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Augen an und nickte eifrig mit dem Kopf. „Wir sollten alles unternehmen, was möglich ist. Ich bin völlig verzweifelt. Ich habe die ganze Nacht wachgelegen und versucht, mich zu erinnern. Aber da ist nichts, nur ein riesiges schwarzes Loch. Wie würde so eine Fahndung denn ablaufen?“

      „Wir würden eine Profil- und eine Frontalaufnahme und eine kurze Personenbeschreibung von Ihnen als Pressemitteilung in allen Medien veröffentlichen, sprich Print, Fernsehen, Internet, aber auch als Aushänge in Geschäften – das volle Programm. Bei der Polizeibehörde wird gleichzeitig eine Hotline eingerichtet, wo wir die Hinweise sammeln. Wenn Sie von irgendwo hier aus dem näheren Umkreis stammen, dann wird Sie früher oder später jemand erkennen. Meistens geht das sehr schnell, sobald wir an die Öffentlichkeit gehen.“

      „Das hört sich gut an“, murmelte Walter und rührte nachdenklich in seinem Kaffee.

      „Er wird von Tag zu Tag trübsinniger“, dachte Marlene, als sie ihn so ansah.

      Plötzlich betrat Will die Küche. An seinem Hals hatten sich rote Flecken gebildet. Mit seinem großen Stofftaschentuch wischte er sich Schweißtropfen von der Stirn. Er stieß einen tiefen Seufzer aus, bevor er mit gedämpfter Stimme sprach: „Der macht mich fertig, der Mann.“

      „Was ist denn nur los?“, fragte Kleinheinz.

      Will legte den Finger auf seine Lippen und schloss erst mal die Küchentür hinter sich. Dann flüsterte er so leise, dass die anderen ihre Köpfe vorstrecken mussten, um ihn überhaupt zu verstehen: „Der macht eine Betriebsprüfung und hat mir gestern schon zu verstehen gegeben, dass ich mit eine dicke Nachzahlung rechnen muss.“

      „Oh, das ist nicht gut. Was sagt denn dein Steuerberater dazu?“, fragte Kleinheinz.

      „Welcher Steuerberater?“, antwortete Will überrascht. „Als wenn ich solche Halsabschneider mein Geld in der Rachen werf! Ich bin die letzten Jahre immer bloß geschätzt worden, aber angeblich zu niedrig.“

      Kleinheinz kratzte sich an der Schläfe. „Wie geschätzt? Wo gibt es denn so was? Musst du keine Steuererklärung abgeben?“

      Will zuckte mit den Schultern.

      Plötzlich schaltete sich Walter ins Gespräch ein: „Das kann schon sein. Ich vermute mal, dass der Herr Hastenrath nach Durchschnittssätzen besteuert wird. Dann ist das hier vermutlich ein sogenannter 13a-Betrieb. Für kleine landwirtschaftliche Betriebe besteht nicht zwingend eine Buchführungspflicht. Wenn sie gewisse Voraussetzungen erfüllen, kann die Gewinnermittlung auch mit Durchschnittssätzen nach §13a Einkommensteuergesetz erfolgen. Das kann große Vorteile haben für kleine Betriebe, wenn einzelne Gewinnkomponenten nach einem pauschalen Verfahren festgesetzt werden.“

      Drei Augenpaare starrten Walter überrascht an. Und auch er wunderte sich über die Worte, die aus seinem Mund gekommen waren. „Wow“, sagte er, „ich glaube, ich kenne mich damit aus.“

      Kleinheinz verschränkte die Arme vor der Brust und lächelte breit. „Ich finde das unglaublich faszinierend. Wahrscheinlich sind Sie Steuerberater oder Finanzbeamter. Ich merke schon: Wir kommen der Sache langsam näher!“

      Walter schaute den verzweifelten Will an, legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte: „Wenn du willst, schau ich mir das gerne mal an.“

      Das Missverständnis

      7

      Mittwoch 26. Juli, 8.06 Uhr

      Es war jeden Morgen das gleiche. Sobald Richard Borowka das Autohaus Oellers betrat, fühlte er sich schuldig. Und das schon seit über 20 Jahren. So lange arbeitete er bereits in der Werkstatt. In dieser Zeit hatte er sich ein dickes Fell zugelegt, sodass er die täglichen Erniedrigungen seines stets unzufriedenen Chefs Heribert Oellers nicht mehr allzu nah an sich heranließ. Er hatte viele Mitarbeiter in Werkstatt und Büro kommen und vor allem gehen sehen, die meisten lange vor Ablauf der Probezeit. Er und Fredi Jaspers gehörten zu den dienstältesten Mitarbeitern, wobei Fredi ein wenig höher in der Gunst des Chefs stand, da er als Büroleiter wesentlich unverzichtbarer war als die Schrauber in der Werkstatt. Vor allem, da das Büro streng genommen ohnehin nur aus ihm und Fräulein Regina bestand, deren Hauptaufgabe allerdings weniger operativer als eher dekorativer Natur war. Sie war seit jeher als Eyecatcher im Eingangsbereich hinter einer halbrunden Theke platziert. Gemäß Oellers‘ Firmenphilosophie sollte sie die meist männliche Klientel anlocken und vor allem ablenken von den versteckten Mängeln an den angebotenen Gebrauchtwagen. Immer wenn Oellers seinen Kunden Autos präsentierte, die weniger gut kaschierte Schäden aufwiesen, wurde er dabei von Fräulein Regina begleitet, die ein wichtiges Klemmbrett mit Blättern trug, auf denen wahlweise nichts oder unleserliche Kritzeleien und Kringel standen. Sobald der Kunde Bedenken anmeldete und mit dem Kauf haderte, ließ Oellers einen Stift fallen, den Fräulein Regina aufreizend langsam aufhob mit ihrem zum Hochrutschen neigenden Minirock. Fräulein Regina fungierte quasi als fleischgewordene Nebelkerze. Der Erfolg gab Oellers recht und Fräulein Regina eine Jobgarantie. Sie dankte es ihm, indem sie ihren Körper gewissenhaft pflegte und in Form hielt, meist während der Arbeitszeit. Falsche Wimpern, lange Fingernägel, aufgespritzte Lippen und Extensions gehörten bei ihr zur Serienausstattung und auch der üppige Busen wurde regelmäßig zum Wohl der Kunden mit hervorblitzenden Spitzen-BHs zur Geltung gebracht. Und so thronte sie von morgens bis abends hinter dem großen Empfangstresen, direkt gegenüber der Eingangstür. Der Stuhl, auf dem sie saß, war immer so hochgedreht, dass man nicht nur ihr prall gefülltes Dekolleté, sondern stets auch ihre kunstvoll übereinandergeschlagenen Beine sehen konnte.

      Als Borowka an diesem Morgen an die Theke trat, war Regina gerade wieder mit einer ihrer Kernkompetenzen beschäftigt: Sie feilte ihre Nägel. Gelangweilt sagte sie: „Na, Richard. Was ist denn mit dir los? Du siehst ja total kaputt aus.“

      „Kein Wunder“, antwortete Borowka, „ich hab ja auch eine heiße Nacht hinter mir.“

      Regina legte die Nagelfeile aus der Hand und sah ihn mit ihren großen, aufwendig geschminkten Augen an. Jetzt schien ihr Interesse geweckt. „Ach was?“, flötete sie und klimperte dabei mit den Wimpern. „Eine heiße Nacht? Du meinst …“

      „Ja, genau – Schlafzimmer im Dachgeschoss.“

      Regina verdrehte die Augen und feilte weiter. „Außerdem bin ich total gestresst“, fuhr Borowka fort und wedelte dabei mit einem gelben Schein. „Ich musste der Fredi heute Morgen um sieben Uhr zu Dr. Hoppe fahren, weil der sich nicht bewegen kann. Der ist nämlich schwer verletzt.“

      „Wie bitte?“ Regina ließ entsetzt die Feile fallen. „Heißt das, dass ich heute der ganze Tag am Telefon gehen muss?“

      „Nicht nur heute“, erwiderte Borowka mit kaum verhohlener Schadenfreude. „Der Dr. Hoppe meint, das wird noch was länger dauern. Ich bring dem Alten mal die Krankmeldung rein.“

      Schnurstracks ging Borowka auf das Büro von Heribert Oellers zu und passierte dabei den mit Ordnern, Katalogen und Rechnungen zugepflasterten Schreibtisch von Fredi Jaspers. Durch die geschlossene Tür hörte er Oellers bereits mit lauter Stimme palavern. Er klopfte kurz an und betrat dann einfach das Büro, da Heribert Oellers nicht zu Höflichkeiten wie „Herein“-Rufen neigte.

      Als Borowka eintrat, sah und vor allem hörte er, dass sein Chef gerade ein engagiertes telefonisches Kundengespräch führte. Mit knallrotem Kopf brüllte er in den Hörer: „Dann rufen Sie doch Ihr Anwalt an! Wenn der genauso ein Blödspaten ist wie Sie, dann aber gute Nacht … Ja, selber Arschloch!“ Er schmiss den Hörer auf die Gabel und blickte von seinem wuchtigen Schreibtisch auf. „Und was kann ich für dich tun? Haben se dich wieder geschickt, für Ersatzluftblasen für die Wasserwaage zu holen?“

      Borowka musste lachen. „Nee, Quatsch, Chef. Das weiß ich ja mittlerweile, dass es die nicht gibt. Genauso wenig wie die Wasserstrahlbiegezange und die Unterputzfräse.“

      „Komm aufen Punkt, Junge, oder meinst du, ich bezahl dich dafür, dass du mich hier in die Bewusstlosigkeit quatschst? Dafür ist dein Frisör zuständig. Wo du übrigens auch mal wieder hingehen könntest. Du siehst aus wie ein zerrupftes Perückenschaf, das se auf

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