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Boden. Meine Farbgebung wirkte zwar edel, ließ das Bad aber noch kleiner erscheinen, und wie ein Krematorium, wenn ich schlecht drauf war. An diesem Morgen war ich so schlecht nicht drauf, nicht mal bei dem Gedanken, dass das Haus um mich rum rosa gestrichen war, und nachhaltig so bleiben würde.

      „Ein Puff, oder wohnen da die Teletubbies, was meinst?“

      Hatte ich bei meinem Einzug einen Möbelpacker dem anderen zuraunen hören und sie angegrinst. Weil ich ins Paradies einzog. 73 Quadratmeter Wohnung für 698 Euro warm, dazu an der Rückseite eine Terrasse mit Blick auf eine von Büschen und Bäumen eingesäumte Wiese, groß wie ein Fußballfeld. Die nicht bebaut werden durfte. Unter der Bedingung hatte Witwe Amelia Lohrengel das Grundstück mit ihrem Vermögen der Stadt vermacht. Achtzehn Millionen Mark, wofür sie noch darauf bestanden hatte, dass die Sackgasse von der Hauptstraße zu ihrem Haus posthum nach ihr benannt werden musste. Ich hatte nicht mal Nachbarn am Amelia Lohrengel Weg 1. Nummer 2 gab es nicht. Die Hauptstraße lief um das gesamte Grundstück weitläufig herum, war hinten jenseits der großen Wiese mehr zu ahnen als zu sehen und zu hören. In der Hauptstadt hätte ich das alles nicht fürs Dreifache gekriegt. Weshalb ich den rosa Anstrich verkraften konnte. Er war die Rache des Juniors an seiner verstorbenen Mutter, die ihn nur mit dem Pflichtteil bedacht hatte, wozu auch die Immobilie gehörte. Vom Großteil des Millionenvermögens hatte die Mutter den Sohn enterbt, weil er sich gegen seine, nach ihrer Überzeugung widernatürliche Veranlagung nicht behandeln lassen wollte. Da dankte ich wem auch immer für meine Mutter. Sein Erbe reichte dem Sohn, sich mit 39 nur noch nach Lust und Laune als Immobilienmakler beruflich zu betätigen. Als erstes hatte er sein ererbtes Haus rosa eingetüncht und seinen Mietern klargemacht das würde so bleiben. Georg, sein Liebster wohnte über mir. Seine klammernde Nähe hatte Jens Lohrengel, der sich gern J. Lo. abkürzte aus dessen Wohnung im eigenen Haus getrieben. Weshalb das Erdgeschossschnäppchen im Vierparteienhaus für mich frei geworden war. In einer der zwei kleineren Wohnungen über mir und Georg Brunnhuber trieb Hans Todtenhaupt sein Unwesen, auf die 70 zugehend und getrieben von überschwenglicher sexueller Lust, erst ausgebremst von Covid-19-Kontaktsperre. Der abgetakelte Seemann befand sich in Dauerfehde mit seiner jungen streitbaren Wohnungsnachbarin, der leicht ordinären muslimischen Studentin. Ayala Remircan schaute alte PussyTerror TV-Folgen aus der Mediathek und lebte, Allah sei uns allen gnädig, mit einer hundsgemeinen Psychokatze zusammen.

      Eines der losen Werbeblätter zu meinen Füßen lockte mit einem Energydrink, womit ich mich wie neu geboren fühlen würde. So gut war ich nun auch wieder nicht drauf. Meine Lebenslust war ein zartes Pflänzchen und wuchs nicht in den Himmel. Ich wollte nicht neu geboren werden. Nicht in dieser Zeit in dieser Welt. Die verlockte mich zwischendurch eher dazu sie hinter mich zu bringen. Ich erwischte mich wieder dabei, dass ich Issis Attacken auf meine morgendliche Zuflucht vermisste. Klopfen, dreimal, zwanghaft wie Sheldon Cooper in the big bang theorie.

      „Meiner, was treibst du wieder ewig da drin?“

      „Ich geb eine Morgenteegesellschaft!“

      Sie hatte nie verstanden warum Mann mit nackertem Arsch gern auf einer Schüssel hockte und in einsamer Ruhe friedlich erledigen wollte was früh so anstand. Zeitung durchlesen. Und Entscheidungen für den Tag treffen wie: „Meine Zehennägel kann ich auch morgen noch schneiden." Was vorher sorgfältige Betrachtung erforderte. Ein falscher Entschluss bohrte Löcher in Socken. Ich hatte Issi mal zu erklären versucht, dass ich in der Früh durch Nichtreden auf dem Klo Zeit rausholen musste, weil ich die am Tag zum Nachdenken brauchte. Sie hatte die linke Augenbraue hochgezogen, und ich ihr ansehen können, dass sie an meinem Verstand zweifelte. Was sie mir verbal bestätigt hatte.

      „Du sagst Sätze, die machen überhaupt keinen Sinn. Manchmal denke ich du wirst irre.“

      „She came to me one morning…”

      Ich duschte mit Lady in Black und erledigte nebenbei lustlos, aber routiniert aufkommende Morgengeilheit, drehte danach entspannt zwei sanfte Runden am Schuffelbaum. Den hatte ich mir letzten November zu meinem 55. Geburtstag schreinern lassen. Aus harter Buche, gut zwei Meter hoch, ummantelt mit grünen Gumminoppen und auf der filzgepolsterten Stahlplatte verankert, damit er nicht umfiel und den Teufel Sepp erschlug.

      „Hältst du dir einen Tiger, min Jung?“

      Hans hatte mich erwischt, als ich den Kratzbaum aus dem Auto gehievt hatte. Der Tiger war ich. Niemand kratzte eine Beziehungsleiche an unzugänglichen Stellen, wenn´s juckte. Ich hatte es mit handelsüblicher Plastikhand versucht. Als würde ich mein Kreuz mit meiner eigenen Prothese häuten.

      Aus dem Spiegel schaute ein anderer raus als rein. Mein wahres Ich. Nicht das Bild, das ich noch von Sepp Teufel sehen wollte und gesehen hatte, bis meine Konturen zur schwammigen Masse verblassten. Auch Figur hatte sich unter Hüft- und Bauchspeck verkrochen. An ihre 170 Zentimeter drängelten sich gut 90 Kilo. Die Erfolgsspur verlief neben mir. Ich kam nicht mehr drauf, mir fehlte was zählte: Die Hochglanzverpackung. Nicht jung, nicht schön, ein Asozialer in Heidi Klumworld. Wo nicht mehr bloß jeder Arsch sexy zu sein hatte, auch das Scheißpapier, das dann durch Corona auch noch Sammlerwert und Kultstatus erhielt. Ich erinnerte mich an eine Deowerbung für Männer, an ausrastende Weiber, die einem nach Benutzung auf offener Straße die Klamotten runter zu reißen drohten. Dabei zeterten wie eine Horde geiler Paviane. Was mich anging war die Gefahr inzwischen überschaubar.

      „Ich kenn dich nicht, aber ich rasier dich trotzdem.“

      Ich war schon origineller gewesen. Mein Grinsen kam schlaff zurück. Wie ich meine dünnen dunkelblonden Haare kämmte war egal. Vorne wand sich ein Wirbel, der meinen Scheitel mittig bestimmte. Der kleine Sepp hatte seiner Mama geglaubt, dass ihm der Teufel über der Stirn raus wuchs.

      Die Kaffeemaschine in der Küche röchelte kalkig, und ich sprach sie gehässig darauf an.

      „Gut. Besorg´s dir selber. Muss ich auch.“

      Ich frühstückte eine Schinkensemmel und zwei gewollt weichgekochte Eier, die ich hart nehmen musste. Nach einem Haferl Kaffee dazu trieb mich wieder die unbändige Lust auf eine Zigarette um. Gottseidank erfolglos durchsuchte ich die Wohnung, ob nicht doch noch ein paar versteckte Sargnägel rumlagen. Ich war seit über drei Monaten clean. Online hatten sie warum auch immer coronabedingt keine Zigaretten mehr geliefert, dann fand ich gar kein freies Lieferfenster mehr für irgendwas. Im Supermarkt waren die Zigarettenautomaten dauernd leer, kleine Tabakwarenläden hatten ganz dicht. Nur Tankstellen waren noch auch mit Zigaretten bestückt. Mir wurde es zu deppert, sodass ich von einem Tag auf den anderen ganz aufhörte. Und immer noch gegen die Sucht kämpfte.

      Schließlich hatte ich mich für die Welt da draußen fertig gemacht, mit schwarzen Jeans über den Boxershorts mit Obiwan Kenobi und gelbem T-Shirt über nackter Haut. Für alle Fälle zog ich drüber meine dünne grüne wasserabweisende Polyesterjacke.

      Die gottweißwievielte Eiszeit in der Beziehungskiste zwischen Georg und Tschälo war gerade wieder aufgetaut. Sagte mir draußen der braune Jaguar neben dem roten Porsche. Wenn´s über mir drinnen in der Kiste abgegangen war, dann ohne Gedöns. Das rosa Haus war hellhörig.

      In Vorfreude auf Schwammerl, Schnaps und Schwätzchen mit Heiligbrücks letztem Freigeist steuerte ich den Frosch knapp zwei Kilometer stadtauswärts, durch die geteerte Schlucht zwischen den Reihen vierstöckiger alter Wohnblöcke. In grindige Ockerfarbe getaucht, mit grünen Fensterläden, endlos scheinend, nur unterbrochen durch schmale Seitenstraßen. Früher die Eisenbahnersiedlung. In den Sechzigern hatte die Deutsche Bundesbahn die Häuser für ihre Bediensteten bauen lassen. Jetzt brauchte man einen Berechtigungsschein vom Wohnungsamt für die lang gestreckten Wohnbatterien. Hinter dem Fassadendünnschiss war ein Haufen Armut fernab der polierten City ausgelagert. Von einem Supermarkt leuchtete ein rotbäckiger Apfel als Smilie durch die Trostlosigkeit. Armsein war lustig. Auch der Schriftzug um den feixenden Apfel: HKl I für ALG II. Heiligbrücks erster AsO-Markt. Die Betreiber hatten das Kürzel für Langzeitarbeitslose und Obdachlose von ihrer PR-Agentur kreieren lassen, einprägsam, genial und hinterhältig in seiner Schlichtheit. Die Assoziation zu asozial drängte sich buchstäblich auf. Der Stadtrat hatte mit schwarzer Mehrheit den ansässigen Discounterbossen den AsO-Markt als gemeinsames Pilotprojekt genehmigt, und damit machten jetzt alle ein Geschäft mit der

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