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      Der Autor

      Roland E. Ruf * 1939

      lebt und arbeitet in Freiburg im Breisgau

      www.roland-e-ruf.de

      Roland E. Ruf

      NACHGEREICHT

      Roman

      © 2020 Roland E. Ruf

      Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg Gestaltung und Illustration: Inge Reuter-Eck

ISBN
Paperback:978-3-347-09744-5
Hardcover:978-3-347-09745-2
e-Book:978-3-347-09746-9

      Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

       Für Inge, Ulrike…..und die Rheinebene

      Voraus

      Freitag, 28. Juli 2006

      Warum bin ich nicht dort, wo die Anderen sind? Franziska hat mir verständnisvoll zugenickt, als ich mich über einen Nebenweg aus dem Trott der Trauergemeinde davongeschlichen habe. Ich mied jede Begegnung, streifte über Wege und atmete im Duft der Bäume und Sträucher. Für Momente blieben die bedrängenden Bilder hinter mir. In der Stille des Friedhofs fand ich die Ruhe, die mir jetzt gut tat in meiner aus den Fugen geratenen Welt.

      Was sollte ich auch sprachlos bei Kaffee und Kuchen im Belvedere? Wie eine Statue säße ich Pfarrer Kunz gegenüber, zwischen unseren Töchtern und deiner Schwester Maria mit Jens. Bedrückende Stille – selbst die Kellnerin flüsterte. Hie und da ein Satz über klappernde Tassen hinweg - mit scheuem Seitenblick zu mir. Einzelne zögen Familienbilder hervor. Leise Gespräche kämen auf. Manch einer sähe verstohlen auf die Uhr. Die Trauerstimmung bröckelte. Und immer wieder die Beteuerung, wie sehr man mit mir und den Töchtern fühlt, dass du uns allen fehlen wirst.

      Trauerrituale, weitab von dem, was ich jetzt brauche. Ich hasse Klischees. Ich hasse Fragezeichen. Ich hasse mich. Man müsste mich hier sehen – besser nicht! Die Einzige, die mir begegnen dürfte, gibt es nicht mehr. Oder doch? …Rita, als ich deine Urne auf dem Brett absetzte - ich ließ es mir nicht nehmen, sie selbst zu tragen - und in das ausgehobene Erdloch schaute, war ich bereit, wieder vorauszudenken. Doch dann hallte der Klang jeder geworfenen Schaufel Erde wie ein entfernter Aufprall in mir nach. Mit den Rosen in Händen, die mir Anna gereicht hatte, harrte ich aus. Rosen, die du in allen Farben so sehr liebtest. Als Letzter ließ ich sie auf deine Urne gleiten und wartete, bis sich die Trauergemeinde auf dem Weg zum Belvedere zerstreute.

      Zurück auf dem Vorplatz in die Geräusche der Stadt, wusste ich, dass mir einer fehlt: Pater Thomas, ein außergewöhnlicher Mensch und Freund seit meinen ersten Tagen in Bruchsal. Nie ein scheeler Blick, nie ein mahnendes Wort an mich oder Rita, als wir unverheiratet zusammenlebten. Gewiss hätte er mich auch jetzt begleitet, wenn er das könnte. Selbst sein Schweigen wäre mir Trost.

      In meiner Klause angelangt, habe ich zur Whiskyflasche gegriffen, statt vor der Ansammlung in Schwarz Gefühle preiszugeben, zu hören, dass du nicht zu ersetzen seist. Das braucht mir keiner zu sagen. … Was ich jetzt brauche, ist Musik! Musik, die meine Stimmung trägt. Bach? – Als das Streichquartett in der Aussegnungshalle die Aria aus den Goldberg-Variationen spielte, hat mich das eher aufgewühlt als getröstet. Ich weiß doch, was dir Bach bedeutet hat! Nein, jetzt lieber Fado zum Whisky! – Dieser melancholische Gesang aus Portugal.

      Du bei weichen Fadoklängen? Und ausgerechnet mit Whisky, den du nie angerührt hast?

      Ich höre dich geradezu! Dann würdest du lauthals lachen. Dein Lachen täte mir gut!

      Weshalb habe ich deine Asche nicht vom Boot in den Fluss, aus der Ballongondel auf Felder gestreut? Das wäre natürlich gewesen. Am Montag, dem ersten Montag im August - an unserem Tag! Aber ich hätte nicht zusehen können, wie sie aus der Urne rieselt und vom Wind mitgenommen in der Luft verwirbelt. Der Rest eines Menschen, den ich geliebt habe – ja, immer lieben werde!

      Vom Korridor höre ich deine Schritte, als wärst du soeben zurückgekehrt, im Schrank hängen deine Kleider, dein Bett ist frisch bezogen. Ich glaube nicht an Übersinnliches und spüre doch deine Gegenwart.

      Das Telefon läutet. Ich bin nicht da und öffne das Fenster im Schlafzimmer.

      Ich werde wieder unter Menschen gehen - ins Theater, ins Kino nach Karlsruhe und zwei Karten kaufen. Der leere Platz neben mir ist nicht frei, entgegne ich dem, der mich fragt.

      Sage nicht, das fändest du unnatürlich! Aber was ist schon natürlich? Nicht ein hinter der Kurve liegengebliebener Sattelschlepper und erst recht nicht dein Tod im brennenden Auto.

      Als ich dich noch einmal sehen wollte, nahm mich der Bestatter in die Arme, ließ mich nicht zu dir, … nicht zu dem, was es von dir noch gab. So bleibe mir dein Bild erhalten, meinte er, und seine Augen waren feucht.

      Wie recht er hatte! Rita, du bist gegangen und doch so nah.

      Zu nichts entschlossen stehe ich vor dem Schreibtisch und nippe am Whisky, schalte aus Gewohnheit den Computer ein: Wellen schäumen über felsigen Strand in eintönig wiederholten Sequenzen.

      Worauf warte ich?

      Vom Bildschirm halb verdeckt, die verblichene, an zwei Klammern aufgestellte Postkarte der Nanna - Feuerbachs Gemälde aus der Karlsruher Kunsthalle.

      Und schon ist die Erinnerung wieder da!

      Am Samstag unserer ersten Woche sind wir dort gewesen. Nach der Hektik der Ereignisse hatte ich eine Auszeit vorgeschlagen. Eine spontane Idee, um die Angst zu verdrängen, unser ‚Kartenhaus‘ könne einfallen. So hattest du am Morgen deinen Zustand beschrieben. Dann standen wir lange vor der Nanna. Ich kaufte sie mir anschließend als Postkarte. So hätte ich am Schreibtisch immer auch dich vor Augen, sagte ich. Lachend hast du gemeint: Wozu das Bildchen? Du hast mich doch ganz real!

      Schaue ich mir die Karte heute an - vierzig Jahren danach, Rita! - und vergleiche die Nanna mit dem Bild, das mir von dir geblieben ist, hat sie wenig bis nichts mit dir gemein: Zu groß die Nase in einem flächenhaften Gesicht, das kaum eine Spur von Leben zeigt. Auch ihre Hand ist nicht feingliedrig wie deine Hände, und abschreckend hell ihr Teint. Zu Feuerbachs Zeiten vielleicht ein Schönheitsideal, für mich nicht mehr vorstellbar, dass ich mich dem Leib eines solch fahlen Weibes hingegeben hätte.

      So früh schon eine Gedenkecke für mich in deiner Klause? Ja, du warst es, die das Wort „Klause“ gebraucht hatte, als du zum ersten Mal vom Hof aus am Haus hinaufschautest. Ich war mir nicht sicher, wie du das meintest. War das schmucklose, graue Gebäude dir zu einfach – dir, der Tochter aus gutem Haus? Verunsichert war ich auch, wenn du mich später ironisch „Bürgerschreck“ genannt hast, sobald ich mich den üblichen Auftritten in Anzug und Krawatte entzog, und ließen die sich nicht vermeiden, mich abseits hielt.

      Lappalien!

      Es gab Wesentlicheres, was uns unterschied. Gewiss erinnerst du dich an unser nervendes Debattieren in jener Zeit des Aufbruchs aus einer verkrusteten Nachkriegsgesellschaft. Ging es um Reformen, bist du wenig aufgeschlossen gewesen. Hinter so manchen meiner Ansichten wittertest du den Einfluss meiner Studienfreunde in Heidelberg. Die waren dir zu links-ideologisch. Du befürchtetest sogar, ich könne dich verlassen, um mich der Protestbewegung anzuschließen.

      Blicke ich zurück, meine ich, du hattest keinen Grund, mich in die linke Ecke zu stellen - mich, den ängstlichen Menschen, der nach Sicherheit strebte.

      Rita, du doch auch nach deiner gescheiterten Beziehung!

      War ich dir mit der Zeit nicht sogar zu angepasst, zu wenig Held? Mit den Jahren habe ich das jedenfalls befürchtet. Oh ja, meine Anpassung war nicht aufzuhalten: die Töchter, der Haushalt,

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