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Lebendige Seelsorge 3/2020. Erich Garhammer
Читать онлайн.Название Lebendige Seelsorge 3/2020
Год выпуска 0
isbn 9783429064730
Автор произведения Erich Garhammer
Жанр Религия: прочее
Издательство Readbox publishing GmbH
Obwohl diese Zahlen eindeutig sind, hinkt die Kirche in Sachen Gleichberechtigung meilenweit hinterher. Da das Traditionsargument und das Mannsein Jesu von den Gläubigen kaum mehr als Ausschlusskriterium der Frauen von Weiheämtern akzeptiert wird, wird heute von bestimmten restaurativen Kreisen gerne von der „Kirchenspaltung“ geredet, zu der es käme, wenn Frauen zu Weihe- und Leitungsämtern zugelassen würden. Doch Fakt ist, dass die Spaltung in der katholischen Kirche längst und schleichend im Gange ist. Die hohen Austrittszahlen bestätigen die Unzufriedenheit der Glaubenden. Viele Menschen verlassen die Kirche wegen des hohen Reformstaus, der eher zögerlichen Aufarbeitung des Missbrauchsskandals und der fehlenden Gleichstellung der Frau in der katholischen Kirche.
Das Zweite Vatikanische Konzil hat neue, wegweisende Maßstäbe gesetzt, die Kirche im Licht des Evangeliums und der Tradition erneuert. Da die Kirche nicht nur eine geistliche Gemeinschaft, sondern auch eine weltliche Organisation ist, die Recht setzt und Recht schützt, muss es ein zentrales kirchliches Anliegen sein, die Grundrechte des Menschen nicht nur nach außen („ad extra“) einzufordern, sondern auch nach innen („ad intra“) zu achten und umzusetzen. Es bestehen in bestimmten Grundrechtsbereichen nach wie vor schwerwiegende Defizite, die innerkirchlich mittelbis langfristig behoben werden müssen (vgl. Hollerbach, 1314f.; Hilpert, 69; Rahner, 215).
So könnte die katholische Kirche Vorreiterin einer besseren, friedlicheren und gerechteren Welt sein. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau wäre nicht nur ein bedeutender Gewinn für die Pastoral, sondern könnte auch zur Befreiung der Frau aus unterdrückenden Systemen beitragen. Denn in vielen Ländern der Welt leiden Frauen unter dem jeweils gesellschaftsprägenden patriarchalischen Frauenbild. Die katholische Kirche könnte in denjenigen Gesellschaften positive Impulse vermitteln, die Frauen einzig aufgrund des Geschlechts weniger Chancengleichheit einräumen. Gesellschaften, in denen Mann und Frau gleiche Rechte und Lebenschancen haben, bieten Mädchen und Frauen bessere Schulbildung und bessere Gesundheitsversorgung. Sie erwirtschaften ebenso ein höheres Bruttoinlandsprodukt (vgl. Bohnet, 18ff.). Diejenigen Gesellschaften gelten als stabil, die von Männern und Frauen zu gleichen Teilen geprägt werden. So könnte langfristig mehr Friede in dieser Welt herrschen.
Der Druck der Basis auf das kirchliche Lehramt darf nicht nachlassen. Dass Frauen unter einem patriarchalischen Frauenbild leiden, entspricht nicht dem Willen Jesu. Deshalb braucht es verschiedene Ebenen des Aufstands: Zum einen die Basis, die lautstark ist und ihre Bischöfe in die Pflicht ruft. Zum anderen die Bischöfe selbst, die auf die Stimme des Volkes hören, mutig sind und berechtigte Reformanliegen wie das Frauenpriestertum in Rom vertreten. Und vor allem braucht es einen langen Atem und das Hoffen auf das Wirken des Heiligen Geistes.
LITERATUR
Blank, Josef, Frauen in den Jesusüberlieferungen, in: Dautzenberg, Gerhard/Merklein, Helmut/Müller, Karlheinz, Die Frau im Urchristentum, Freiburg i. Br. 1983, 9-91.
Bohnet, Iris, What Works. Wie Verhaltensdesign die Gleichstellung revolutionieren kann, München 2017.
Dautzenberg, Gerhard, „Da ist nicht männlich und weiblich“. Zur Interpretation von Gal 3,28, in: Kairos 24 (1982), 181-206.
Heininger, Bernhard, Frauen im frühen Christentum. Aufbrüche und Abbrüche, in: Mayer, Cornelius (Hg.), Würde und Rolle der Frau in der Spätantike. Beiträge des II. Würzburger Augustinus-Studientages am 3. Juli 2004, Würzburg 2007, 53-70.
Hilpert, Konrad, Menschenrechtsrezeption in der Kirche, in: Jahrbuch für Christliche Sozialwissenschaften. Menschenrechte in der katholischen Kirche [Bd. 55], Münster 2014, 50-78.
Hollerbach, Alexander, Naturrecht IV, in: Görres-Gesellschaft (Hg.), Staatslexikon. Recht. Wirtschaft. Gesellschaft [Bd. 3], Freiburg i. Br. u. a.71987, Sp. 1312-1315.
Leo XIII., Rundschreiben Arcanum divinaesapientiae vom 10.02.1880, in: ASS 12 (1879–1880), 389.
Petersen, Silke, Maria aus Magdala. Die Jüngerin, die Jesus liebte, Leipzig22015.
Pottmeyer, Hermann Josef, Dialogstrukturen in der Kirche und die Communio-Theologie des Zweiten Vatikanums, in: Wiemeyer, Joachim (Hg.), Dialogprozesse in der Katholischen Kirche. Begründungen – Voraussetzungen – Formen, Paderborn 2013, 133-147.
Rahner, Johanna, Kraft der Veränderung. Ekklesiologische Perspektiven, in: Dies./Söding, Thomas (Hg.), Kirche und Welt – ein notwendiger Dialog. Stimmen katholischer Theologie, Freiburg i. Br. 2019, 197-231.
Pro und Contra
Von Quellen und dem Umgang mit ihnen. Wie Theologie und Kirche nach dem „Willen Gottes“ im Blick auf Frauen forschen
Die Replik von Andrea Qualbrink auf Jacqueline Straub
Jacqueline Straub legt eine klare Positionierung vor: In der katholischen Kirche sind Frauen nicht gleichberechtigt – sie sind zu Weiheämtern nicht zugelassen. Diese Diskriminierung aufgrund des Geschlechts entspricht nicht dem Willen Jesu – darum braucht es einen weltweiten Aufstand. In meiner Replik will ich vier Punkte aus Straubs Aufsatz aufgreifen und weiterdenken. In allen Punkten versuche ich, einen Schritt zurückzutreten und Hinter- und Untergründe mit wahrzunehmen.
DIE ANLIEGEN DER FRAUEN UND DAS FRAUENPRIESTERTUM
Straub macht deutlich: Ihr Fokus ist die Zulassung der Frauen zu den Weiheämtern, vor allem zum Priestertum. Zugleich spricht sie aber auch allgemeiner von den „Anliegen der Frauen“ und dem fehlenden Interesse zahlreicher geweihter Männer im Vatikan, „die Stellung der Frau in Kirche und Gesellschaft zu verbessern“. Das ist wichtig. Die sogenannte „Frauenfrage“ geht nicht in der Forderung nach dem Priesteramt oder den Weiheämtern auf. Sie führt vielmehr zu der fundamentalen Frage nach dem Umgang mit den Geschlechtern in Theologie und Kirche. Von hier gehen die Forderungen weiter: Es geht um Geschlechterbilder, um verschiedenste Orte und Aufgaben, um Anerkennung und Diskriminierung, um alle Menschen jeglichen Geschlechts im Volk Gottes. Es geht in intersektionaler Perspektive um Hierarchisierungen aufgrund von Geschlecht und Stand, es geht um Macht und um die Begründung von Ausschlüssen, um die Sakramentalität der Kirche, um Aufgaben, Dienste und Ämter – und um die Frage, ob Gott die Kirche so gewollt hat. Und dann ist die Diskussion um und die Weiheämter für Frauen zentral, tangiert sie doch alle eben genannten Bereiche und darüber hinaus, ob und wie Berufungen anerkannt werden. Bei den „Anliegen der Frauen“ geht es für Kirche und Lehramt in einem ersten Schritt um eine Haltung der Conversio: Zuhören und Hinschauen statt Definieren und Platzieren (vgl. Gruber, 49ff.).
DIE FRAGE DER GLEICHBERECHTIGUNG UND DER UMGANG MIT QUELLEN
Die Haltung der Conversio bezieht sich – tritt man einen Schritt zurück – auch auf die Quellen für theologische Auseinandersetzungen. Jacqueline Straub schreibt, dass es um „Gleichberechtigung von Mann und Frau“ gehe, dass die Kirche die Grundrechte der Menschen nach außen einzufordern und nach innen durchzusetzen habe und schließlich, dass es dem Willen Jesu nicht entspräche, dass Frauen unter einem patriarchalischen Frauenbild leiden. Dem stimme ich zu – und ergänze: Es braucht eine Auseinandersetzung mit der Frage, auf welche Quellen Theologie und Kirche im Blick auf Frauen zurückgreifen und wie: Wie werden Erkenntnisse aus Referenzwissenschaften rezipiert und welche (normative) Kraft haben sie? Wie gehen wir mit Bibel, Tradition und Lehramt um und welche Bedeutung haben die Zeichen der Zeit?
Die