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haben, wobei sie beeindruckend viel Volk mit sich führten voller gutem Willen und Gehorsam«. Ein wenig großspurig fügte er hinzu: »Wir glauben, dass hier nie zuvor ein König so allgemein und von allen willkommen geheißen und verehrt worden ist wie wir.« Kurz danach erkrankte er, musste das Bett hüten und aß so gut wie nichts, während seine Ärzte ihn mit diversen Arzneien traktierten, »denen sie oft auch vom geriebenen Horn eines Einhorns beimischten«. Karl wurde schließlich so krank, dass »selbst seine Hofnarren ihn nicht mehr zum Lachen bringen konnten«.7

      Die Ärzte kamen zu dem Schluss, dass »die Seeluft die Schuld trug«, und deshalb marschierte man nicht weiter nach Santander, wo Karls Flotte mit den restlichen Vorräten eingetroffen war. Der König und ein kleines Gefolge machten sich vielmehr auf den direkten Weg nach Kastilien, wozu sie ein Gebirge von beinahe 2000 Metern Höhe überqueren mussten – eine tollkühne Entscheidung in jeder Lage, aber angesichts von Karls angegriffener Gesundheit war sie geradezu töricht. Zunächst kamen sie noch durch Dörfer, in denen selbst »in der Kammer des Königs Bärenfelle hingen statt der gewohnten Wandteppiche«, dann gab es nur noch ärmliche Hütten »mit gänzlich blanken Wänden«, und schließlich kamen sie an einen Ort, »wo wir nicht ein einziges Haus finden konnten, das nicht stank und von dem Vieh, das darin üblicherweise nächtigte, ganz und gar voller Krankheiten war«. Also schlug die königliche Reisegesellschaft Zelte auf und richtete sich gerade auf eine Nacht im Freien ein, als erneut ein »kalter, finsterer Nebel« herabsank, gefolgt von heftigen Windböen und einem weiteren Wolkenbruch – der diesmal jedoch in Schneefall überging. Es war nichts zu machen: Sie mussten in einer der Hütten Zuflucht suchen und die Nacht zwischen übel riechenden und von Flöhen übersäten Nutztieren verbringen. Selbst Vital, der sich normalerweise von nichts unterkriegen ließ, überkam eine gewisse Entmutigung: »Sechsundzwanzig Tage sind vergangen, seit der König von Bord gegangen und in Spanien gelandet ist«, schrieb er traurig – und doch hatten sie gerade einmal achtzig Kilometer zurückgelegt!8

      Sobald Karls Gefolge nahe Palencia wieder auf den königlichen Versorgungstross gestoßen war, verbesserten sich die Bedingungen zumindest ein wenig; aber die Tortur war noch lange nicht vorbei. Am 31. Oktober passierten sie »mehrere Dörfer, von denen man nur die Kirche sah, weil die Häuser und Unterkünfte der Bewohner in der Erde verborgen lagen, in Höhlen und dunklen Gängen, wie Kaninchenbaue«; und nachdem Karl spät an diesem Abend vor Allerheiligen feierlich in das winzige Städtchen Becerril de Campos eingezogen war, »ordnete er an, dass in seiner Unterkunft eine festliche Vesper gesungen werde, aß an jenem Abend jedoch nichts« – denn es gab nichts zu essen.

      Die vier Monate zwischen Karls Abreise aus Gent im Juni 1517 und seiner Ankunft in Becerril am Abend vor Allerheiligen waren vermutlich die elendesten Monate seines Lebens und auch die am wenigsten produktiven: Er führte während dieser Zeit so gut wie keine Regierungsgeschäfte, obwohl sich anderenorts dramatische Entwicklungen ergaben. In Nordafrika wurde Karls Expeditionsheer von den muslimischen Verteidigern von Algier beinahe völlig aufgerieben, was in ganz Spanien für Entsetzen und Wut sorgte. Weiter im Osten befehligte Sultan Selim I. die osmanische Eroberung Ägyptens und der Arabischen Halbinsel und beanspruchte für sich die Kalifenwürde. Wie der Historiker Andrew Hess, ein Fachmann für die Geschichte des Osmanischen Reiches, ausgeführt hat, »katapultierte dies die Osmanen nicht nur in eine Führungsposition innerhalb der weit ausgedehnten muslimischen Welt, sondern verschaffte den Herrschern in Istanbul auch die nötigen Ressourcen, um ihren Machtbereich nach Norden bis vor die Tore Wiens und nach Westen bis zur Straße von Gibraltar auszudehnen«. An beiden genannten Punkten trafen sie jedoch auf habsburgische Gegenwehr. So begann also der »Weltkrieg des 16. Jahrhunderts«, der während Karls ganzer weiterer Regierungszeit seine Aufmerksamkeit fordern und seine Ressourcen verschlingen sollte.9 Für die weitere Entwicklung kaum weniger bedeutsam: Martin Luther, ein unbekannter Theologieprofessor an der Universität im sächsischen Wittenberg, hatte eine Liste von Einwänden gegen die Theorie und Praxis des Ablasshandels verfasst, mit dem die Kirche einen Sündenerlass gegen Geldspenden für fromme Zwecke in Aussicht stellte. Am 31. Oktober 1517, als Karl gerade in Becerril sein unfreiwilliges Fasten begann, veröffentlichte Luther seine 95 Thesen über die Kraft der Ablässe in Wittenberg. Bis zum Jahresende waren sie in Hunderten von gedruckten Exemplaren in deutscher und lateinischer Sprache in Umlauf gekommen. Ein weiterer, anders gelagerter »Weltkrieg des 16. Jahrhunderts« hatte begonnen.

      Eine Mutter und ihre Kinder

      Karl hatte veranlasst, dass die Cortes von Kastilien in Valladolid zusammentreten und ihm dort als König huldigen sollten, und so machte sich nun sein Hofstaat auf den Weg dorthin. Karl selbst und Eleonore zogen jedoch stattdessen nach Tordesillas. Seinem Bruder Ferdinand erklärte der König dies so: »Mein vorrangiger Beweggrund, in diese Reiche zu kommen, bestand ja darin, Ihre Hoheit [d. i. Johanna] zu sehen, zu stützen und zu trösten, soviel ich nur kann. Deshalb habe ich beschlossen, noch bevor ich irgendetwas anderes tue, das mit diesem Königreich zusammenhängt, gleich und unverzüglich zu Ihrer Majestät zu gehen und Ihre Hände zu küssen.« Am 4. November 1517 ritten Karl und Eleonore in Tordesillas ein, um ihre Mutter zu besuchen, die sie seit nunmehr zwölf Jahren nicht mehr gesehen hatten. Nachdem sie sich kurz in die für sie bereitstehenden Gemächer zurückgezogen hatten, die mit den von Johanna aus den Niederlanden mitgebrachten Wandteppichen reich geschmückt waren, machten Karl und Eleonore in Begleitung Chièvres’ der Königin ihre Aufwartung. Als Karl dann vor ihr kniete, »fragte [Johanna] den König dreimal, ob er wirklich ihr Sohn sei«, und fügte hinzu: »Wie groß Ihr in so kurzer Zeit geworden seid!« Hierauf »küsste sie ihn auf die Wange und Madame Eleonore gleichermaßen. Dann sprach sie: ›Geht und ruht Euch aus; Ihr müsst müde sein.‹«10 Gehorsam zogen sich die Kinder in ihre Gemächer zurück, nur Chièvres blieb noch und unterhielt sich »eine gute halbe Stunde lang« mit der Königin. Johanna behauptete, sich an den Baron aus ihrer Zeit in den Niederlanden noch gut erinnern zu können, und der nutzte diesen Vorteil aus, indem er ihr nahelegte, sie solle »klugerweise [Karl] schon jetzt die Hoheitsgewalt überlassen, damit er zu Euren Lebzeiten bereits lernen kann, zu herrschen und Euer Volk zu regieren«.11 Sie stimmte dem zu (oder zumindest sollten seine Minister das später behaupten). Dadurch wurde Karls Autorität in Kastilien entscheidend gestärkt, da die Cortes seine Mutter (und nur seine Mutter) als ihren rechtmäßigen Souverän anerkannt hatten. Fortan sollte Johanna – obgleich sie bis zu ihrem Tod im Jahr 1555 »Königin-Eigentümerin (reina proprietaria)« von Kastilien blieb und ihr Name auf allen Münzen und offiziellen Dokumenten stets neben dem ihres Sohnes erschien – nie mehr Karls Anspruch anfechten, in ihrer beider Namen allein zu regieren.

      Auch erhob Johanna keinerlei Anspruch auf den Titel einer »Königin von Aragón« – ursprünglich wohl, weil man ihr vorgaukelte, Ferdinand von Aragón wäre noch am Leben. Dieses Täuschungsmanöver nahm seinen Lauf, als Cisneros und der Regentschaftsrat unmittelbar nach Ferdinands Tod entschieden, dass ihr die schlechte Nachricht nicht zuzumuten sei, und ihr von seinem Tod nichts sagten. Die Situation verschärfte sich, nachdem Karl im März 1518 den Haushalt seiner Mutter und auch die Stadt Tordesillas dem Marqués de Denia, Bernardo de Sandoval y Rojas, unterstellt hatte, denn in der Folge »erfand Denia mit der Zustimmung des Königs eine fiktive Welt« für Johanna.12

      Diese fiktive Welt war darauf angewiesen, dass rund um die Königin eine doppelte »Mauer des Schweigens« gezogen wurde. Denia untersagte ihr den Zutritt zu allen Räumen ihres Palastes, die über ein Fenster verfügten, weil er verhindern wollte, dass sie mit irgendjemandem aus der »Außenwelt« sprach oder auch nur Blickkontakt hatte. Stattdessen »schloss er sie in ihrer Kammer ein, wo es kein anderes Licht gab als das einer Kerze«. Außerdem erlaubte Denia ausschließlich einer handverlesenen Dienerschaft – allesamt weiblich, die Aufsicht führte Denias Frau – den Zutritt zur Königin, während ebenso handverlesene Wachen allen anderen den Zutritt verwehrten. Alle diese Bediensteten waren ebenfalls Gefangene, denn sie durften weder den Palast verlassen noch mit irgendjemandem außerhalb seiner Mauern kommunizieren, noch nicht einmal mit Karls anderen Dienern und Ministern. Es sollte nämlich, wie Denia es formulierte, »alles, was hier geschieht, vor allen geheim gehalten werden, insbesondere vor den Mitgliedern des Rates«. Denia bestand außerdem darauf, dass nur er und seine Frau mit der Königin sprechen dürften, und wenn es sich doch einmal als unvermeidlich erwies,

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