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sollte man jetzt glauben? Paulus oder denen aus Jerusalem um Jakobus? Aber indem die messianischen Juden aus Jerusalem den Gläubigen in Antiochien gesagt hatten, dass sie sich beschneiden lassen und die ganze Torah halten müssten, hat man ihnen auch etwas Falsches gesagt. Jakobus hat nicht behauptet, dass es falsch war. Er hätte das auch gar nicht behaupten können, weil er niemals die Sicht hatte, dass es falsch sei, wenn man die Torah hielt.

      An dieser Stelle ist es wichtig, zu erkennen, dass Jakobus diese Nachricht nicht allen überbringen ließ. Er war also nicht der Meinung, dass sich Juden nicht mehr beschneiden lassen oder nicht mehr die Torah halten müssten, sondern nur den Nichtjuden gestand er das zu. Nichtjuden gehörten nicht zum Bundesvolk. Dennoch sollten sie Jesus, den Sohn Gottes anerkennen und daran glauben, dass ihre Sünden durch ihn getilgt waren. Aus dieser zweifachen Ausrichtung des Gottessohnes: Gottessohn und Erlöser für alle Menschen und Messias Israels und der Nationen ergab sich zwangsläufig die Verkündigung zweier Evangelien. Eines nach Paulus und eines wie gehabt. Das Letztere vertrat Jakobus. Diese Schlussfolgerung ist zwingend und dennoch wird sie von den meisten Kirchentheologen geleugnet. In Kurzform lautet das Evangelium von Paulus, „Jesus genügt!“ Das Evangelium von Jakobus lautete Umkehr, Beschneidung, Torah und der Glaube an Jesus als den Messias Israels. Dieses Evangelium sah Jakobus für die Juden vor. Er erlaubte andererseits aber auch dem Paulus sein Evangelium den Nichtjuden zu bringen.

      Und jetzt versteht man vielleicht auch, warum die Position von Petrus eine besondere war. Er hatte zwar erkannt, dass die Nichtjuden von Paulus zurecht etwas Anderes zu hören bekamen, aber was sollte nun den Juden gegenüber gelten, deren heiligstes Heiligtum schon immer die Torah gewesen war? Auch der Tempel in Jerusalem stand noch. Das wird von den Christen meist übersehen oder unterschätzt. Alles drehte sich in Israel um den Tempel. Deshalb gingen die Jünger Jesu auch jeden Tag zum Tempel, um dort zu predigen oder zu diskutieren. Der Tempel war Bestandteil der Torah, viele Vorschriften der Torah konnte man nur einhalten, wenn man diesen Tempel hatte. Daraus folgt, dass nach dem Verlust des Tempels das gläubige Judentum vor gewaltigen Glaubensproblemen und natürlich auch theologischen Problemen stand.

      Nichtjuden durften diesen Tempel gar nicht betreten, außer den Vorhof. Das waren gewissermaßen Menschen zweiter Klasse. Unreine eben! Paulus würde geschrieben haben, dass dieser Vorhof nicht mehr bestand, weil nun jeder den direkten Zutritt zum Vater hatte. Eine solche Sichtweise war und ist für das Judentum ein Sakrileg.

      Petrus befand sich also in einer Zwickmühle. Und deshalb kam es zu dem, was Lukas in seiner Apostelgeschichte nicht erwähnt, aber Paulus in seinem Brief an die Galater nicht auslässt: *9 Paulus redet folgerichtig von zwei Evangelien, einem der Beschneidung, „Evangelion tes peritomes“, für das er ausdrücklich Petrus als zuständig bezeichnet und das Evangelium der Vorhäutigkeit, „Evangelion tes akrobystias“ (akrobystia für Vorhaut), das er sich selber zuschreibt. Dem Petrus wirft er in Gal 2,11ff Heuchelei vor. Bevor nämlich die Brüder der Gemeinde von Jerusalem nach Antiochien gekommen waren, war Petrus mit seinen Leuten schon da gewesen und hatte Tischgemeinschaft mit den Nichtjuden gehabt. Petrus kannte natürlich die Torahfrömmigkeit der Jerusalemer. Als sie ankamen, setzte er sich weg, so wie noch ein paar andere jüdische Gläubige auch. Es heißt ausdrücklich, dass Petrus die „aus der Beschneidung fürchtete“ (Gal 2,12). Das hätte er nicht müssen, wenn er mit ihnen ein Herz und eine Seele war. Er wollte von diesen Eiferern für das Gesetz nicht zur Rede gestellt werden, warum er sich mit diesen Unreinen an einen Tisch gesetzt hatte.

      Da war sie wieder diese alte Furchtsamkeit von Petrus, die Angst des alten Adam in Petrus, dem Petrus, dem schon Engel erschienen waren; dem Petrus, der schon Tote auferweckt hatte; dem Petrus, der schon Menschen geheilt hatte; dem Petrus, der sich erkühnte, vor den Hohepriestern seine eigene Meinung zu vertreten; schließlich dem Petrus, dem der auferstandene Christus Sonderlektionen gegeben hatte. Wie kann man da noch Angst vor Menschen haben? Haben ihn seine Glaubenserfahrungen überfordert? Er war vermutlich der einzige der zwölf Apostel und wahrscheinlich der einzige der Brüder in Jerusalem, der wusste, dass Paulus Recht hatte.

      Aber warum hatte Gott diesen Paulus erweckt? Ausgerechnet diesen Paulus, der vorher ein Erzfeind der Jünger gewesen war! Ahnt man, in welcher Position Petrus sich wähnte? Ahnt man, warum Jesus ihn drei Mal gefragt hatte, ob er Ihn liebe?

      Man ersieht an der Furcht und dem feigen Verhalten von Petrus, dass die Fraktion der Torahfrommen in der christlichen Gemeinde mächtig war und einen starken Einfluss ausübte. Ihnen gegenüber konnte sich Petrus nicht durchsetzen. Und auch nicht er war irdisches Haupt der Gemeinde in Jerusalem, sondern Jakobus, der an der Torah festhielt, wie ja auch sein Brief an die Juden in der Diaspora zeigt. Petrus wusste, dass Paulus Recht hatte, aber er hatte nicht die Mittel, die anderen Juden davon zu überzeugen, die in Jerusalem das Sagen hatten. Erst auf der nachfolgenden Apostelkonferenz, unter der Schirmherrschaft des heiligen Geistes, traute er sich, aufzustehen und ein klares Bekenntnis abzugeben, vielleicht auch schon wieder geläutert nach dem Versagen im Angesicht des Paulus.

      Paulus, nein, Jesus hatte etwas „gut“ bei Petrus. Paulus hatte dem Petrus vorgehalten: „weil wir wissen, dass der Mensch durch Werke des Gesetzes nicht gerecht wird, sondern durch den Glauben an Jesus Christus, sind auch wir zum Glauben an Christus Jesus gekommen, damit wir gerecht werden durch den Glauben an Christus und nicht durch Werke des Gesetzes; denn durch des Gesetzes Werke wird kein Mensch gerecht.“ (Gal 2,16) Man stelle einmal dem das gegenüber, was Jakobus sagte: „Ist nicht Abraham, unser Vater, durch Werke gerecht geworden, als er seinen Sohn Isaak auf dem Altar opferte? … So seht ihr nun, dass der Mensch durch Werke gerecht wird, nicht durch Glauben allein." (Jak 2,21.24) Und nun stelle man es noch dem gegenüber, was Petrus bei der Apostelkonferenz sagte: „Vielmehr glauben wir, durch die Gnade des Herrn Jesus selig zu werden, auf gleiche Weise wie auch sie." (Ap 15,11)

      Wer nun glaubt, dass das Problem des Widerspruchs auf der Apostelkonferenz gelöst war, sieht sich bald eines Besseren belehrt. Den Ältesten der Gemeinde in Ephesus, bei der er sehr lange gelehrt hatte, sagte Paulus: „Denn das weiß ich, dass nach meinem Abschied reißende Wölfe zu euch kommen, die die Herde nicht verschonen werden. Auch aus eurer Mitte werden Männer aufstehen, die Verkehrtes reden, um die Jünger an sich zu ziehen.“ (Ap 20,29-30) Damit ist biblisch belegt, dass die dortige Gemeinde bald keine paulinische Gemeinde mehr war. Wenn das schon für Ephesus galt, der Gemeinde, die von Paulus überfüllt wurde mit tiefen Erkenntnissen über das Wirken Gottes und Gottes Heilsplan, was ist dann für die anderen Gemeinden zu denken? Viele Bibelausleger meinen ja, mit dem Neuen Testament und vor allem mit der Missionierung durch Paulus habe das Zeitalter der Kirche angefangen. Nur stellt sich die Frage, was war das für eine Kirche, wenn sie nicht mehr Paulinisches lehrte und von Wölfen durchsetzt war? Was war da am Entstehen, was nach Paulus kommen würde, nachdem er nicht mehr da war? Die Frage ist leicht zu beantworten. Sie wird durch die Geschichte beantwortet.

      Aufschlussreich ist auch noch, wie Paulus nach Jerusalem zurückkehrt und der dortigen Gemeinde und Jakobus berichtet, was er alles bei den Nationen erreicht hat, denn da gibt ihm Jakobus eine beinahe provokante Antwort:

      „Da sie aber das hörten, lobten sie Gott und sprachen zu ihm: Bruder, du siehst, wie viele Tausende unter den Juden gläubig geworden sind und alle sind Eiferer für das Gesetz." Diese Antwort passt eigentlich gar nicht an der Stelle und muss Paulus wie Hohn in den Ohren geklungen haben. Wenn Jakobus sagt, dass in Jerusalem tausende Juden Messiasgläubig geworden sind, ist das zunächst einmal eine gute Sache. Doch Jakobus sagt nicht: Tausende haben sich zu Jesus als ihrem Messias bekannt, sondern er sagt: „alle sind Eiferer für das Gesetz" (21,20). Wenn sich also die Gläubigen in Jerusalem irgendwie auszeichnen, dann dadurch, dass sie für die Torah eifern! „Jetzt, Paulus, erzähle du mal, wie sehr deine bekehrten Heiden für die Torah eifern!?“ Natürlich überhaupt nicht!

      An dieser Stelle sei vermerkt, dass die Gemeinden von Paulus noch eine Weile nach Paulus Tod weiter existierten, während die Gemeinde in Jerusalem noch vor der Tempelzerstörung Jerusalem verließ und mit der Tempelzerstörung verschwand. Einzelne Gläubige mögen es überallhin geschafft haben, aber die Gemeinde ging mit Jerusalem im Jahre 70 unter.

      Aber Jakobus sagt das nicht, um Paulus zu reizen, sondern er fährt fort, dass der Gemeinde in Jerusalem berichtet worden sei,

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