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schönen Fotos zu sehen, die Opa gemacht hat.

      Schmölln, Markt 1958

      Opa ist tot, betitelt als Ratsuhrmachermeister war er für den richtigen Gang aller Stadtuhren verantwortlich. Albrecht, Frieders großer Bruder, durfte Opa helfen, täglich in den Kirchturm steigen, die Turmuhr aufziehen. Muss spannend gewesen sein. Jetzt ist Opas großes Geschäft geschlossen. Die lange Fahne liegt noch auf dem Boden, wird aber nicht mehr rausgehängt, weil das abgetrennte Hakenkreuz dort einen hellroten Fleck hinterlassen hat, ihre wahre Vergangenheit verrät.

      Vom Küchenfenster kann man weit runter in den schmalen Gang bis zum Hof sehen. Frieder traut sich nur selten, bekommt Angst vor der Tiefe unter ihm. Aber geradeaus hat man einen schönen Blick auf die Dächer der oberen Marktseite - und die anderen beiden Türme. Noch schöner ist es, im Turm-Erker des Wohnzimmers zu sitzen. Aus drei Fenstern sind alle Seiten des großen Marktes zu überblicken. - Ihnen entgeht somit nichts!

      Früher hatte er neben Mutti am offenen Erker gehockt: an den Fenstern der meisten Häuser rundum standen Leute, Musik hat gespielt. Alle streckten wie Mutti die Hand raus - das war der Hitler-Gruß!

      Als Frieder so nachdenkend über Klapperstorch und Kinderkriegen am Küchenfenster hockt, klingelt es zweimal - ganz heftig. Mutti kommt, guckt mit ihm aus dem Fenster den steilen Hofgang runter. Unten stehen zwei Polizisten und rufen:

      „Ihr Haus wird von der russischen Kommandantur bezogen. In zwei Stunden muss das Haus geräumt werden. Außer Koffern darf nichts mitgenommen werden!“

      Vieles ist dem kleinen Frieder danach verschwiegen worden. Aber er weiß noch, mit welcher Eile Vater aus der Werkstatt geholt wurde. Die Tischlerei stand drei Straßen weiter am Bahnhofsplatz neben dem Haus der Budens-Oma. Dort wohnten auch Tante Anneliese und sein riesengroßer Cousin Henner. Onkel Heinz, in russischer Gefangenschaft, war Tapezierer, betrieb die Polsterwerkstatt, welche im Nebengebäude untergebracht war.

      Die nächsten Stunden stand er nur im Wege! Bruder Albrecht und mehrere Gesellen schleppten heimlich Möbel aus dem dritten Stock nach unten.

      Frau Hoffmann hatte im Hof gerade Wäsche aufgehängt. Sie musste die großen Betttücher so umhängen, dass den Polizisten, welche an der Hausecke am Markt standen, der Blick durch den schmalen Gang bis in den Hof verdeckt wurde.

      Vom Ende des langen Hinterhofes gelangte man in den Garten. An Apfelbäumen vorbei ging es über schmale Treppen zwischen Büschen im Zickzack den steilen Berg hoch. Dort stand links im benachbarten Fleischereigrundstück ein Holzgerüst. Dieser mehrere Meter hohe Bretterverschlag, im Viereck um eine Wasserspritze angeordnet, diente winters als Eismaschine. Wenn diese bei Minusgraden sich drehte und Wasser versprühte, bildeten sich rundum an den Holzwänden dicke Eisschichten, welche abgeklopft, im Eiskeller des Berges unterhalb des Gerüstes Fleisch und Wurst frisch hielten.

      Einmal war der Antrieb defekt, die Spritze drehte sich nicht. Der Wasserstrahl zielte die ganze Nacht über die Mauer auf unser Gebüsch. Am nächsten Morgen glitzerte dort ein fester Eisberg in der Sonne, rau, hüglig, mit Schluchten und Spitzen bis zur Laube des oberen Gartenteiles. Man konnte drauf rumklettern. In Frieders Fotoalbum gibt es ein imposantes Bild mit dem Untertitel: „Ich auf dem Eisberg.“

      Vom oberen Garten führte durch ein festes hohes Tor die Treppe wieder runter bis zur Schulstraße. Gegenüber unser Felsen, steil zum Klettern und Spielen, dahinter die Lohsen, unser Stadtwald.

      Vor der Russenbesetzung schleppten Albrecht und Tischlergesellen die Möbel im Schutz der Hoffmannschen Bettwäsche durch den Garten bis zur Schulstraße. Dort stand schon ein Platten-Handwagen. Ab ging es durch die Stadt zur Budens-Oma am Bahnhof. Das dortige Möbellager, während des Krieges sowieso leer, wurde jetzt wieder voll gestellt. Auch vom Studienrat Brodeck kamen später noch Möbel rein; große, mit Schnitzereien versehene Schränke, welche dem Raumbedarf von Besatzung und Flüchtlingen weichen mussten.

      Nach dem Rausschmiss wohnten sie in Oma Budes Schlafzimmer am Bahnhof. Frieder hat das nicht gestört. Jetzt konnte er oft in der benachbarten Tischlerei zusehen. Das war interessant. Vor allem, wenn gehobelt wurde, die Späne mit einem großen Ventilator durch dicke Rohre über das Dach in einen Holzverschlag gesaugt wurden. War dort die obere Tür offen, konnte man hinein springen und rumtollen.

      Eigentlich durfte er nicht im oberen Stock der Tischlerei bleiben. Dort arbeiteten die Gesellen an Hobelbänken, wo er unerwünscht war. Aber von Omas Wohnung gelangte man auch durch Tapeziererwerkstatt und Tischlerei in den Hof, weshalb er diesen Weg meist neugierig nutzte.

      Wenn der Zug am Haus vorbei ratterte und fauchte, konnte man aus Omas Fenster alles beobachten. Die Betriebsamkeit der „Bahner“ ganz oben im Stellwerk verfolgen, wie sie mit der Kurbel die dann klingelnde Bahnschranke öffneten und schlossen, die Hebel für die Weichen stellten. Alles konnte man verfolgen.

      Außer Hoffmanns, welche in einer Mansarde unter der Bodentreppe wohnten, die Hausmeisterarbeiten für die Russen machen sollten, mussten alle raus aus dem schönen großen Haus mit Turm. Zahnarzt Pauling mit Peter, meinem Freund, zog in die Kellerwohnung einer Villa auf der anderen Seite der Bahn.

      Am Tag nach dem Einzug der Russen schlich er mit Peter durch den schmalen Hofgang bis zum Zaungitter. Den ganzen Hofkonnten sie, vorsichtig um die Ecke guckend, überblicken. Welch ein Schock:

      Im Sonnenschein auf dem Gullydeckel im Hof stand die schöne Glasvitrine aus Omas Korridor mit dem zierlichen Porzellan! Zwischen deren Glasplatten spielten die Russenkinder mit Puppen, stellten diese zu den zierlichen Figuren! So was hätte Frieder nie machen dürfen! Natürlich lag dann auch schon eine kleine Porzellantänzerin kaputt auf dem Hofpflaster.

      Als er entsetzt in der neuen Notunterkunft seiner Knorrs Oma diese Untaten berichte, schlägt diese entsetzt die Hände über dem Kopf zusammen. Vati kam zufällig mit der schmutzigen Tischlerschürze vorm Bauch ins Zimmer. Und noch Mal musste er berichten: „Das has’de nu davon, wie kann mo nur so däämlich sein, das Zeug nicht mitzunähm’. Wenn’ch mo überleg, was mo alles durch den Garten rausgeschleppt ham! - Und du lässt dei Porzellan drin!“ Furchtbar hat er sich aufgeregt.

      Auf den Tag genau ein Jahr wohnten sie bei der Budens-Oma am Bahnhof.

      Als die Russen auszogen, war es wieder spannend.

      Vorm Haus stand ein großer Laster. Die Russen schleppten mit eifrigen deutschen Helfern die Möbel raus. Diesmal hat Oma aufgepasst, „wie ein Heftelmacher“: Sie stand aufgeregt im Tor des uns gegenüberliegenden Einganges der Fleischerei. Ihre Wohnzimmerstühle wurden verladen. Kaum waren die Möbelträger wieder im Haus, schwuppdiwupp, war Oma am Wagen, zerrte Stühle vom Wagen, rein in den Hausflur der benachbarten Fleischerei.

      Die schweren Möbel nahmen die Besatzer nicht mit. So war ihnen vieles geblieben. Vati zeigte auf die Kerben seines Kirschbaumschrankes:

      „Da haben sie die Flaschenköpfe abgeschlagen!“

      Jetzt zog die Familie in eine größere Wohnung im Haus mit dem dritten Turm der Stadt - ein Stockwerk tiefer, langer Korridor mit elf Türen!

      Das Schönste war, dass sein großer Bruder am Korridorbalken Haken für die Schaukel einschraubte. Er hat ihm das Schaukeln gelehrt, konnte bei den Schwüngen mit den Füßen sogar die Decke berühren. Aufpassen musste man. Auf der einen Seite stand Vatis Meisterstück: ein großer Kleiderschrank, welcher heute noch auf der Datsche in Ehren gehalten wird. Passgenau schließen nach Jahrzehnten Fächer und Türen, so dass eingeklemmte Kleidungsstücke ständigen Ärger verursachen.

      Auf der anderen Seite Opas zwei große Standuhren: sein Glanzstück, eine „ganz alte wertvolle“, wie ihm sein großer Bruder erklärte, „die Zahnräder wären von Hand gefeilt“, was das Kindergartenkind natürlich nicht verstand - und Omas Standuhr, welche heute noch den Westminstergong in des Autors Wohnzimmer schlägt.

      Wegen der Flüchtlingswelle musste Oma ihre Parterrewohnung aufgeben und bei der Familie mit einziehen.

      Kein Mensch hat sich in diesen Umbruchszeiten für

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