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niederzudrücken, was durch das vollgepfropfte Wohnzimmer verstärkt wird. Keine Wand ist sichtbar, überall verteilen sich Regale voller Bücher und Schnickschnack, als hätten die Bewohnerinnen Angst vor Lücken. Durch das Fenster schimmert der Lenker eines Fahrrads auf dem Balkon. Ein Cello lehnt in einer Ecke des Wohnzimmers.

      Ich erinnere mich an Zimmer in Wohngemeinschaften meiner Studentenzeit. Wo sonst findet man diese Art von Futonsofa mit Holzgestell, dessen übergeworfene Matratze ständig von der Lehne nach unten rutscht, weil sie nicht zu befestigen oder einfach zu schwer ist. Diese Dinger können niemals ordentlich aussehen. Ich habe geglaubt, sie seien längst aus der Mode gekommen. Wahrscheinlich lässt sich das Sofa zum Bett ausklappen, hoffentlich nicht für mich heute Nacht.

      Davor häufen sich auf einem niedrigen Glastisch Bücher und Illustrierte. Ein Liegesessel im Mondrian-Design, in eine Ecke gequetscht, ragt in den Raum hinein, ohne Chance, dass man seine verschiedenen Positionen ausnutzen könnte. Überdies häufen sich auf ihm Berge von gefalteter Wäsche, vermutlich zum Einordnen.

      Es duftet nach Räucherstäbchen. Auf den Fenstersimsen flackern Kerzen. Die trockene Heizungsluft verursacht mir Hustenreiz, den ich herunterzuschlucken versuche. Wir stehen uns in der Küche gegenüber und wissen beide nicht recht, wo wir anfangen sollen.

      Sie hebt die Augenbrauen. Ihre weit auseinanderstehenden grauen Augen scheinen gerötet, als habe sie geweint. Auf Wangen und Hals zeichnen sich hektische rote Flecken ab.

      „Haben Sie schon etwas zu Abend gegessen? Ich war gerade dabei, mir eine Kleinigkeit zu machen.“ Mit einer Geste deutet sie auf die Essecke und fordert mich auf, Platz zu nehmen.

      Sie erinnert mich an ein scheues Tier. Ich verspüre keinerlei Appetit, aber mein Magen knurrt zur Antwort. Wann habe ich zuletzt etwas gegessen? Zum Frühstück, eine Schale mit Porridge. Für den Rest des Tages habe ich mich von Kaffee und Mineralwasser ernährt. Es passiert mir immer wieder, dass ich zu essen vergesse.

      „Vielleicht etwas Brot mit etwas Käse, das könnte nicht schaden.“ Mit Blick auf den Tisch setze ich mich.

      Auf einem Holzbrett liegen ein paar Scheiben Vollkornbrot, ein großes Stück Emmentaler Käse und drei Tomaten. Daneben stehen eine Schale mit Kartoffelchips und ein Teller mit Butter. Nicht gerade eine verschwenderische Mahlzeit. Neben einer geöffneten Weinflasche brennt eine dicke Kerze, von der ein Hauch Vanillearoma ausgeht.

      Karen legt zwei Teller und Messer auf den Tisch, wuschelt sich durch den zu kurzen Fransen geschnittenen Pony, dann schenkt sie sich Rotwein in ein schon benutztes Weinglas ein. Sie trägt auffällige silberne Ohrringe, ein Kreuz mit einer blauen Perle daran. Sicher ist sie religiös.

      „Sie auch ein Glas?“

      Ich nicke und lächele. Die rustikalen Holzstühle stammen von unserem Gutshof, fällt mir auf, ebenso wie der Tisch. Ich erkenne an einer Stelle sogar einige tiefe Einkerbungen, für die Mona und ich damals mit Hausarbeit büßen mussten.

      Karen füllt ein weiteres Glas bis zum Rand und reicht es mir. Wir sitzen einander gegenüber und prosten uns zu. Schweigend trinken wir. Wie warmer Sirup breitet sich der Wein in mir aus, schießt in meine Blutbahn und entspannt mich.

      Karen ergreift das Wort. „Ich kann das alles noch gar nicht verstehen. Ein Alptraum. Von wegen Selbstmord, dass ich nicht lache.“ Sie schnaubt verächtlich. „Nur weil Julia das schon einmal versucht hat. Aber diesmal ist es anders. Ich weiß, dass jemand sie getötet hat. Und Sie müssen mir helfen, das zu beweisen.“

      Tränen fangen sich in ihren Augenwimpern, rollen über ihre Wangen und tropfen auf den Tisch, ohne dass sie sich darum schert. Da bildet sich ein kleiner See, in dem sie mit dem Zeigefinger herumrührt. Sie schnieft.

      Julia hat schon früher versucht, sich umzubringen? Ich betrachte Karen und suche nach Worten.

      „Also, ich … ich wüsste nicht, wie ich in dieser Situation helfen sollte. Vor allem bin ich gekommen, weil Julias Mutter ja anscheinend nicht erreichbar ist. Damit wenigstens ein Familienmitglied sich um die Formalitäten kümmern kann.“ Ich zögere einen Moment lang. „Ich möchte sie sehen, gleich morgen. Wo hat man sie hingebracht?“

      Karen schluchzt lauter, der Tränensee vergrößert sich. „Ins Institut für Rechtsmedizin, in der Nussbaumstraße. Man hat sie … obduziert, um ganz sicher über die Todesursache zu sein.“

      Ich krame in meinem Rucksack und ziehe ein Päckchen Papiertaschentücher heraus. Dankbar nimmt sie eins und putzt sich die Nase.

      Der samtige Brombeergeschmack des Rotweins, eines apulischen Primitivos, zergeht mir auf der Zunge und mildert die Wirkung unseres grausigen Gesprächs.

      „Und? Was ist das Resultat?“ Ich zerschneide eine der Tomaten auf meinem Teller und probiere ein Viertel. Es schmeckt nach nichts, wie im Winter zu erwarten.

      „Eindeutig Suizid, meinen sie. Tod ohne Fremdeinwirkung.“ Karen steht auf, um das Taschentuch in einen Mülleimer zu werfen. Sie setzt sich wieder, schiebt sich ein paar Chips in den Mund und kaut nachdenklich auf ihnen herum.

      „Julia hat anscheinend eine ordentliche Dosis Valium geschluckt, sich dann ans verschneite Isarufer im Wolfrathauser Forst geschleppt und ist dort erfroren. Das ist die Theorie. Nur wie sie dorthin gekommen ist, an diese abgelegene Stelle, ohne ein Auto zu haben, darüber scheint sich kein Mensch Gedanken zu machen. Und falls es kein Selbstmord war – naja, mögliche Spuren fremder Autoreifen hat der Schneefall längst verdeckt.“

      Ihre Tränen sind versiegt. Sie schenkt mir einen trotzigen Blick, dann leert sie ihr Glas und füllt es erneut.

      „Sie sagten am Telefon, dass Julia in zwei Wochen in Skiurlaub fahren wollte?“

      Mit weit aufgerissenen Augen richtet Karen sich auf.

      „Richtig! Wenn sie sich wirklich hätte umbringen wollen, hätte sie sich wohl kaum neu eingekleidet, oder? Sie hat mit Freunden eine Hütte bei Garmisch gebucht, wollte auch einen Skikurs machen und freute sich schon riesig. Die depressive Julia hab ich zur Genüge erlebt. Glauben Sie mir, die war ganz anders drauf.“

      „Tja, das ergibt wenig Sinn“, sage ich und seufze. „Aber wer sollte denn Grund haben, Julia zu töten?“

      Karen zuckt mit vielsagendem Blick die Achseln und schweigt. Sie weiß mehr, als sie sagen möchte, da bin ich mir sicher.

      „Sie sind wahrscheinlich auf dem Laufenden, dass Julia und ich seit Jahren keinen Kontakt mehr miteinander gehabt haben.“

      Langsam werde ich ungeduldig. Sie nickt nur und schmiert sich ein Brot mit Butter, das sie mitgroßzügigen Scheiben Emmentaler belegt. Ich folge ihrem Beispiel, um den Effekt des Rotweins etwas abzuschwächen. Vollkornbrot ist eines der wenigen Dinge, die ich in England vermisse, und dieses hier ist köstlich.

      „Ich habe also keine Ahnung von Julias jetzigem Leben.“ Ich verzehre einige Bissen von meiner Schnitte. „Sie müssen mich schon auf den neuesten Stand bringen, wenn ich von Nutzen sein soll.“

      Ich trinke den letzten Schluck aus meinem Glas und lehne mich zurück.

      Sie betrachtet mich lange, sagt aber kein Wort. Dann atmet sie tief ein und schenkt uns beiden Wein nach.

      „Also gut … ich werde versuchen, Sie zu updaten. Und … am Besten gebe ich Ihnen als kleine Nachtlektüre ihr Tagebuch zu lesen.“

      Um ihre Lippen kräuselt sich die Andeutung eines Lächelns. Viel Schlaf werde ich hier vermutlich nicht bekommen.

      10

      „Julia ist Montag früh zur Uni gegangen. Sie hat Kunst studiert, müssen Sie wissen. Schwerpunkt Freie Malerei. Am Nachmittag hatte sie vor, im Bioladen zu arbeiten. Da hat sie seit längerem einen Job. Aber sie ist dort nicht erschienen, wie Basti, der Boss, mir versichert hat. Seit Montag Morgen hat sie niemand mehr gesehen.“

      Karens kindliches Gesicht mit den roten Flecken glüht, als habe sie Fieber. Die Kerze flackert und wirft wirre Schatten an die Wand.

      „Zuerst dachte ich mir nichts Schlimmes.

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