben Plakate für ein gediegenes Restaurant direkt am Weg. Als es auftauchte, schaute ich stur auf die andere Straßenseite. Ich wollte der Versuchung widerstehen und krallte mich krampfhaft an die Lenkstange. Ich dachte an Odysseus, der sich an den Segelmast binden ließ, damit er nicht von den betörenden Stimmen der menschenfressenden Sirenen verführt werde. Aber auf der Höhe der Gaststätte angekommen, wurde das Fleisch schwach. Ich verließ mein „Schiff“ und betrat das verlockende Haus. Menschenfressende Sirenen waren keine da. Vielmehr eine freundliche Wirtin, die mir das Beste aus der Küche holte.

      Nach dem üppigen Mahl lagen zwar keine Menschenknochen herum wie am Strand der Sirenen, aber ein riesiger Berg von geknackten Miesmuscheln. Und im Garten draußen lag bald darauf ein müder Radfahrer und schlief.

      Die Siesta hatte mir gutgetan. Die Kräfte kamen zurück, und gegen Abend konnte ich in Pau einfahren. Die Nähe zu Lourdes war unübersehbar. Immer wieder wiesen Schilder auf den großen Wallfahrtsort hin. Im Jahre 1968 hatte ich nach meinem Abitur dort zwei Wochen lang als freiwilliger Helfer gearbeitet.

      Die Pyrenäenkette machte sich langsam bemerkbar, denn nach Pau begann ein mühsamer Anstieg bis Oloron, einem bekannten, für mich etwas verwirrenden Touristenort. Zwar fand sich schon bald ein Hinweis auf einen Campingplatz, aber das Städtchen liegt in einem so kupierten Gelände, dass ich nach einigem Hinauf und Hinab, Links und Rechts jede Orientierung verlor und keine Ahnung mehr hatte, in welcher Richtung die Pyrenäen überhaupt lagen. Endlich fand ich das Gesuchte dann doch noch. Was für ein Platz!

      Der Campingbesitzer hatte die gute Idee, für Radfahrer einen eigenen Bereich zu schaffen. Denn während Camper Tische und Stühle in ihren Autos mit sich führen, müssen die Radfahrer beim Zelten stets auf dem nackten Boden sitzen. Hier aber hatten wir eine überdachte Unterkunft mit Tischen und Bänken, mit Wasser und Waschtrögen. Wir konnten miteinander plaudern und unser Essen teilen. Unsere Gruppe bestand aus einem holländischen Ehepaar, einem Briten, der immer die Bibel bei sich trug, und einem in Holland lebenden Deutschen, der alle paar Stunden seine Frau anrufen musste, um sie zu beruhigen.

      Gegen Abend wurden die Wolken, die mich schon den ganzen Tag über begleitet hatten, immer bedrohlicher. Eine schwarze Front näherte sich von Westen her. Nach einem vom holländischen Ehepaar gespendeten Likör zog ich mich ins Zelt zurück und harrte der Dinge, die da kommen sollten. Ich war schon am Einschlafen, als sich ohne Vorwarnung eine gewaltige Explosion ereignete. Sogleich fielen zwei schwere Gegenstände auf mein Zelt, Gott sei Dank, ohne mich direkt zu treffen. Rundherum erbebte die Erde vom Aufschlag weiterer Geschosse.

      In größter Eile kroch ich aus dem widerspenstigen Schlafsack heraus, hielt ihn schützend über meinen Kopf und rannte zu unserem Unterstand, wo sich bereits die anderen eingefunden hatten. Ich glaubte zuerst an ein Erdbeben, dann an eine Explosion in einer nahegelegenen Ziegelei. Aber es war „nur“ ein schwerer Hagelzug, mit Eisbrocken in der Größe von Tennisbällen. Sie hatten alle eine Art Kranz um sich, was sie noch größer erscheinen ließ. So etwas hatte noch keiner von uns erlebt.

      Als das Schlimmste vorüber war, kamen auch die anderen Camper zitternd aus ihren bombardierten Behausungen. Angesichts der Schäden fielen sie sich schockiert um den Hals und weinten. Die Eisbrocken hatten ihre Autos und Caravans in starke Mitleidenschaft gezogen. Große Löcher, gleich Meteoriteneinschlägen, waren auf den Karosserien zu sehen. Die neu gebauten Dächer der sanitären Anlagen waren teilweise zerschlagen. Eternitziegel lagen in den Toiletten und Waschräumen herum. Nur wir Radfahrer hatten keinerlei Schäden zu beklagen. Ja, wir sammelten die vom Himmel gefallenen Eisklumpen, hielten sie in unseren Händen und fotografierten uns gegenseitig.

      Die Hagelfront zog langsam weiter, und der Donner wurde schwächer und schwächer und ließ sich nur noch ab und zu aus der Ferne vernehmen. Nach all der Aufregung wiegte mich die Musik der fallenden Regentropfen in einen tiefen Schlaf.

       „SED“ – DURST

      16. Juli

      Am nächsten Morgen durfte ich mit Freude feststellen, dass meine Behausung innen völlig trocken geblieben war und mein gerade neu erworbenes Zelt seine Regentaufe mit Bravour bestanden hatte. Nach einem gemeinsamen Frühstück mit meinen Kollegen vom Zeltplatz, die alle Richtung Lourdes aufbrachen, sollte für mich der Aufstieg zum Pyrenäenpass Somport beginnen. Doch es ging fast nur geradeaus. Die Straße fraß sich zwar immer tiefer in die Pyrenäen hinein, aber ohne merkliche Steigung. Bei einer Rast breitete ich alle meine nassen Sachen aus und ließ sie von der Sonne trocknen, unter den Augen einer mir unbekannten Schafrasse mit elegant geschwungenen Hörnern.

      Bald schluckte ein für Fahrräder gesperrter Tunnel alle Autofahrer, und so umgab mich auf den letzten Kilometern einsame Stille. Kein Motorengeheul störte die idyllische Gegend, die mich an die Schweizer Alpen erinnerte. Um 14.00 Uhr erreichte ich die Passhöhe (1632 Meter) und wollte gar nicht glauben, dass es von nun an nur noch abwärts gehen sollte.

      Zum ersten Mal in meinem Leben betrat ich nun spanischen Boden. Auf dem Pass gab es ein kleines Restaurant, das ich aufsuchte, um den Anlass gebührend zu feiern und ein paar Karten zu schreiben. Gerade als ich mich wieder aufs Rad schwang, überquerte der Bus eines Pilgerunternehmens aus Einsiedeln die Passhöhe und ließ für einen kurzen Augenblick ein paar heimatliche Gefühle aufkommen.

      Es folgte eine rauschende, 30 Kilometer lange Abfahrt Richtung Süden, bis ich bei der Stadt Jaca die Talebene erreichte. Jetzt konnte ich die letzte, mir noch verbliebene Straßenkarte fortwerfen, denn der restliche Teil des Weges bis Pamplona schien klar vorgegeben. Ich musste mich nur immer schön westwärts halten, und schon bald würde ich Pamplona und kurz darauf Puente la Reina erreichen, wo ich mein Rad abstellen wollte.

      Ich rechnete fest damit, noch an diesem Abend in Puente la Reina einzutreffen. Aber da tauchte eine

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