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verstorbenen (will heißen: mit seiner ermordeten) Frau geschuldet – einem Briefwechsel geschuldet, wie er stattgefunden hat oder derart hätte stattfinden können, einem Gedankenaustausch, der zweier Menschen Zeit von der gesellschaftlichen Erstarrung der Nachkriegszeit über die hoffnungsfrohen Erwartungen der Siebziger-Jahre bis zum Überwachungsstaat der Gegenwart und bis zur Dystopie des großen Reset und einer neuen, der Neuen Weltordnung widerspiegelt, einer ordo a(b) chao, einer novus ordo s[a]ec[u]lorum, für die – letztlich, gleichwohl – nicht gelten wird: Annuit coeptis. Weil der Herrgott den Machenschaften jener Verbrecher, die gerade dabei sind, ein solch globales in-humanes Unterdrückungs-System zu errichten, nicht gewogen sein kann, Theodizee hin, Theodizee her.

      Die Form des Buches ist also dem Gedankenaustausch, dem Briefwechsel zweier Intellektueller geschuldet, der, letzterer, nicht zuvorderst Ereignisse beschreibt, sondern Hintergründe beleuchtet und Zusammenhänge analysiert. Der sich mit Fragen des Seienden, des Seins und des Menschseins beschäftigt. Gemäß den allumfassenden kantschen Fragen: „Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen?“ Und der in der alles entscheidenden Frage gipfelt: „Was ist der Mensch?“

      Im ersten Brief dieses Gedankenaustausch von insgesamt vielen tausend Seiten schreibt der Autor:

      Liebe Maria,

      wunderbar, dass wir uns regelmäßig schreiben wollen (zumal in einer Zeit, in der Briefe außer Mode gekommen sind und fast nur noch Emails – ohne Rücksicht auf Form und Inhalt – „hingerotzt“ werden).

      Dass wir uns schreiben wollen, um das, was wir erlebt haben, rückschauend aufzuarbeiten (und ggf. das, was uns im Kommenden möglich erscheint, prospektiv zu erörtern).

      Dass wir versuchen wollen, uns das, was Dir und mir widerfahren ist, erneut (oder auch überhaupt und zum ersten Mal) bewusst zu machen, um es dadurch, ggf. erst im Nachhinein, zu verstehen und (neu) zu bewerten.

      Jedenfalls hoffe ich, dass in diesem Briefwechsel eine Zeitreise durch ein halbes Jahrhundert erlebter Geschichte entsteht – von der Nachkriegszeit bis zur Gegenwart.

      Lass uns versuchen, dabei hinter die Kulissen zu blicken; mittlerweile sind wir alt und erfahren genug, Anspruch und Wirklichkeit, Vermeintliches und Tatsächliches, Sein und Schein zu unterscheiden.

      Lass uns eklektisch vorgehen, also bewusst die Ereignisse, Hintergründe und Zusammenhänge auswählen, die nur für uns beide von Bedeutung sind, wie unbedeutend sie anderen auch erscheinen mögen.

      Lass uns unser Wissen – von den Geistes- über die Human- bis zu den Naturwissenschaften – nutzen, um verschiedenste Aspekte menschlichen Denkens, Fühlens und Seins zu ergründen.

      Lass uns ein Genre schaffen, das irgendwo zwischen (tatsächlichem wie fiktivem) Briefwechsel und Tagebuch, zwischen analytischen Erörterungen und höchstpersönlichen Gedanken, Gefühlen und Befindlichkeiten mäandert.

      Lass uns so – ähnlich Peter Bamm, aber selbstverständlich auf unsere ganz eigene Art – ein kleines Zeitgemälde schaffen: subjektiv sicherlich, insofern willkürlich, aber eben das zweier Menschen Zeit.

      Ich weiß, dies ist ein großes Unterfangen. Aber nur so können wir – trotz alledem und alle dem, das uns widerfahren ist – zu Camus´ Erkenntnis gelangen: „In den Tiefen des Winters erfuhr ich schließlich, dass in mir ein unbesiegbarer Sommer liegt.“

DEUTSCHLAND UND DIE ANARCHIE

      DER STAAT – EIN GIGANTISCHER UNTERDRÜCKUNGS-APPARAT: EIN PAAR EINFÜHRENDE GEDANKEN

      Band 4 von „Offensichtliches, Allzuoffensichtliches“ beschäftigt sich mit „Deutschland und die Anarchie“ (Teilbände 1 und 2): Ich, so schreibt der Autor, habe „den Staat“ nur als gigantischen Unterdrückungs-Apparat kennengelernt.

      Der den Interessen einiger weniger dient, die seine (Macht-)Strukturen bestimmen und von ihnen profitieren. Der sich als Moloch geriert, der jegliche Individualität frisst. Mit Haut und Haar. Der nur ein Ziel hat: die vollständige Unterwerfung des Einzelnen unter die Staats-Doktrin, d.h. unter jene Ideologie, die, aus Herrschaftsinteresse, gerade angesagt ist. Und der nur eine Wahl lässt: sich bedingungslos unterzuordnen. Oder aber zugrunde zu gehen.

      Ich kenne nur den Staat, der dem Individuum keinerlei Raum lässt, sich und seine Fähigkeiten, seine kognitiven und emotionalen Möglichkeiten, seine spirituellen und trans-zendenten Potentialitäten zu entfalten.

      Denn er, der Staat, will nicht, dass man ihn trans-zendiert – von einer Metaebene aus wäre er zu erkennen als das, was er tatsächlich ist: sowohl ein System ebenso offensichtlicher wie brutaler Gewalt als auch ein Konstrukt (mehr oder weniger) subtiler Indoktrination; eine unheilige Allianz von Interessen, die nicht dem Wohl der Menschen, sondern dem ihrer (Be-)Herrscher dienen; ein Ungeheuer, das (im dialektischen Spiel der Systeme, welches gleichwohl von denselben resp. den immer gleichen Playern dominiert wird) wahlweise im Namen der (sogenannten) Demokratie oder eines (angeblichen) sonstigen Gemeinwohls, im Sinne irgendeiner Religion oder im Interesse irgendwelcher anderer Werte-Chimäre die Menschen klein, dumm, unmündig und ergeben hält.

      Damit er, der Staat, denen, die hinter ihm stehen (heutzutage, neudeutsch, auch Deep-State genannt), ermöglicht, ihre Geschäfte zu betreiben, ihren Vergnügungen nachzugehen, sich die Masse der Menschen als Arbeits-Vieh, bisweilen auch als Lust-Objekte zu halten.

      Folgerichtig stand für viele Anarchisten am Anfang der Zorn. Das Aufbegehren. Die Rebellion. Das Streben nach Freiheit. Indes: Freiheit wovon? Und: Freiheit wozu? Mehr noch: Ist Abwesenheit von Herrschaft schon („die“) Freiheit? Und weiterhin: Hass als Reaktion auf Unfreiheit, als Mittel und Zweck zu deren Überwindung ist (nicht selten) destruktiv – wird Freiheit somit (oft, meist gar) aus Hass und Zerstörung geboren? Mit anderen Worten: Theorie und Praxis der Anarchie suchen eine Antwort auf die Frage, wie sich der destruktive Zorn des Aufbegehrens in eine konstruktive, schöpferische Form von Freiheit umsetzten lässt. Die, letztere, bunt und widersprüchlich, bizarr und verführerisch die Menschen lockt – seit ihrer, der Menschen, Vertreibung aus dem Paradies. Ist Anarchie mithin nur ein Traum? Oder doch eine durchaus realisierbare Hoffnung? In diesem Spannungsfeld von Herrschaft und Unterdrückung einerseits sowie dem Streben nach Befreiung und Freiheit andererseits entstanden Vorstellung und Praxis der An-archie.

      Warum aber sind nicht alle Menschen – außer der Handvoll, die sie, die Masse, beherrscht – Anarchisten? Warum streben so wenige nach Freiheit? Sicherlich (auch) deshalb, weil ihnen Visionen fehlen. Eine Vorstellung von dem, was könnte sein, was möglich wär. Nicht weniger. Nicht mehr.

      Insofern ist der Anarchismus ein fort- und immerwährendes Experiment, ein „Basar der Vielfalt“, aus dem sich ein jeder, indes nicht nach Belieben bedienen kann. Denn Anarchismus ist ebenso vielfältig wie in keiner Weise willkürlich. Anarchismus ist kein (definiertes und definitives) Ziel, sondern ein Zustand sozialen Zusammenlebens, den die, welche sich gesellschaftlich organisieren, immer wieder wie immer wieder neu bestimmen müssen; er ist nicht die marxsche Utopie einer klassenlosen Gesellschaft, sondern ein ständiges Suchen, Versuchen, Wagen und Ausprobieren.

      Aus dem (obersten) Ziel des Anarchismus, die Herrschaft des Menschen über den Menschen zu beenden, aus dem sozial geprägten anarchistischen Freiheitsgedanken leitet sich die un-bedingte Forderung der Anarchisten ab, den Staat in seiner jeweils herrschenden Form, dessen Macht- und Herrschaftsverhältnisse abzuschaffen. Und Alternativen zur alten Staatlichkeit zu entwickeln.

      Somit sind „die Anarchisten“ (nicht nur eine überaus heterogene Bewegung, sondern auch und namentlich) nicht die gemeingefährlichen Attentäter, Bombenleger, Dynamitarden, Kleine-Kinder-Fresser, als die „man“, will meinen: als welche die Herrschenden, diejenigen, die ihre Machtstrukturen durch jede egalitäre Bewegung bedroht sehen, sie mit Vorliebe darstellen. Anarchisten sind vor allem eins: Freiheitsliebende, die jegliche Herrschaft des Menschen (oder eines Systems) über den Menschen ablehnen. Anarchisten sind und waren ein Kontrapart zu all den Bewegungen, die Menschen unterdrücken oder – oft gefährlicher noch, weil sehr viel schwerer zu erkennen – in eine bestimmte

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