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meinte sie eigensinnig. „Um aus Shakespeares Hamlet Akt 4, Szene 5, Vers 28 zu zitieren: - Nein - ich fürchte ihn nicht, den alten Klapper-Gaul. Der wird sich an mir die Zähne ausbeißen. Hat der eigentlich Zähne? Ach, was weiß ich. Egal! Diese Sterberei kann ja nicht so schwer sein, hat ja noch jeder geschafft.“

      Eine wahrhaftige Diva mit blonder Langhaarperücke, pinkfarbenem Nachtkleid, leuchtendem Schal und ebenso grell lackierten Fingernägeln. Meistens saß sie aufrecht im Bett. Umhüllt von einer dicken Wolke aus Parfüm, die den strengen Geruch ihres offenen Tumors überdecken sollte.

      Die vier erfolglosen Chemotherapien nahmen ihr zwar die Haare, aber nicht ihre Würde und die Freude am Leben. So gut es ging, versuchte sie noch daran teilzunehmen. Dicke Theaterbücher und andere Wälzer thronten in ihrem Regal und im Hintergrund trällerte der CD-Player kontinuierlich Operettenschlager. Einmal kam ich in ihr Zimmer, um mich nach ihrem Befinden zu erkundigen, da antwortete sie mir: „Jeder Tag ohne Zettel am Zeh, ist ein guter Tag!“

      Sie genoss es sichtbar im Mittelpunkt zu stehen und das mit einer faszinierenden Ehrlichkeit. Leidenschaftlich erzählte sie von ihrem erfüllten Leben mit glänzenden Augen und großen Gesten und ich spürte, wie sehr sie das Leben genossen hatte, aber auch wie sehr sie manches vermisste. „Mein Mann hat sich aus dem Staub gemacht. Aber was soll’s. C’est la vie! Eigentlich bin ich froh, dass er weg ist. Der hatte sowieso keinen Humor. Und ist ja schon so lang her. Da muss man nicht mehr heulen.“ Dabei lächelte sie mich an und wischte mit einer schnellen, verstohlenen Handbewegung eine Träne weg. „Was ich für den Kerl alles getan habe. Einmal habe ich für ihn Kuchen gebacken. Du lieber Himmel, wir hatten noch nie so einen leckeren Türstopper! Hätte ich besser mal sein lassen. Ich habe andere Stärken.“

      Dann trug sie mir die verschiedensten Texte und Gedichte vor, gestikulierte wie wild mit den Armen, dass ich fürchtete, sie würde jeden Moment aus dem Bett fallen. „Doch, wie sagt man so schön? Faber est suae quisque fortunae! Jeder ist seines Glückes Schmied. Mädchen, ich hatte so viel Spaß im Leben! La dolce Vita! Das könnt ihr jungen Dinger gar nicht mehr so haben wie ich. Die ganze Welt hab ich gesehen. Was hatte ich für wunderbare Menschen um mich. Ich bereue nichts! Nur die Sünden, die ich nicht begangen habe.“ Darauf folgte ein ungestümes, raues, kehliges Lachen, das den ganzen Raum erzittern ließ.

      Jetzt wollte sie den letzten Weg genau so gehen, wie sie es gewöhnt war. Im Rampenlicht. Mit großer Inszenierung und gehörigem Tamtam! Wir genossen ihre Geschichten, die sie unermüdlich zum Besten gab. Sie wollte auf gar keinen Fall sterben und fand, es sei mit 94 Jahren allemal eine Frechheit und viel zu früh. Manchmal schimpfte sie mit Gott, dann wieder rezitierte sie die Bibel, wie ein Bühnenstück. „Wäre der Tod nicht, es würde keiner das Leben schätzen, mein Liebchen, man hätte vielleicht nicht mal einen Namen dafür.“ Da hatte sie verdammt recht. „Dass alles einmal vergeht, weiß man schon in der Jugend. Aber wie schnell alles vergeht, das kapiert man erst im Alter. Es ist ein Jammer, aber auch gut so. Liebchen, stellen Sie sich nur mal vor, wenn das ewig so weiter geht. Lauter so alte Schachteln wie ich. Wäre bald kein Platz für Neues mehr. Das hat schon alles seinen Sinn, da muss man nicht meckern wie eine alte Ziege. Bringt doch nichts. Aber schön ist das Alter nicht. Und diese elenden Falten. Alleine das Wort –Krähenfüße– ! Was für eine Frechheit, wer hat sich das denn ausgedacht?“

      Schrille und bunte Gestalten gaben sich die Klinke in die Hand und sie begrüßte jeden mit ihrem gellenden Gelächter und einem feisten Spruch. So auch für ihre langjährige Freundin Maximiliane: „Liebchen, du hast ja zugenommen! Oder bist du jetzt in dem Alter, wo man ein paar Kilo mehr braucht, um die Haut zu straffen?“ „Na hör mal, was denkst du denn. Ich habe mich nur ein wenig weiterentwickelt!“ Ungestümes Lachen, herzliche Umarmung.

      So oder ähnlich war der Dialog zwischen den beiden Damen, vertraut, großzügig, beherzt. Nicht nur ihre Freundin kam oft und blieb viele Stunden bei ihr. Andere Bekannte, Kollegen und Weggefährten kamen mit Prosecco und Schnittchen vorbei, drückten sie herzlich mit der Gewissheit, dass es kein Wiedersehen geben könnte.

      Gestorben ist sie so, wie sie es sich gewünscht hatte, umringt von Freunden, Hospizhelfern und Pflegepersonal, denn sie hatte „zum Sterben eingeladen“. Als sie merkte, dass es jetzt soweit war, ließ sie es uns alle wissen und drapierte sich dramatisch in ihr Bett. Dann schloss sie ihre Augen mit einem trotzigen „Ich bin dann mal tot“, machte noch einige tiefe rasselnde Atemzüge und hörte tatsächlich kurz darauf einfach auf zu leben. Einfach so! Unglaublich. Ein kleiner Verdacht keimte in mir auf. Ob sie sich gewünscht hätte, dass wir applaudieren? Aber das fand ich nun doch despektierlich.

      Alt werden ist immernoch die einzige Möglichkeit, lange zu leben.

      - Hugo von Hofmannsthal -

      Der Reiseplan

      Kann man sich auf das Sterben vorbereiten?

      Organisatorisch auf jeden Fall. Holen Sie sich eine Patientenverfügung und, ganz wichtig, füllen Sie sie auch aus. Ich kenne wirklich viele Menschen, die entweder keinerlei Niederschriften über ihre medizinischen Ansprüche in einer schweren Krankheitsphase haben oder die Patientenverfügung in die Schublade legen und denken: „Wenn es dann soweit ist, kann ich es ja immer noch ausfüllen.“ Nein, das geht dann meist leider nicht mehr.

      Genauso gut können Sie sich einen Regenschirm kaufen und ihn im Laden stehen lassen, weil es ja wahrscheinlich in den nächsten Jahren keinen Regen geben wird. Ok, wenn Sie in Florida wohnen, hinkt der Vergleich mit dem Regenschirm, aber bei uns in Europa macht er wirklich Sinn. Die Engländer wissen, was ich meine…

      Interessant finde ich, dass viele Menschen allerliebst ihr Auto, die Reise, das Haus, den Schadensfall und viele andere Dinge versichern. Für den definitiv absehbaren, auf jeden Fall eintretenden Moment des Todes wird jedoch nicht vorgesorgt. Sicher haben auch Sie eine ganze Menge an Versicherungen, die Sie schützen sollen? Reiserücktrittsversicherung, Brand– oder Rechtsschutzversicherung und noch viele andere mehr. Wie oft sind Sie denn von Ihrer Urlaubsreise zurückgetreten? Wann ist das letzte mal Ihr Haus abgebrannt und wie oft ziehen Sie mit Ihren Nachbarn vor Gericht, weil sich am Maschendrahtzaun ein Streit entfacht hat? Relativ selten, denke ich, oder? Wenn es aber eine ganz klare und unabwendbare, hundertprozentige Verlässlichkeit auf dieser Welt gibt, dann ist das der Tod.

      Doch da überlassen viele gerne alles dem Zufall, geben die Verantwortung für ihren eigenen Körper und ihre Gesundheit an Ärzte und Betreuer ab. Die wiederum bestimmen dann im Ernstfall über Ihre Nahrung, Unterbringung, die Art der Behandlung und der medizinischen Versorgung. Ob Sie einen Schlauch in den Magen für eine künstliche Ernährung und Flüssigkeitszufuhr bekommen oder Sie künstlich beatmet werden. Da wird der „mutmaßliche Patientenwille“ erfüllt, ganz fachmännisch und ohne jede Rücksicht auf Ihre Belange. Mutmaßlich eben. Den Ärzten ist da kein Vorwurf zu machen, denn die haben keine Ahnung, was für ein Mensch Sie waren und welche Aspekte Sie in Ihre Behandlung einfließen lassen können. Ärzte haben einen hippokratischen Eid geleistet und müssen in erster Linie Leben erhalten. Das werden sie auch versuchen. Über eventuelle Wiederbelebungsmaßnahmen können Sie nicht mehr selbst entscheiden und müssen darauf hoffen, dass alles gut geht, oder wenn nicht, Sie im schlimmsten Falle es besser nicht mehr miterleben. Vielleicht denkt einer der Verantwortlichen, dass es nicht notwendig ist, Sie mit der einen oder anderen Maßnahme zu versorgen. Oder genau anders herum, es werden noch schmerzhafte Untersuchungen und Behandlungen gemacht, weil er oder sie die zuständige Person ist und zu entscheiden hat. Sie können es dann nicht mehr…

      Wenn Sie aber Gewissheit haben möchten, dass in Ihrem Sinne entschieden wird, dann müssen Sie das jetzt bestimmen, sonst begeben Sie sich vielleicht in die Obhut eines Fachidioten. Kein schöner Gedanke!

      Es ist nicht wenig Zeit, che wir haben, sondern es ist viel Zeit, die wir nicht nutzen.

      - Lucius Annaeus Seneca -

      Nehmen Sie sich Zeit, die Patientenverfügung auszufüllen. Lesen Sie alles gut durch und entscheiden Sie so, wie es nach Ihren Vorstellungen am Besten ist.*

      Da gilt es viele Kreuzchen

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