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mit ihrem Haus kamen.

      Die Nationalsozialisten waren bereits 1933 in Meersburg die maßgebliche politische Kraft. Der sehr beliebte Bürgermeister, Dr. Moll, ist schon 1932 in die NSDAP eingetreten. (vgl. „Meersburg unterm Hakenkreuz“, p.13 ) Und 1933 wurde die bestehende Gemeindeverwaltung - Gemeinderat und Bürgerausschuss - aufgelöst, um nationalsozialistischen Mitgliedern Platz zu machen. Vater war zu dieser Zeit Abgeordneter der Zentrumspartei und wurde zusammen mit einem anderen Zentrumsabgeordneten auf Weisung der Gauleitung dazu gezwungen, sein Mandat niederzulegen (vgl. Meersburg unterm Hakenkreuz, p.13). Es ist anzunehmen, dass er dies nicht ohne Protest getan hat. Doch Gegenmanifestationen aus der Bevölkerung gegen die eingetretene Entwicklung sind nicht bekannt. Er hat wohl auch nach dem Verbot der Zentrumspartei noch an den Bemühungen der Zentrumsmitglieder teilgenommen, über die Organisation „Stahlhelm“ einen gewissen Einfluss auf die Politik zu wahren. Noch Jahre später hing in seinem Kleiderschrank eine Stahlhelmuniform, die er nie getragen hat. Sie ist Zeugnis für seine Irritation. Die Organisation ist gescheitert und schließlich aufgelöst worden, wobei die Mitglieder großenteils in die NSDAP übergetreten sind. Vater hat dabei nicht mitgemacht. Sein Verhältnis zum Meersburger Rädelsführer der Organisation, Eduard Sigel, der schließlich Mitglied der NSDAP wurde, war selbst nach dem Krieg noch ein sehr gestörtes. Als Vertreter des Bauernverbandes hatte er mit ihm zu tun, denn er war der einzige Großbauer in Meersburg. Ich musste im Auftrag des Vaters immer wieder eine Unterschrift bei ihm einholen und bemerkte dabei das reservierte Verhältnis.

      Vater war in den Zwanziger und Dreißiger Jahren aktiver Vertreter der Zentrumspartei und stand so politisch auf der Gegenseite des Bürgermeisters und der Partei der Nazis. Das war nicht die Ursache, aber doch der Hintergrund, vor dem er wegen seiner Landwirtschaft mitten in der Stadt in Konflikt mit der Stadtverwaltung und mit seinen Nachbarn kam.

      Man entdeckte in den späten Zwanziger und den Dreißiger Jahren die Stadt für den Fremdenverkehr oder besser umgekehrt: den Fremdenverkehr für die Stadt und sah, dass man damit mehr Geld verdienen konnte als mit den Reben und mit der Landwirtschaft oder gar mit der Fischerei. Das erklärte und allgemein von den Einwohnern als gut befundene gemeindepolitische Hauptziel des Bürgermeisters Dr. Moll war die Entwicklung des Fremdenverkehrs.1936 stellt er im Gemeindeblatt fest: „Es ist heute nur noch ein kleiner Teil der Einwohnerschaft, der gar keinen Nutzen und Vorteil vom Fremdenverkehr, besonders seit der Entwicklung vom Jahr 1933 ab hatte, vom Hotelgewerbe angefangen bis zum Bauhandwerker und bescheidenen Zimmervermieter“ (vgl. „Meersburg unterm Hakenkreuz“, p. 120).

      Mein Vater war mit seiner Landwirtschaft mitten in der Stadt und an einem so exquisiten Platz wie in der Spitalgasse direkt neben dem Strandcafé für den Fremdenverkehr ein Störfaktor allerersten Grades. Auch der Küfermeister Dreher nebenan störte mit seinen Fässern mitten auf der Straße und dem Gehämmer und Gesäge den ganzen Tag über und wurde deswegen kritisiert. Doch die Landwirtschaft meines Vaters war noch anstößiger. Er musste mit seinen Kühen täglich durch die Unterstadt ziehen, um zu seinen Feldern weit außerhalb zu gelangen und am Abend zurück. Die Kuhfladen auf der Straße bis zum Stall neben dem Strandcafé waren ein unvermeidbarer alltäglicher Ärger. Dazu kam, dass seine „Schier“, seine Scheune, mit dem Heu und dem Stroh sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite zum Stall befand, sodass ein tägliches schmutziges und stinkendes und vielleicht auch lärmiges Hin und Her zwischen Stall und Scheune die Folge war. Aber das Schlimmste war wohl, dass sich die Stallmiste am anderen Ende der Unterstadt befand, hinter dem Café Hummel. Jeden Morgen musste der nächtliche Stallmist dorthin gekarrt werden.

      Neben unserem Haus also, doch auf der Seeseite und mit einer Terrasse zum See hin befand sich das Strandcafé, ein touristischer Glanzpunkt. Es hatte mit Herrn Weißhaar einen neuen Besitzer bekommen. Aus dem vorherigen bescheidenen „Kaffée Sutter“ wurde nun das allein schon dem Namen nach viel anspruchsvollere „Strandcafé“. Und es war gleich schon bekannt für seinen Kaffee, aber auch für die exquisiten Torten, die im Schaufenster neben unserem Haus täglich neu ausgestellt und von uns Kindern mit wässrigem Gaumen bestaunt wurden. Man roch am Eingang den süßlichen Kaffeeduft und auch die Torten. Dieses Café war freilich nur für die vornehmen Gäste von auswärts da, „die Fremden“, wie man sagte, eine höhere Spezies von Menschen. Alle waren natürlich vornehmer gekleidet als die Meersburger, und sie hatten, so schien es uns Kindern, nichts anderes zu tun, als auf der Seestraße zu flanieren und in einem der Cafés oder Hotels vornehm zu speisen. Meersburger sah man unter all diesen Leuten keine, es sei denn an der Schiffslandestelle, wo sie als Zimmervermieter die „Fremden“ in Empfang nahmen, um sie dann zu ihren Unterkünften zu führen oder aber um sie zu verabschieden.

       IV. Der Verkauf des Elternhauses

      Der Besitzer des Strandcafés, Herr Weißhaar, der als Nicht-Meersburger ursprünglich wohl keine Ahnung hatte von den örtlichen Gegebenheiten, beklagte sich, kaum dass er sein Haus erworben hatte, über die unerträgliche Nachbarschaft. Und er fand mit seiner Klage vor allem beim damaligen Bürgermeister verständnisvolles Gehör.

      1935 eskalierte offenbar die Situation für den Vater. Mit allergrößtem Nachdruck legte man ihm nahe, sich außerhalb der Stadt ein neues Grundstück zu suchen und auszusiedeln. Und er wurde unter Druck gesetzt, dies bald zu tun, ungeachtet seiner finanziellen Möglichkeiten. Dass es sich bei unserem Haus um einen alten, über Generationen hinweg vererbten Familienbesitz handelte, und dass die landwirtschaftliche Nutzung hier althergebrachter Brauch war und auch, dass Meersburg ja seit Jahrhunderten ein renommierter Weinort war mit Rebleuten, die Tag für Tag wohl oder übel dreckig von der Rebarbeit in ihre Wohnungen zurückkamen, dafür hatte man kein Verständnis. Und diese Haltung fand wohl in breitesten Kreisen der Bevölkerung Unterstützung. Längst hatte man allgemein am Geschäft mit den „Fremden“ Geschmack gefunden, andere Werte oder gar nachbarliche Rücksichten hin oder her. Das Milieu, in das ja Vater zutiefst integriert war und die Milieuzugehörigkeit überhaupt zählten nicht mehr. Die touristische Kommerzialisierung war in allen Bereichen in den Köpfen der Leute längst im Gange. Aus jedem Grundstück in der Stadt, aus jeder Kammer konnte man touristisch ein Geschäft machen. Und Dienstleistungen im Fremdenverkehr wurden anstelle der Rebarbeit oder sonstiger herkömmlicher Beschäftigungen zur beherrschenden lebensplanerischen Perspektive. Über die gesellschaftliche Desintegration, die damit verbunden war, machte man sich keine Gedanken. Diese neue Einstellung lag nicht zuletzt auch im Interesse der neuen nationalen Politik.

      Der Cafébesitzer bot schließlich an, unser Wohnhaus und auch die Scheune auf der anderen Straßenseite zu kaufen. Es gab keinerlei Ausschreibung und kein offenes Verkaufsaufgebot. Es war im Vorhinein abgemachte Sache, dass er der Käufer sein sollte, und als der einzige Interessent konnte er den Preis diktieren. So musste der von ihm vorgeschlagene Preis akzeptiert werden. Es war ein Zwangsangebot und musste, nicht zuletzt auch unterstützt durch die Politik, angenommen werden, so ungünstig es auch war. Der Verkaufspreis reichte bei weitem nicht aus, um ein Baugrundstück außerhalb zu erwerben und ein Haus zu bauen. Dennoch wurde der Handel abgeschlossen.

      Mutter hat später über die Szene beim Kaufabschluss berichtet: Nach dem, was sie erzählte, traf man sich dazu in der Gaststube des Strandcafés: die beiden Ehepaare Neßler und Weißhaar, der Notar und der Vertreter des Bürgermeisters. Man nahm an einem Tisch Platz, klärte den Vorgang, und es wurde unterschrieben. Der Käufer und seine Partei waren damit höchst zufrieden. Frau Weißhaar verließ den Tisch und kam zur Feier des Ereignisses mit einer großen Platte Torten zurück. Sie stellte sie auf den Tisch. Doch es gab, wie Mutter berichtete, keine Kuchenteller, kein Kuchenbesteck und auch keine Einladung zuzugreifen. „Mobbing" würde man zu diesem Verhalten heute sagen. Natürlich: mit Rebleuten, Landwirten von der Art meiner Eltern setzte man sich an diesem Ort sowieso nicht an einen Tisch. Man konnte sich ihnen gegenüber alles erlauben, zumal wenn sie auch politisch auf der anderen Seite standen. Meine Mutter hatte Frau Weißhaar schon als Mitschülerin in der Mädchenschule gekannt. Sie sei eine der Dümmsten gewesen, meinte sie. Doch nun gehörte sie zum Adel der Meersburger Hotel- und Gaststubenbesitzer, einem „höheren“ und auch politisch willfährigen Stand, der mit den Alteingesessenen möglichst nichts mehr zu tun haben wollte. Unser Haus jedoch - und dabei auch mein Geburtszimmer - wurden nach dem Verkauf dem Strandcafé buchstäblich einverleibt. Ein bloßer Mauerdurchbruch im 1. Stock erlaubte es, die Gaststube um unsere Wohnung zu

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