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Tagen nicht mal das Corned Beef bei Aldi finden. Ich machte mich also einfach in Richtung der wenigsten Ginsterbüsche auf den Weg und hoffte, eine Wäscheleine zu finden, bevor ich den dazugehörigen Waschfrauen begegnete. Leider hing niemand zu dieser Jahreszeit seine Wäsche draußen auf, deshalb musste ich mit einem Plastikbeutel und einem liegen gelassenen Leitkegel auskommen, um mich vor den herbstlichen Elementen zu schützen. Keine idealen Umstände, aber das war leider das Problem mit der heutigen Gesellschaft. Vor vierzig Jahren waren die Hecken noch von illegal abgeladenem Müll übersät gewesen, doch heutzutage war die Landschaft so sauber, dass es schon fast ekelhaft war. Wie sollte ein Werwolf da nach einer wilden Nacht etwas zum Anziehen finden? Ich war schon fast versucht, das bei meinen Gemeinderäten vorzubringen – falls ich in der letzten Nacht, welche von ihnen am Leben gelassen hatte. Es gab noch nicht mal mehr Vogelscheuchen … eine Bezugsquelle, von der ich mir früher immer regelmäßig Klamotten besorgt hatte. Aber nein, die waren auch weg.

      Gut war, dass es mittlerweile Altkleidercontainer gab, die oft sehr abgelegen standen und bis zum Rand voll mit frisch gewaschenen Klamotten waren. Aber es war fast unmöglich, an die Kleidung ran zu kommen. Trotzdem musste ich es heute versuchen. So fand ich mich später am Morgen genau dort wieder, in einer Parkbucht an der A134, wo ich mit einem Zweig in der Hand durch die Klappe eines hellgrünen Metallcontainers angelte, während ich mit der anderen Hand strategisch den Leitkegel hielt und etwas zum Anziehen zu besorgen versuchte.

      Der Verkehr brummte an mir vorbei und man schenkte mir nur ein gelegentliches mitfühlendes Hupen, aber im Großen und Ganzen versuchte niemand, meinem Diebstahl Einhalt zu gebieten. Ich nahm an, dass Thetford an diesem Morgen mit größeren Problemen zu kämpfen hatte.

      Trotz meiner Bemühungen befanden sich die schönen Geschenke im Kleidercontainer in quälender Entfernung. Ich versuchte es, indem ich zwei Zweige abbrach und damit die Klappe aufstemmte, schaffte es aber nur, mehrere Paare Kinderfußballschuhe (alle in Größe 1) und den Karton eines Samsung Flatscreen-Fernsehers herauszuziehen, den jemand fein säuberlich in den falschen Container gesteckt hatte, obwohl der richtige Recyclingbehälter praktischerweise direkt daneben stand. Sehr frustrierend, aber trotzdem nicht schlimmer als meine sonstigen Shopping-Erfahrungen.

      Ich wollte gerade aufgeben, als eine Stimme hinter mir fragte, ob alles klar wäre.

      Ich hatte lange genug in Thetford gelebt, um zu kapieren, dass die Frage, ob alles klar war, nicht wörtlich zu verstehen war. Es ist schwer, die exakte Bedeutung rüberzubringen, aber es bedeutete in etwa so viel wie: Und was zum Henker glaubst du eigentlich, was du da machst, Sonnenscheinchen?

      Ich drehte mich um und erblickte einen Mann mit mehreren Tüten voller leerer Flaschen in den Händen, der neben einem großen weißen Van stand. Er war bestimmt einen Meter achtzig breit und fast genauso groß und hatte Tattoos an Stellen, an denen die meisten anderen Menschen Kleider trugen, und mehr Haare auf seinen Fingerknöcheln als auf seinem Kopf. Ich überflog hastig seine Tinte und schlussfolgerte daraus, dass er den Peterborough United Football Club unterstützte, ein Fan alles Englischen war (einschließlich, aber nicht ausschließlich, flatternder Flaggen und Bulldoggen in Union-Jack-Westen) und entweder auf drei Söhne namens Mickey, Terry und Carl oder aber auf ein Trio homosexueller Liebhaber dieser Namen stolz war.

      »Mir ist kalt«, antwortete ich, was zwar stimmte, aber natürlich nicht die ganze Geschichte war.

      »Bist du Engländer?«, fragte er überrascht. Das war nicht die Erwiderung, die ich erwartet hatte. »Ich dachte, du wärst einer von diesen verfickten Bulgaren. Die hocken nämlich ständig in diesen Tonnen.«

      Mein neuer Freund sah nicht aus wie ein Mann, der scharf darauf war, sich mit Bulgaren abzugeben … oder mit überhaupt jemandem, nackt oder sonst wie.

      »Bulgare?«, fragte ich ein wenig verwirrt.

      »Ja, du weißt schon … aus …«, sagte er und zeigte beiläufig mit dem Daumen über seine Schulter.

      »Bulgarien?«, erkundigte ich mich vorsichtig.

      »Nein. Ja, doch, ich schätze schon. Aber nein, ich mein das Lager die Straße runter. All diese Immigranten da unten. Alles Abschaum!«, spie er aus, als ob allein schon die Worte ihm einen schlechten Geschmack im Mund verursachten.

      »Ich komme aus King’s Lynn«, versicherte ich ihm, merkte aber an der Art, wie sich seine Lippen verzogen, dass er auch nur wenig Sympathien für jemanden aus King’s Lynn besaß.

      »Wo sind denn deine Klamotten?«, fragte er nun. Ich hatte mich schon gefragt, wann er darauf zu sprechen käme.

      »Tja, du wirst es mir wahrscheinlich nicht glauben, aber …«, begann ich.

      Ich werde euch jetzt nicht mit den Einzelheiten meiner Geschichte langweilen, aber als ich fertig war, mochte er Bulgaren noch weniger und war garantiert drauf und dran, dem ersten Ausländer, dem er begegnete, für das, was sie mir meiner Behauptung nach angetan hatten, die Arme abzureißen.

      Mir – einem armen, alten Peterborough United Fan wie er einer war.

      Ich war nicht besonders stolz auf die Lügen, die ich ihm aufgetischt hatte, aber indem ich mir seine Vorurteile zunutze machte, erhielt ich ein verständnisvolles Ohr, ein oranges Weingummi und, was noch viel wichtiger war, etwas zum Anziehen. Gary (oder Gaz, wie er sich selbst nannte) wühlte nach meiner Story hinten in seinem Van herum und fand dort ein Paar kurze Arbeitshosen, ein verschlissenes T-Shirt, eine leuchtende Sicherheitsweste und ein Paar alte Stiefel für mich, die noch nicht mal ein schuhloser Bulgare mitten im tiefsten, dunkelsten Januar würde tragen wollen. Ich revanchierte mich für den Gefallen, indem ich ihm dabei half, mehrere hundert Bierflaschen in die jeweiligen Öffnungen zu stecken, und verabschiedete mich dann herzlich von ihm, als er sich wieder trollte.

      »Tschüss«, rief er ohne einen Anflug von schlechtem Gewissen, weil er mir keine Mitfahrgelegenheit in die Stadt anbot. »Pass auf dich auf. Anscheinend rennt hier draußen irgendwo ein irres Scheißvieh frei rum. Einer von diesen scheißfurchtbaren Zigeunerhunden, möchte ich wetten«, meinte er und fuhr mit quietschenden Reifen und klapperndem Auspuff davon.

      Da lag Gaz aber mal wieder komplett falsch. Dieser irre Hund war nicht bulgarischer als er. Rein technisch gesehen, kam auch er nämlich aus King’s Lynn.

      Das war’s dann mit dem Viertel

      Da ich eine leuchtende Sicherheitsweste anhatte und einen Leitkegel mit mir herumtrug, war es mir möglich, den ganzen Weg bis zur Hauptstraße und in die Stadt zu laufen, ohne dass jemand auch nur mit der Wimper zuckte – oder sich übertriebene Mühe gab, mich nicht umzufahren.

      Als ich die Stadt erreichte, war sie eindeutig nicht mehr dieselbe, die ich in der Nacht zuvor verlassen hatte. Ein blaues blinkendes Lichtermeer erfüllte die High Street und Hundeführer und bewaffnete Polizisten rannten aufgeregt hin und her, während ich an ihnen vorbeiging, ohne dass eine Schnauze oder ein Pistolenlauf auf mich gerichtet wurde. Um der Polizei gegenüber fair zu sein: Ich war es ja eigentlich auch nicht, nach dem sie suchten, und doch war es genau ich, den sie suchten. Sie wussten es nur noch nicht, und ich beabsichtigte, es so lange wie nur möglich dabei zu belassen.

      »Halten Sie sich von der Straße fern. Allen Bewohnern wird geraten, drinnen zu bleiben und bis auf Weiteres Türen und Fenster verschlossen zu halten«, rief ein Polizeikommissar mit Megafon, der hinten auf einem Polizeibus stand und ein paar vereinzelte Seelen dirigierte. Er warf mir einen kurzen Blick zu, als ich an ihm vorbeischlenderte, und so hielt ich meinen Leitkegel in die Höhe, wie um zu fragen: Wo soll der denn hin?

      Der Kommissar ließ mich anstandslos weitergehen, ohne mich noch mal anzusehen, sodass ich meinen Heimweg, vorbei an Reihen über Reihen von Krankenwagen und einem Rudel sensationsgeiler Reporter, unbehelligt fortsetzen konnte.

      Soweit ich hören konnte, wusste niemand, woher die wütende Bestie gekommen oder wohin sie gegangen war, aber sie war im Viertel definitiv eingeschlagen wie eine Kanonenkugel in einem Kindergarten. Es gab bislang sechs bestätigte Todesopfer, aber Gott sei Dank keine Verletzten, denn ansonsten hätte die Stadt bei Anbruch der nächsten Nacht

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