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unter der Mütze.“

      Nichtsdestotrotz blieb es bei beiderseitig schmachtenden Blicken. Es war ein Flirt auf Teufel komm raus, sodass der zweite Gast, dieser Bernd, entsetzt auf das überzogene Geschwafel reagierte. Er wendete sich angewidert ab und verdrückte sich wortlos aus unserem Bus in den ihm Gehörenden.

      Ich räusperte mich, denn ich hatte die Schnauze gestrichen voll.

      „Nun ist es aber genug“, murrte ich unheilschwanger. „Dann geht euch eben an die Wäsche. Den armen Bernd habt Ihr ja vergrault.“

      Doch mein Murren bewirkte keinen Abbruch des lüsternen Gesülzes, denn das Drama gewann an Fahrt und bekam den absurden Anstrich. Und ich gab in der Rolle des unbeteiligten Zuschauers die denkbar miserabelste Figur ab.

      Verärgert schwang ich mich aus meinem von zu vielen Zigaretten verräucherten Bus und stakste auf meinen Krücken durch die Dünen in die grimmige Mondscheinnacht hinaus an den Strand.

      Unterwegs brummelte ich verdattert vor mich hin: „Ich wette, die Arschlöcher haben meinen Abgang nicht mal bemerkt.“

      Aber unausweichlich kam Beklemmung in mir auf. War ich etwa eifersüchtig?

      Das ungewohnte Gefühl kratzte an meinem Männerstolz, weswegen ich fluchte: „Geh zum Teufel, Karla! Ich brauche dich nicht.“

      In den siebziger Jahren war ich mit den Liebschaften locker und flockig umgegangen, denn damals entsprach die freie Liebe dem modernen Zeitgeist. Bei dem standen die Kommunarden Fritz Teufel, Rainer Langhans und Uschi Obermaier im Mittelpunkt. Für die Spießbürger waren diese Aktivisten in das öffentliche Interesse gerückt. Fritz und Rainer waren die bösen Buben und hatten für sehr viel Wirbel gesorgt.

      Auch ich hatte die freie Liebe in meiner Münchner Wohngemeinschaft, in der ich in jungen Jahren zuhause war, mit Wonne praktiziert. Warum denn nicht, wenn’s im Einvernehmen geschah.

      Damit war Schluss, nachdem mich Andrea zum Vater gemacht hatte. Meine Ansichten über die freie Liebe hatten sich gezwungenermaßen gedreht. Was vorher gut war, das war auf einmal tabu. Anstatt weiterhin ungezügelt drauflos zu vögeln, war ich besitzergreifend geworden, jedenfalls hätte ich Karla mit der neugewonnenen Einstellung niemals mit anderen Männern geteilt.

      Die unbequeme Wahrheit war, ich war zum Spießer mutiert, so was kann passieren, obwohl ich mir nie vor-stellen konnte. Nun gut, ganz so schlimm war’s dann doch nicht.

      O Gott, in die sechziger Jahre wollte ich nicht abschweifen, dennoch machte ich mich auf eine Zeitreise. Bei der führten mich meine Gedanken bis zu dem Zeitpunkt vor etwa sieben Monaten zurück. Wie war es mit mir und Karla weitergegangen?

      Die Trennung von meiner Frau hatte mich und meine Katze von Würselen nach Aachen verschlagen. Da eine große Wohnung nur schwer zu realisieren war, hatte ich mich mit zwei kleinen Zimmern in einer Hausgemeinschaft im Frankenberger Viertel begnügt. Die mussten vorübergehend für mich, meine Katze und die Kinder reichen.

      Bei Marlene und Peter, die später im Thailändischen Ka o Lak durch den Tsunami ums Leben kamen, war ich durch meine politische Präsenz so was wie der Hahn im Korb. Beide waren sachkundige Bürger für die Grünen in Ausschussgremien und standen somit voll hinter mir. Sie begrüßten auch, dass ich weiterhin den Fraktionsvorsitz für die Grünen im Rathaus der Stadt Würselen innehatte und dort für Furore sorgte.

      Das mit dem neuen Wohnsitz in Aachen klappte wunderbar, denn niemand im politischen Umfeld nahm Anstoß an der Wohnsituation. Man ignorierte ihn, als gäbe es ihn nicht, und da das in anderen Parteien ähnlich praktiziert wurde, blieb ich unbehelligt.

      Demnach hatte ich eine praktikable Lösung gefunden, mit der sich die Kinder arrangierten, aber Karla war mit ihrer Wohnsituation unzufrieden. Mit ihrem Alleinleben wollte sie sich nicht anfreunden. So keimte in ihr die vielversprechende Hoffnung auf, die sie mir alsbald mit Schmackes unter die Nase rieb.

      „Hör gut zu, Georg. Ich habe das Alleinleben satt. Wir ziehen zusammen.“

      Es war ein Befehl, der keinen Widerspruch duldete, denn sie wusste, dass der Speicher über ihrer Wohnung leer stand. Nur eins der drei Zimmer wurde von Rosa für ihre Malkurse genutzt. Sie war die Künstlerin, die in Parterre hauste. Allerdings hatte es das Dachgeschoss nötig, neu hergerichtet zu werden.

      Wir sprachen Rosa auf die gebotene Dringlichkeit an. Und die trat die Rechte an der Dachetage problemlos an mich ab. Nach Karlas Vorstellungen ließe sich das Speichergeschoss zu einer sechzig Quadratmeter Wohnung ausbauen, was mich veranlasst hatte, sie begeistert zu umarmen.

      „Prima wäre das, sollte es klappen“, klönte ich ausgelassen. „Die Wohnung wäre ideal für mich.“

      Ohne Umschweife kontaktierte ich den Hausbesitzer. Und dem war meine gewinnende Art sympathisch.

      „Das ist ein brauchbarer Vorschlag, Herr Blume“, sagte er. „Der Plan zur Wohnraumgewinnung hört sich überzeugend an.“

      Er hatte sich über die Dreizimmerwohnung gefreut, die in seinem Haus entstehen würde. Als Vermieter könnte er Mietmehreinnahmen einsacken und alles ohne eigenen Aufwand. Was wollte er mehr?

      Wir einigten uns auf folgenden Vertrag: Der Vermieter übernimmt die Materialkosten der Sanierung und gewährt mir Mietfreiheit in Höhe der Aufwendungen. In der Phase des permanenten Wohnungsmangels war das in Ordnung.

      „Das ist ein guter Deal.“

      Alle sahen es so, die ich zurate gezogen hatte. Somit war der Mietvertrag unterschrieben und ich konnte mich mit der Planung der Einrichtung beschäftigen.

      Tags drauf begannen die Instandsetzungsarbeiten und Karla unterstützte mich nach Kräften, doch von da an plagten uns schwer auszuhaltende Stresssymptome.

      Ich hatte eins der Zimmer mit einer Wärmedämmung zu verkleiden und mit Raufasertapete zu versehen. Die Decken und viele Wände in anderen Zimmern mussten verputzt werden. Dazu hatte ein Klempner eine Kloschüssel, eine Duschkabine, und die Anschlussleitungen für die Küche zu installieren.

      Und aus dem Gröbsten raus, standen die Streicharbeiten auf dem Programm. Alles sollte weiß aussehen. Das war eine Menge Arbeit. Tagsüber hielt mich mein Bürojob auf Trab, nachts die neue Wohnung.

      Wie ein angeschlagener Boxer, der angezählt werden musste, war ich stehend k.o., praktisch hatte ich schlaff in den Seilen gehangen. Noch dazu war die Anspannung auf die höchste Stufe angewachsen. Die hörte man knistern, da unser Nervengewand eine Massenkarambolage nach der anderen vollführte.

      Nach der Fertigstellung lud ich Karla ins Kalymnos zum Essen ein. Das war bis weit in die neunziger Jahre ein beliebtes griechisches Restaurant im Viertel.

      Doch mein Wunsch nach einer Feier stellte sich als folgenschwerer Fehler heraus, denn wegen der Schieflage unserer Beziehung unterlief mir eine unkontrollierte Bemerkung.

      „Weshalb sind wir eigentlich noch zusammen?“ Das brummte ich zynisch. „Doch wohl nur wegen der Wohnung?“

      Ich war völlig von der Rolle. Glaubte ich tatsächlich an den von mir ausgesprochenen Quatsch? Hatte ich ihn geäußert, weil ich von unserer Krise ablenken wollte?

      Im Grunde genommen war das, was ich in den Raum gestellt hatte, sowieso piep egal, denn Karla hatte nur auf irgendein Signal gewartet, wodurch sie sich abreagieren konnte.

      Sie sprang wutentbrannt auf und ließ mich allein mit den Tellern Moussaka und Suvlakia am Tisch sitzen. Wie ein Komet, ohne einen Schweif zu hinterlassen, stürmte sie aus dem Lokal, und der uns freundschaftlich verbundene Wirt schaute ihr verblüfft hinterher.

      Es war aus und vorbei. Den Umzug in die neue Wohnung zog ich ohne Karlas Hilfebeteiligung durch. Sie hatte mich im Stich gelassen. Karla war für mich nicht mehr ansprechbar.

      Und so blieb es unabsehbare Zeit. Nicht einmal ein zaghaftes Klopfen und mehrere Blumensträuße, die ich vor ihre Tür legte, konnten sie zu einem Lebenszeichen bewegen. Zwar wohnte ich nun über ihr, doch weiter von ihr entfernt, als je zuvor. Was war bei den Instandsetzungsarbeiten so miserabel verlaufen?

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