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      Der 1. März 1963 war ein Sonntag. Es war kurz nach 18 Uhr, als ich in Münstermaifeld bei Koblenz als Bernd Weidung das Licht der Welt erblickte. Wie ich heute weiß, kamen auch der amerikanische Sänger Harry Belafonte, der polnische Komponist Frederic Chopin und der amerikanische Band-Leader Glenn Miller an einem 1. März zur Welt. Ein Wink des Schicksals? Oder nur Zufall? Wer weiß das schon. Ich war da und krähte mich mit aller Kraft ins Leben. Meine Mutter Helga war felsenfest davon überzeugt, dass meine Stimme schon von diesem Augenblick an geschult wurde.

      Ich werde immer wieder gefragt, von wem ich mein Talent vererbt bekam. Ich weiß es nicht. Der Vater meiner Mutter muss sehr musikalisch und lebensfroh gewesen sein. Leider habe ich ihn nie kennengelernt, da er während des Zweiten Weltkrieges gefallen ist. Meine Mutter erzählte oft, dass ihr Vater für die damalige Zeit so etwas wie ein Entertainer gewesen sei. War irgendwo in der Gegend Kirmes, stand er im Zelt auf dem Tisch, stimmte Volkslieder an, und alle Menschen im Festzelt sangen und tanzten mit. Auch der Onkel meines Vaters sang im Kirchenchor die Hauptstimme sowie die meisten Soloparts. Vielleicht prallten bei mir schicksalsmäßig diese beiden Talente zusammen.

      Meine Eltern wohnten in Mörz. Wie, Mörz? Okay, ich kann Sie verstehen! Mörz ist weit weg vom Nabel der Welt, obwohl dies eine blöde Aussage ist. Der Nabel eines Menschen (bzw. die Nabelschnur) ist doch das, wodurch man ernährt wird und sich in der Folge geborgen fühlt. Somit war für mich Mörz viele Jahre lang der Nabel der Welt. Basta!

      Unser kleines Dorf liegt in der Vordereifel. Zwei Kilometer weg von Münstermaifeld, einer winzigen Kreisstadt, und 20 Kilometer von Koblenz entfernt. Rückblickend hatte ich eine schöne Kindheit. Wenn auch nicht jeder Tag aus purer Freude bestand (wer hat das schon!), so denke ich doch bis heute gerne an meine Kindheit zurück.

      Als meine Mutter mit mir nach ein paar Tagen aus dem Krankenhaus nach Hause kam, wartete schon ungeduldig mein sechs Jahre älterer Bruder Achim auf mich. Achim fand es spitzenmäßig, dass er nun endlich einen Spielgefährten hatte. Das Erste, was Achim unsere Mutter fragte, war: „Wann kann ich denn mit dem Fußball spielen?“ Bei Familienfesten lachen wir heute noch über diese Frage. Achim konnte ja damals noch nicht wissen, dass seine Frage im doppelten Sinne komisch war: Zum einen musste meine Mutter ihm schonend beibringen, dass es noch einige Jahre dauern würde, bis ich alt genug wäre zum Fußball spielen. Zum anderen konnte er noch nicht ahnen, dass sein kleiner Bruder NIEMALS mit ihm Fußball spielen würde. Ich hasse Fußball und habe das Spiel auch als Kind schon gehasst. Hätte ich als Baby sprechen können, hätte ich als Antwort auf Achims Frage gerufen: „Nie! Niemals werde ich alt genug sein, um mit dir oder sonst irgendjemand Fußball zu spielen!“

      Mörz ist ein winziges 130-Seelen-Dorf, wo jeder jeden kennt. Da weiß auch mittags jeder, was es beim Nachbarn zu essen gibt. Man riecht es nämlich. Mörz ist genauso beschaulich, wie man sich ein Dorf in der Vordereifel vorstellt: Felder, überall Obstbäume und den oft beschriebenen Hahn, der auf dem Misthaufen krähte, gab es damals natürlich auch.

      Vielleicht ist es eine Ironie des Schicksals, dass ich viele Jahre später den Künstlernamen Thomas Anders bekam, aber „anders“ war ich irgendwie schon immer. Ich war nie die Wildsau, die sich mit anderen Jungs im Dreck wälzte. Ich suchte auch nie den Kick, indem ich Dorfkatzen (das hieß bei uns so, denn Katzen waren für alle da) mit getrockneten Erbsen beschoss oder Frösche mittels eines eingeführten Strohhalms aufblies und zum Platzen brachte. Natürlich ließ ich Drachen im Herbstwind steigen, ich spielte mit meinen Kumpels Räuber und Gendarm oder rodelte im Winter mit dem Schlitten. Ich zog auch in der Osterwoche mit dem „Kläpper“ (einem Schlagwerk aus Holz, das durch das Hin- und Herbewegen klappert) von Haus zu Haus oder sammelte Anfang November Holz für das Martinsfeuer. All das gehört zu meiner Kindheit. Aber den wahren Kick fand ich nur in meiner Musik.

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      Ich weiß heute nicht mehr genau, wann es anfing. Vielleicht mit drei oder vier Jahren. Aber seit ich denken kann, wollte ich immer nur Musik machen. Ich konnte kaum sprechen, da fing ich schon an, Lieder im Radio nachzusingen. Mein Bruder musste mir auch regelmäßig Songs aus dem Radio auf Kassette aufnehmen. „Rainer Holbe und die Starparade“ war Ende der 1960er Jahre total angesagt.

      Mich faszinierte die Welt der Musik und der Stars. Musik war für mich ein Gefühl auf einer anderen Ebene. Meine Eltern unterstützten diesen Drang zu meinem Glück.

      Mein Vater war es auch, der mit einem gewissen Nachdruck den Wunsch an uns Kinder weitergab, dass wir mindestens ein Instrument lernen sollten. Was ich übrigens für richtig halte. Er spielte sogar in seiner ehrenamtlichen Funktion als Bürgermeister von Mörz am St. Martinstag Akkordeon. Meine Geschwister und ich bekamen Klavierunterricht, bei Frau Pies im Nachbarort. Aber richtig gut singen kann bei uns in der Familie nur ich. Ich übte mich also am Klavier, sang in meinem Zimmer und bereitete mich schon als Dreikäsehoch mental vor auf die Bretter, die die Welt bedeuten.

      Mein Vater und meine Mutter bestaunten meine Musikbesessenheit mit diesem verständnisvollen Schmunzeln liebender Eltern. Dennoch gaben sie mir von Anfang an das Gefühl, dass sie mich ernst nahmen. Sie ließen uns Kinder sein, wie wir waren, und ließen uns machen, wozu wir Lust hatten. Während Achim in unserem Schützenverein Mitglied war, klebte ich von früh bis spät an jedem x-beliebigen Elektrogerät, aus dem Musik ertönte.

      Ich wuchs in einem liberalen, offenen Elternhaus auf. Meine Eltern erzogen uns Kinder dazu, fair und ehrlich miteinander umzugehen. Natürlich haben wir uns früher auch gestritten. Aber wenn es Probleme gibt, löse ich sie bis heute immer, indem ich Konflikte direkt anspreche und eine Lösung erarbeite. Grundsätzlich bin ich auf Harmonie bedacht. Jeder Tag, an dem ich mich streite, ist für mich ein verlorener Tag. Allerdings nur mit Blick auf Menschen, die ich mag, bei allen anderen ist es mir vollkommen egal.

      Als Schüler war ich sieben Jahre lang Klassensprecher. Wegen meiner ruhigen, bedächtigen Art strahlte ich auf meine Mitschüler anscheinend Führungsqualitäten aus. Ich war ihr Problemlöser. Sie wussten, wenn ich mich um etwas kümmerte, klappte das meist. Bis heute werde ich weder laut noch hysterisch, wenn etwas aus dem Ruder läuft. Wozu auch? Wer rumschreit, löst keine Probleme. Es kommt immer auf den Ton und die Gestik an, wenn man persönliche Kritik übt. Das habe ich von meinen Eltern gelernt. Sie waren nie wirklich streng mit uns, sondern eher, wie man heutzutage erziehungstechnisch sagt, „liebevoll-konsequent“. Das ist auch nötig, wenn man drei Kinder hat. Dazu noch jede Menge Freunde, die ständig bei uns zu Besuch waren. Ohne eine klare Linie in der Erziehung, wäre es bei uns wie in einem Taubenschlag zugegangen.

      Meine Mutter besitzt ein ganz ruhiges, ausgeglichenes Wesen. Aber wehe, jemand sagt etwas Schlechtes über ihre Lieben, dann wird sie zur Löwin. Mama ist gelernte Dekorateurin. Von ihr habe ich die Liebe fürs Detail und alles Schöne geerbt. Solange ich denken kann, hat sie zu allen möglichen Jahreszeiten und Anlässen unser Haus umgestaltet und liebevoll geschmückt. Mein Vater baute seiner Familie ein Nest, meine Mutter richtete es ein und machte es uns gemütlich. Charakterlich habe ich mir – als Kind sicher unbewusst – vieles von meinen Eltern abgeschaut. Papa und ich sind total pragmatisch veranlagt. Haben wir uns mal für etwas entschieden, wird es auch durchgezogen. Nach dem Motto, jetzt haben wir A gesagt, dann sagen wir auch B, und dann gucken wir mal, was kommt.

      Papas Motto lautet, seit ich denken kann: Durch das Zerreden von Dingen ist noch niemand weitergekommen, durch das Anpacken schon. Das ist unsere Mentalität. Immer geradeheraus und dabei ehrlich sein. Man hat mir schon als Teenager nachgesagt, ich würde eine sehr ausgeprägte Form von Diplomatie besitzen. Meine Freunde meinten, ich könne Menschen ins Gesicht sagen, sie seien Arschlöcher, und dennoch fänden sie mich nett. Nur bei Dieter Bohlen hat das nicht funktioniert. Ihm habe ich ins Gesicht gesagt, was ich von ihm halte, und komischerweise redet er heute nicht mehr mit mir. Doch dazu später.

      Diese direkte, ehrliche Art habe ich nun mal von meinen Eltern gelernt. Vor allem von meiner Mutter, die für uns Kinder die Hauptbezugsperson war.

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