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verschwunden. Und damit auch die Orte spontaner Begegnungen. 1965, als P.s Familie von Seesen nach Bornhausen in das eigene Haus zog, gab es einen Fleischer, zwei Bäcker, vier Lebensmittelläden, einen Kurzwarenladen, später eine Versandhausniederlassung in einem der Bäckerläden und drei Gaststätten. Noch in den 80er Jahren setzten unsere noch nicht schulpflichtigen Söhne an einer der Ladentheken im Dorf die Münzzuwendungen von Oma heimlich in ‚verbotene‘ Leckereien um. Wie wir erst viele Jahre später erfuhren. Heute wäre das mangels Möglichkeiten nicht mehr machbar. Jedenfalls nicht an altem Ort.

      Versorgungsstationen

      Unter einem Regendach zwischen dem Flüßchen Schildau und der ‚Domäne‘ ersetzt heute eine öffentliche Lebensmittelversorgungsstation auf ca. zwei Quadratmetern die früheren Einkaufsmöglichkeiten nur spärlich: Ein Kühlschrank gefüllt mit Zehnerpacks Eiern, vom Bauern irgendwo aus der Nachbarschaft, ein Kühlschrank mit Honiggläsern, befüllt vom Seesener Imker, und eine Kiste mit abgepackten Kartoffeln, auch aus der Gegend. Daneben kleine, festmontierte Kassen, in denen der geneigte Kunde den ausgepreisten Obulus abgezählt hinterlassen möge. Sehr praktisch. Wir nehmen ein Zehnerpack Eier und ein Glas Honig mit auf die Reise zurück nach Hannover. Und hinterlassen den geforderten Betrag.

      Eine letzte Gaststätte, der Kammerkrug, scheint noch in Nutzung zu sein, ausgewiesene Öffnungszeiten oder eine Speisen- und Getränkekarte finde ich nicht, allerdings einen Auftritt bei „Facebook“. Dann gibt es einen Kiosk incl. Getränkehandel dort, wo früher in einer Tischlerei gewerkelt wurde. Der hat nur stundenweise geöffnet. Für die Dorfgesundheit bietet eine Heilpraktikerin ihre Dienste an. Für einen Arztbesuch müsste man nach Seesen fahren. Dorthin konnte man bis 1989 auch den schienengebundenen Nahverkehr der Bahn nutzen. Die Verbindung vom Bornhäuser Bahnhof existiert schon lange nicht mehr, die Schienen der Strecke Derneburg - Seesen sind teilweise abgebaut. Auf einem Abschnitt verläuft mittlerweile ein touristischer Radweg. Würde man den Europaradweg R1 von Boulognesur-Mer bis St. Petersburg fahren – irgendwann führe man auch durch Bornhausen über die Schildau. So hat die große Weltpolitik nach der deutschen Einheit auch in Bornhausen sichtbaren Einzug gehalten.

      Im Gebäude der ehemaligen Schule – jetzt Teil des Dorfgemeinschaftshauses – ist seit 1986 ein Kindergarten in Trägerschaft des ‚Kindergarten Selbsthilfeverein Bornhausen‘ beheimatet. Die lärmenden Dorfjüngsten sind nicht zu überhören. Die Kirche samt Pfarrhaus hat man natürlich im Dorf gelassen, auch wenn der Pfarrer seit einiger Zeit auch die Schäfchen in den benachbarten Dörfern Mechtshausen und Bilderlahe mitversorgen muß. In Sichtweite runden eine Tankstelle mit EC-Karten-Zahlung, wo früher die Bauern ihren steuerbefreiten Raiffeisen-Diesel zapfen konnten, und ein Geldautomat das Bornhäuser Dienstleistungsangebot ab. So sieht die Infrastruktur eines gewachsenen Dorfes von heute aus.

      Damals

      Natürlich schauen wir auch an P.s Elternhaus vorbei. Das ist so ein einfaches freistehendes Einfamilienhaus, wie es in vielen Dörfern zu finden ist. Nach dem Krieg wurde es im Einheitsbaustil der Niedersächsischen Siedlungsbaugesellschaft mit preiswerten Krediten gefördert: Satteldach, Keller, Untergeschoss, Obergeschoss, Dachboden, überdachter Hauseingang, kleiner Multifunktionsstall, großer Garten. In den Genuss der Baumittel kamen Menschen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten. Voraussetzung war allerdings, dass sie dort einen Bauernhof besessen hatten. So wurden im ländlichen Raum ganze Neubaugebiete als Nebenerwerbssiedlungen zur Selbstversorgung erschlossen. Flüchtlingspolitik der fünfziger Jahre.

      Wir stehen vor dem Gartenzaun und sehen, dass die früheren Nutzflächen eines großen Obst- und Gemüsegartens pflegeleichtem Rasen gewichen sind. Vor dem Haus stehen diese modernen, in Form geschnittenen Buchsbäumchen auf hellem sauberen, unwirklich weiß wirkendem Kies, warum auch immer. Die große Tanne ist abgeholzt. Auf mich wirkte früher alles viel gemütlicher. Bei der Gemütlichkeit war auch Schnaps mit im Spiel. Der Schnaps – immer ein Klarer – den ich mit dem Schwiegervater nach einigen Runden Schafskopf trank oder wenn er mir seine Sorgen über die linken Ideen seiner Tochter, die auch meine waren, anvertraute. Seine Familie gehörte zu denen, die vor den Russen – den Kommunisten – hierher ins Harzvorland geflohen waren. Unsere vermutete politische Weltsicht weckte unangenehme Erinnerungen und alte Ängste in ihm.

      Den letzten Schnaps, den ich in Bornhausen trank, nahm ich mit St., meinem Schwippschwager aus dem tiefsten Bayern, und dem Onkel O. meiner Frau aus dem nahen Vienenburg im Kammerkrug zu mir. Wir hatten uns dort im Saal mit Freunden und Verwandten zur siebzigsten Geburtstagsfeier meiner Schwiegermutter zusammengefunden. Onkel O. hatte uns an der Theke eine Runde Kümmel bestellt, den es nur hier gab. Eine regionale Spezialität. Sie mundete uns dreien so gut, dass die Flasche am Abend wohl geleert wurde. Als meine Frau uns nachts mit unseren kleinen Kindern in unserer „Ente“ in strömendem Regen auf der Autobahn zurück nach Hannover fuhren – sie saß natürlich nüchtern am Steuer! -, stank es von meinem Atem im Auto wie in einer Kneipe. Wie das Schicksal es wollte, hielt uns die Polizei an. Sie machte uns auf ein defektes Rücklicht aufmerksam und komplimentierte uns zur nächsten Tankstelle abseits der Autobahn. Zu Alkoholgenuss befragten sie uns nicht. Obwohl mein Atem doch ein hohes Maß an Trunkenheit verströmt haben musste.

      Das Grab des Zeichners

      Bevor wir heute weiter zu Fuß in das Nachbardorf Mechtshausen gehen, möchten wir uns noch im dörflichen Postmuseum des Herrn Puhst umschauen. Doch im Museum dieses alteingesessenen Dorfbewohners und ehemaligem Postangestellten, dessen Vorfahren erst Post, dann Pust hießen, finden wir leider keinen Einlass. So entgeht uns der Anblick von Briefen, Briefmarken, Uniformen, Telefonen und vielem mehr aus vergangenen staatlichen Bundespostzeiten. Die Ehefrau des Postmuseumleiters, die auch das vorher von uns besuchte Elterngrab im Auftrag der Familie pflegt, teilt uns an der Wohnungstür mit, dass sie mit ihrem Mann zu einer Beerdigung auf den Friedhof müsse und es daher leider keine Öffnungszeit und Museumsführung für uns geben könne.

      Der November ist in unserem Kulturkreis der Totenmonat. So passt auch unser nächstes Ziel in Mechtshausen. Dorthin gelangen wir von Bornhausen aus per pedes über eine Landstraße, begleitet von herbstlich entlaubten Apfelbäumen. Einige der letzten Früchte sind erst frisch in den Grünstreifen gefallen und werden als Wegzehrung eingesteckt. Dann erreichen wir, auf einem Weg durch Felder wandernd, einen Friedhof. Von hier, am Dorfrand erhaben gelegen, geht der Blick über das sanft gewellte und hügelige Harzer Vorland hinweg. Das Grab von Wilhelm Busch steht gepflegt, aber etwas schmucklos da, umrankt von Efeu, flankiert von immergrünen Büschen. Attraktiver erscheint das benachbarte "Seemannsgrab", ein steinerner Baumstumpf, ohne Pflanzenschmuck blank auf dem Rasengrund stehend. Der ist umschlungen von einem steinernen Tampen, endend am steinernen Anker. Die steinerne Inschrift ist leider nicht mehr lesbar. So bleibt uns der Ursprung dieser maritimen Gedenkstätte weit ab vom nächsten befahrbaren Meer verborgen.

      Die Originale der im Dorf aufgestellten Skulptur von Max und Moritz vor der Kirche sind dafür weltbekannt. Die gußeisernen Comicfiguren weisen uns den Weg zum letzten Wohnhaus des berühmten Mechtshäuser Bürgers. Das Hinweisschild dort ist geschmückt mit dem bekanntesten Selbstportrait des Künstlers aus dem Jahr 1894. Allerdings hat das Haus am heutigen Tag geschlossen. So kehren wir um und gehen auf dem Wilhelm-Busch-Ring Richtung Bushaltestelle.

      Mechtshausen ist nicht gerade der Ort, in den ich mich hineinträumen würde. Baumarktangebote und Bausparkassen-Kundenzeitungen haben hier sichtbar Spuren hinterlassen. Neben stolzen alten Gebäuden ist vorgefertigte Stangenware auf den Baugrundstücken gewachsen. Der örtliche Bierkrug steht offen. Wir spazieren durch den Schankraum, durch den Saal, klopfen, rufen in die Küche hinein, die Stiege zum Wohnraum hinauf. Keine Antwort, alle Räume sind menschenleer. Durstig ziehen wir von dannen und warten an der Haltestelle noch eine Stunde lang auf den Bus nach Seesen. Dieser wird im Auftrag der Deutschen Bahn von einem Fahrer gesteuert, der unser Niedersachsenticket akzeptiert. Nach einer Stärkung in der Seesener Fußgängerzone bringen uns am frühen Abend Regionalbahnen über Kreiensen nach Hannover zurück.

      Schlagzeilen aus Hannover, Deutschland und der Welt:

      Meinem Verein Hannover 96 gelingt in der 2.Liga mit Mühe ein Pflichtsieg gegen Erzgebirge Aue, eine Rollstuhlfahrerin stürzt von der Rampe eines Regio-Busses (Region Hannover) und das neue Pflaster am Kröpcke (Platz in der City Hannovers) bröckelt. Rot-Grün in Niedersachsen

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