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sie der Ehrlichkeit gewisser Teile der Mitwirkenden mißtrauten.

      In der Nacht zum 13. April (Palmsonntag) veranstalteten einige von Bamberg gedungene militärische Kräfte in München unter Leitung des Bahnhofskommandanten Aschenbrenner einen Aufstand gegen die Räteregierung …

      Die an dem Putsch beteiligten Soldaten handelten keineswegs aus politischer Überzeugung, sondern um die Geldprämien zu erhalten, die die Bamberger Regierung im Betrag von 1500 Mark für jedes Mitglied der zu dem Unternehmen ausersehenen republikanischen Schutztruppe und mehreren tausend Mark für jeden ihrer Führer ausgesetzt hatte … [E.A.: 1914 kostete ein kleines Wohnhaus ca. 13.000-14.000 Mark (s. Preisermittlungsindex für Wohngebäude und Wohngebäudeversicherungen); die für Offiziere ausgesetzte Prämie entsprach mithin in etwa dem Gegenwert eines halben Hauses!]

      Die Wirkung des Putsches war die, daß die Kommunisten aktiv in die Bewegung eingriffen und unter Zustimmung der in der ständigen Betriebsräteversammlung repräsentierten Gesamtarbeiterschaft die Regierungsgewalt übernahmen. Der Rücktritt des bisherigen Zentralrats und der provisorischen Volksbeauftragten und die Machtergreifung der neuen Räteregierung erfolgte … ohne gewaltsamen Umsturz …

      Erst als von der Regierung Hoffmann die Reichsexekutive alarmiert worden war und zur Unterstützung des Bamberger Rumpfkabinetts mit großer Truppenmacht und allem modernen Kriegsgerät in Bayern einrückte; erst als das Proletariat vor der erdrückenden Übermacht der von Generalstabsoffizieren befehligten Reichswehr Position um Position, Stadt um Stadt preisgeben mußte; erst als die junge, aus dem Boden gestampfte, ohne strategische Leitung auf sich selbst gestellte Rote Armee in heroischem Abwehrkampf gegen die landfremden Angreifer verzweifelte Straßenschlachten in München schlug; erst als das Blut von Hunderten und aber Hunderten von Feldgerichten standrechtlich geopfert war, als die entfesselte, durch Lügen und Verleumdungen in besinnungslosen Haß gepeitschte Freikorps-Soldateska viele der besten, dem Ideal ergebenen Revolutionäre ohne irgendwelches Verfahren entsetzlich hingeschlachtet hatte und München der Schauplatz ungeheuerlicher Plünderungen und zügellosester Landsknechtsverwilderung geworden war – erst da sah die Arbeiterschaft ein, daß ihr nichts anderes übrigblieb, als sich mit der Rückkehr der tiefgehaßten Bamberger Regierung und eines Parlaments abzufinden, das am 21. Februar in wilder Flucht, ohne irgendwen zu beauftragen, dem durch die Mordtat des Grafen Arco geschaffenen Chaos zu steuern, den Räteorganen des Proletariats die Interessen des Landes überlassen hatte.“

      „ANARCHIE IST FREIWILLIGE ORDNUNG, KEINE ERZWUNGENE UNTERORDNUNG“ (AUGUSTIN SOUCHY)

      Liebster!

      Zunächst mit Interesse, während der Lektüre dann mit zunehmender Faszination habe ich Deine Ausführungenüber über den Anarchismus in Deutschland gelesen.

      Lass mich nun meinerseits die Geschichte dieser weitgehend unbekannten, meist falsch verstandenen und oft in doloser Absicht verfälscht wiedergegebenen Form gesellschaftlichen Zusammenlebens weiter erzählen, damit die Leser unseres Briefwechsels einen kurzen Überblick erhalten, was durch den Anarchismus möglich war. Und durch ihn als Lebensform möglich wär.

      Ergo: Nach der Novemberrevolution 1918, namentlich jedoch nach den (Bergarbeiter-)Streiks im Ruhrgebiet 1919 76 77 78, erstarkte die anarcho-syndikalistische Bewegung; aus der Freien Vereinigung deutscher Gewerkschaften (FVdG) entstand durch Umbenennung (im September 1919) die Freie Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD), bis zu ihrer Auflösung 1933 die wichtigste anarcho-syndikalistische Organisation Deutschlands:

      „Die Freie Arbeiter Union Deutschlands (FAUD) stellte zu Beginn der zwanziger Jahre eine Massenbewegung mit über 100.000 Mitgliedern dar. Ihren Prinzipien nach stand sie ´auf dem Boden der direkten Aktion und unterstütz[t]e alle Bestrebungen und Kämpfe des Volkes, die mit ihren Zielen – der Abschaffung der Wirtschaftsmonopole und der Gewaltherrschaft des Staates [ – ] nicht im Wiederspruch´ standen. Die Syndikalisten der FAUD hatten es sich zur Aufgabe gemacht, sich unter den vorherrschenden Bedingungen der Staats- und Klassenherrschaft bereits so zu organisieren, daß nach einem erfolgreich abgeschlossenen Generalstreik die Betriebe direkt von den Belegschaften übernommen und in Eigenregie weitergeführt werden konnten.

      Die kapitalistische sollte in eine bedürfnisorientierte Wirtschaft umgestaltet werden. Der Staat als politisch-zentralistische Regulierungs- und Verwaltungsmaschinerie zur Kontrolle der Gesellschaft sollte zugunsten dezentraler kommunaler Selbstverwaltungseinheiten aufgelöst werden.

      Das beinhaltete auch die Abschaffung sämtlicher Stellvertreterinstanzen, welche es zur Aufgabe hatten, zwischen Klasseninteressen zu vermitteln. Dazu zählte das durch das Betriebsverfassungsgesetz von 1920 institutionalisierte Betriebsrätesystem. Dieses gestand der Arbeiterschaft gewisse Rechte der Mitbestimmung zu, bestätigte jedoch gleichzeitig die Eigentumsverhältnisse gegenüber den Produktionsmitteln zugunsten der Kapitalisten“ 79. S. auch 80 81 82 83 84 85 86 87.

      Die FAUD umfasste eine Vielzahl von Gruppen und Untergruppierungen, die von den Kulturorganisationen („Gemeinschaft proletarischer Freidenker“ [GpF] 88 und „Gilde freiheitlicher Bücherfreunde“ [GfB] 89) über die Hilfsorganisationen („Reichsverband für Geburtenregelung und Sexualhygiene“ [RvfG] 90, „Schwarze Scharen“ 91 sowie die Erwerbslosenbewegung 92) und verschiedene Alternativbewegungen (Vagabundenbewegung 93 94 sowie – innerhalb der, z.T. aber auch in Opposition zur FAUD – die Siedlungs- und Genossenschaftsbewegung 95) bis zu den sog. Personengruppenorganisationen reichten („Syndikalistisch-Anarchistische Jugend Deutschlands“ [SAJD] 96 97 98, „Syndikalistischer Frauenbund“ [SFB] 99, Kinderbewegung 100).

      Die FAUD war – im Rahmen des größten Generalstreiks in der deutschen Geschichte – am Scheitern des Kapp-Lüttwitz-Putsches und am sog. Ruhr-Aufstand (jeweils im März 1920) beteiligt 101 102 103; über den Putsch(-Versuch) schreibt DER SPIEGEL 104:

      „Anderthalb Jahre nach dem verlorenen Krieg entlud sich Mitte März 1920 die schwarzweißrote Hochstimmung in der Reichswehr zum ersten Male in öffentlicher Aktion:

      Der ostpreußische Generallandschaftsdirektor Kapp, Generalleutnant von Lüttwitz und die Marinebrigade Ehrhardt griffen nach der Macht im Staate. Die Regierung schien machtlos, denn die Reichswehr stand Gewehr bei Fuß; und zahlreiche Offiziere liefen zu den Putschisten über:

       Der Chef der Marineleitung, Vizeadmiral von Trotha, forderte seine Untergebenen im ganzen Reich auf, den Kapp-Leuten zu gehorchen;

       Hitlers späterer Abwehrchef, der damalige Kapitänleutnant Canaris, entschied sich ´ohne Zögern für die Truppe´;

       die Generale von Estorff in Königsberg, Graf Schmettow in Breslau, von Lettow-Vorbeck in Schwerin, Hagenberg in Weimar und der Oberst Freiherr von Wangenheim in Hamburg traten zu Kapp über.

      ... [D]er General Hans von Seeckt, damals Chef des Truppenamts im Reichswehrministerium, erwiderte auf die Bitte des sozialdemokratischen Reichswehrministers Noske, gegen die Meuterer vorzugehen: ´Truppe schießt nicht auf Truppe.´“

      Und Ver.di, die „Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft“ (deren Vorsitzender bis vor wenigen Wochen, Frank Bsirske, wohl ähnlich Altbundeskanzler Schröder ein Genosse der Bosse ist 105 106), schreibt im Zusammenhang mit dem Generalstreik von 1920 107:

      „Nur wenige Monate nach ihrer Gründung wird die Weimarer Republik von innen bedroht: Teile der Wehrmacht wollen die Demokratie zerschlagen. Gegen diesen sogenannten ´Kapp-Putsch´ rufen die Gewerkschaften zum Generalstreik auf. Es wird ein Kampf um die Zukunft Deutschlands …

      Der Generalstreik zeigt Wirkung: Der Putsch ist nach vier Tagen beendet. In verschiedenen Regionen des Reichs jedoch gehen die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Militär und Arbeiterschaft weiter, am heftigsten im Ruhrgebiet.

      Dazu heißt es im Aufruf des ver.di-Bezirks

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