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Ted Bundy, der in den siebziger Jahren sein grausiges Unwesen trieb und von einem gutaussehenden Star gespielt wird. Es ist bei weitem nicht der erste Film über Bundy, und der Mord an Elizabeth Short in L.A. hat eine eigene kleine Verlagsindustrie ins Leben gerufen. Als Givenchy ein Dahlia-Noir-Parfum auf den Markt brachte und mit dem Slogan »die tödliche Blume« warb, fragte ich mich, ob das hieß, dass Frauen danach streben sollten, wie ein verstümmelter Leichnam zu riechen. Aber schon die alten Balladen waren voller Vergewaltigungen, Morde und schrecklicher Körperverletzungen, und in Popsongs von Johnny Cash über die Rolling Stones bis hin zu Eminem setzt sich das fort.

      Feministinnen beharrten früher darauf, dass es bei Vergewaltigungen nicht um Lust oder Erotik, sondern um Macht gehe, aber es gibt Männer, für die es nichts Erotischeres gibt als ihre eigene Macht beziehungsweise die Machtlosigkeit einer Frau. Auch einige Frauen empfinden das so, also lernen wir, dass unsere Hilflosigkeit und Gefährdung erotisch sind, und das entsprechende Selbstbild sowie die Geschichten, die damit einhergehen, akzeptieren wir oder lehnen sie ab oder schlagen uns damit herum. Jacqueline Rose schrieb 2018: »Sexuelle Belästigung ist der männliche performative Akt schlechthin, die Handlung, durch die ein Mann sein Objekt nicht nur davon überzeugen will, dass er die Macht hat – was stimmt –, sondern auch, dass seine Macht und seine Sexualität ein und dasselbe sind.«

      Jeder Vorfall, den ich erlebte, wurde als isoliert und unüblich behandelt, aber es gab zahllose Vorfälle, und sie waren keine Ausreißer, nicht die Ausnahme, die die Regel bestätigt, sondern Teil des Status quo. Wenn ich darüber sprach, erzeugte das Unbehagen, und die meisten Leute reagierten, indem sie mir erklärten, was ich falsch machte. Manche Männer sagten mir, sie wünschten, jemand würde sie einmal sexuell belästigen, denn sie konnten sich anscheinend nicht vorstellen, dass es sich dabei um alles andere als um freundliche Angebote attraktiver Menschen handelte. Niemand unterstützte mich, niemand erkannte an, was ich erlebte, oder bestätigte mir, dass ich ein Recht darauf hatte, mich sicher und frei zu fühlen.

      Es war eine Art kollektives Gaslighting. In einem Kriegszustand zu leben, den niemand um mich herum als solchen anerkannte – ich bin versucht zu sagen, dass mich das verrückt machte, aber Frauen wird allzu oft Verrücktheit unterstellt, um zu verhindern, dass sie gegen jemanden aussagen können, oder um den Wahrheitsgehalt ihrer Aussage in Frage zu stellen. Außerdem ist in solchen Fällen »verrückt« oft ein Euphemismus für unerträgliches Leid. Es machte mich also nicht verrückt, aber es blockierte mich, machte mich unerträglich furchtsam, empört und erschöpft.

      Ich stand vor der Wahl, entweder vorauseilend meine Freiheit aufzugeben oder zu riskieren, sie auf die denkbar fürchterlichste Weise zu verlieren. Man kann Menschen wirklich verrückt machen, wenn man ihnen sagt, dass das, was sie erlebt haben, tatsächlich gar nicht passiert ist, dass die Umstände, die sie einengen, nur eingebildet sind, dass all die Probleme nur in ihrer Vorstellung bestehen und ihre Not nur Ausdruck ihres Scheiterns ist, wohingegen es ein Erfolg wäre, wenn sie den Mund hielten oder nicht mehr wüssten, was sie wissen. Aus diesem unerträglichen Dilemma erwachsen die Rebell*innen, die sich für das Scheitern und das Risiko entscheiden, und die Gefangenen, die es vorziehen, sich zu fügen.

      In den achtziger Jahren war eine feministische Bewegung in vollem Gange, die viel über Gewalt gegen Frauen zu sagen hatte, auch die »Take Back the Night«-Demonstrationen fanden damals statt, doch zu alldem hatte ich noch keinen Zugang. Ich war zu jung, noch zu sehr anderen kulturellen Sphären verhaftet als der, in der sich jene augenscheinlich zumeist älteren Frauen bewegten, und sie sprachen eine Sprache, die ich noch nicht beherrschte. Sie befanden sich in einer Ferne, die ich nach und nach überwinden würde, nachdem all die Gewalt eine einzelgängerische Feministin aus mir gemacht hatte.

      Es gibt eine – mir wohlvertraute – Art von Empörung, die aus dem Gefühl heraus entsteht, das erlittene Leid werde nicht zur Kenntnis genommen, und es gibt eine Art von Trauma, das die leidende Person dazu bringt, eine Geschichte, die noch keinen Abschluss gefunden hat, zwanghaft immer wieder zu erzählen. Man erzählt sie so lange, bis irgendjemand zuhört, die Geschichte glaubt und so den Fluch aufhebt. Mir selbst ist das mit eigenen Erfahrungen gelegentlich so gegangen, was aber immer auch schon mit meiner grundsätzlichen Haltung zu Gewalt gegen Frauen zu tun hatte.

      Damals, als ich diese Gewalt noch für mein persönliches Problem hielt, riet man mir, in eine wohlhabendere Gegend zu ziehen (obwohl ich an solchen Orten einige der übelsten Belästigungen erlebt habe), mir ein Auto zu kaufen, Geld, das ich nicht besaß, für Taxis auszugeben, mir die Haare schneiden zu lassen, mich wie ein Mann zu kleiden oder mich einem Mann anzuschließen, nie irgendwo alleine hinzugehen, mir eine Schusswaffe zu kaufen, einen Kampfsport zu erlernen, mich an die bestehenden Verhältnisse anzupassen, die als etwas Natürliches, Unvermeidliches betrachtet wurden, so wie das Wetter. Aber sie waren nicht das Wetter, waren nicht naturgegeben, waren weder unvermeidlich noch unveränderlich. Sie waren Kultur: bestimmte Personen und ein System, das ihnen freie Hand ließ, wegschaute, erotisierte, entschuldigte, ignorierte, abtat und trivialisierte. Diese Kultur und somit die Verhältnisse zu verändern schien mir die einzig angemessene Reaktion. Und das sehe ich heute noch genauso.

      Auch ich hätte mich plötzlich in einer Situation wiederfinden können, wo nicht mehr ich über mein Schicksal, meinen Körper, mein Leben bestimmte, und in diesem Bewusstsein, an diesem Abgrund, lebte ich einige beklemmende Jahre lang, die meine Psyche nachhaltig prägten. Und genau darum ging es womöglich: mir klarzumachen, dass ich niemals wirklich frei sein würde. Die Gewalt zielte hauptsächlich auf Mädchen und junge Frauen ab, als eine Art Initiationsritus, mit dem die Botschaft einherging, dass wir verwundbar bleiben würden, auch wenn wir irgendwann nicht mehr so häufig als Zielscheibe dienten. Jeder Tod einer Frau war eine Botschaft an alle Frauen, und auf den Überlebensmodus wurde ich damals durch die schockartige und furchterregende Erkenntnis eingestimmt, dass ich in einem nicht erklärten Krieg lebte. Ich wollte, dass dieser Krieg erklärt wurde, und von Zeit zu Zeit habe ich ihn nach bestem Vermögen selbst erklärt.

      In den Medien und in höflicher Konversation war es üblich, so zu tun, als wären Mörder und Vergewaltiger randständige Männer – sie und nicht wir –, aber zu jener Zeit erdrosselte ein Weißer, der Vizepräsident einer Bank war, eine jugendliche Sexarbeiterin in der Kleinstadt, aus der ich stamme, keine dreißig Kilometer nördlich von San Francisco, während seine Frau mit den Töchtern im Pfadfinderlager war. Es war die Zeit des Night Stalkers und jenes Weißen mittleren Alters, der als Trailside Killer bekannt wurde (er vergewaltigte und ermordete Frauen, die auf genau den Wanderwegen unterwegs waren, die auch ich gerne nahm), die Zeit, in der auch der Pillowcase Rapist, der Beauty Queen Killer, der Green River Killer und der Ski Mask Rapist sowie zahlreiche andere Männer, die keine Spitznamen verliehen bekamen, entlang der Pazifikküste ihr Unwesen trieben.

      Zwei oder drei Jahre bevor meine Erzählung beginnt, war eine fünfzehnjährige Ausreißerin in der Nähe von San Francisco entführt und vergewaltigt worden, und dann hatte ihr der Vergewaltiger die Unterarme abgehackt und sie in der Annahme, sie werde verbluten, in einen Abflusskanal geworfen. Sie überlebte, sagte gegen ihn aus und führte danach wieder ein normales Leben. Als er aus der Haft entlassen wurde, ermordete er eine andere Frau. Ihre Geschichte ging mir und der Freundin, die mir den Schreibtisch geschenkt hatte, noch ewig nach. Ich fand sie in Shakespeares Titus Andronicus wieder, wo Lavinia vergewaltigt wird und dann Hände und Zunge abgeschnitten bekommt, damit sie schweigt, es ihr aber dennoch gelingt mitzuteilen, wer sich an ihr vergriffen hat. Und ich fand sie auch in der griechischen Mythologie, wo Philomelas Bruder sie erst vergewaltigt und ihr dann die Zunge abschneidet, um sie zum Schweigen zu bringen.

      Ich habe viele Berichte von Frauen gelesen und gehört, deren Leben durch einen einmaligen brutalen Überfall geprägt wurde, aber für mich lag der Horror in der Allgegenwart der Gewalt. Ich war damals von anhaltendem Grauen erfüllt, dem Gefühl, dass die unmittelbare Zukunft meines Körpers qualvoll und entsetzlich sein könnte. Ein Maul der Wut wollte mich verschlingen, mit Haut und Haar, und es konnte sich fast überall auf der Welt plötzlich auftun.

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