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sie immer, ich bräuchte mir keine Sorgen zu machen; es sei nur das Heimweh, das sie ab und an überfalle. Aber dann, einige Tage, bevor sie ermordet wurde, stellte sie mir eine Frage, die mich aus allen Wolken fallen ließ.«

      Wernher hielt kurz inne, als müsse er sich zuerst sammeln, um weitersprechen zu können.

      »Sie fragte mich, ob ich mir vorstellen könne, wenn sie plötzlich und unerwartet das Zeitliche segnen sollte, Sofia zu ehelichen.«

      Falk beugte sich vor. »Sie fragte Euch allen Ernstes, ob Ihr bereit wärt, ihre Tochter zu heiraten?«, hakte er nach.

      Der Ternberger nickte. »Im Falle ihres plötzlichen Ablebens, wie gesagt.«

      »Eine ungewöhnliche Bitte, in der Tat«, murmelte Falk und ließ sich wieder in den Stuhl zurückfallen. »Und wie habt Ihr reagiert?«

      Wernhers vor Gram zerfurchte Stirn ver­düs­­ter­te sich noch mehr. »Ich fürchte, viel zu heftig. Ich war natürlich sehr erregt. Ich schrie sie an, fragte sie, ob sie noch bei Sinnen sei und wie sie auf solche absurden Ideen käme. Überhaupt hätte ich die Nase voll von ihrem seltsamen Verhalten. Dann … dann schlug ich ihr ins Gesicht. Es war das erste Mal, dass ich derart in Harnisch geriet, und es tat mir gleich darauf auch unendlich leid.«

      Abrupt erhob sich Wernher und ging zu einem der großen Fenster, die sich zum Marktplatz hin öffneten.

      »Klara brach in Tränen aus … und stürzte aus dem Zimmer«, fuhr er, zum Fenster hinaussehend, leise fort. »Es war das letzte Mal, dass ich sie lebend sah. Am darauffolgenden Tag reiste ich, ohne mich von ihr zu verab­schieden, nach Passau. Als ich fünf Tage später gegen Mittag zurückkehrte, teilte man mir mit, dass sie am Morgen mit unbekanntem Ziel ausgeritten sei, aber am selbigen Abend noch zurückkehren werde. Doch sie kehrte nicht zurück. Am nächsten Tag fand man ihre Leiche. Ich … ich konnte sie nicht einmal mehr um Verzeihung bitten.«

      Wernher hielt inne. Gedankenverloren starrte er auf den Stadtplatz hinunter, auf dem lebhaftes Treiben herrschte.

      Christine erhob sich und ging zu ihm hinüber. »Lieber Freund, Ihr solltet Euch nicht über die Maßen damit quälen. Glaubt mir, Klara hätte das nicht gewollt.«

      Auch Falk trat an die Seite des Ternbergers. »Christine hat richtig gesprochen, Wernher. Hört auf, Euch deswegen Vorwürfe zu machen. – Sagt: Weiß Sofia vom An­sinnen Eurer Gattin?«

      Der Magistrat schüttelte den Kopf. »Nein. Ich wollte sie damit nicht belasten. Im Nachhinein verstehe ich Klaras Wunsch ja auch. Sie wollte ihre Tochter in Sicherheit wissen. Natürlich werde ich dafür Sorge tragen, dass es ihr an nichts mangelt – auch wenn eine Adoption aus verschiedenen Gründen nicht möglich ist. Eine Heirat kommt ebenso wenig infrage. Das hätte Klara eigentlich wissen müssen. Was ich für Sofia empfinde, ist, was ein Vater für seine Tochter empfindet. Jenes leidenschaftliche Feuer, das im Herzen eines Mannes für eine Frau lodert – es wird wohl nie wieder in mir entfacht werden.«

      »Wie hat Sofia das Ganze bewältigt?«, fragte Christine.

      »Anfangs war sie natürlich völlig verzweifelt, wollte das Furchtbare einfach nicht wahrhaben. Mittlerweile wirkt sie sehr gefasst.«

      »Werden wir sie heute noch sehen?«, wollte Falk wissen.

      »Nein. Sofia ist bei einer Freundin zu Besuch. Sie wird erst in einer Woche zurückkehren. Allerdings bitte ich Euch, ihr gegenüber nichts über den Inhalt unseres Gesprächs verlauten zu lassen, insbesondere was den Heiratsgedan­ken ihrer Mutter angeht. Es würde sie nur verunsichern. Übrigens: Auch Stadtrichter und Burggraf wissen nichts davon. Lediglich darüber, dass Klara ihren Tod vorausgeahnt und ihren Mörder vielleicht gekannt hat, habe ich sie in Kenntnis gesetzt.«

      Falk verstand. »Ja, natürlich. – Apropos Stadtrichter und Burggraf: Ich nehme an, sie wissen, dass ich sie in ihren Ermittlungen unterstützen soll?«

      Ein grimmiges Lächeln flog über die Miene des Ternbergers.

      »Das schon. Aber stellt Euch lieber auf einen kühlen Empfang ein, wenn ich Euch den beiden vorstelle. Begeistert sind sie nicht gerade davon, insbesondere da sie wissen, dass ich Euch für bedeutend geeigneter halte, die schreckliche Angelegenheit aufzuklären. Ungeachtet dessen werden sie mit Euch zusammenarbeiten, auch wenn sie’s zähneknir­schend tun, das verspreche ich. Ihr wisst, ich habe einiges zu sagen in dieser Stadt.«

      Falk nickte, zweifelte allerdings daran, dass die Vorge­hens­weise des Ternbergers klug gewesen war. Har­sche Kritik an der Art und Weise zu üben, wie die beiden Obrigkeitsvertreter ihre Amtsge­schäfte versahen, und ihnen im gleichen Atemzug jemanden zu nennen, der die Sache angeblich besser machen würde, zeugte nicht gerade von diplomatischem Geschick.

      »Wann werde ich die beiden sehen?«

      »Morgen am frühen Vormittag, wenn Ihr einver­standen seid. – Ja, was gibt es denn?« Die Frage Wernhers galt einem Klopfen an der Tür.

      Eine Magd steckte den Kopf herein. »Verzeiht, Herr, aber die Tafel ist gedeckt, wie Ihr befohlen habt.«

      Der Magistrat erhob sich. »Natürlich, fast hätte ich es schon wieder vergessen. Wenn Ihr mir bitte nach nebenan folgt, es ist angerichtet. Nach dem Mahl werde ich Euch Eure Kammer zuweisen lassen. Dort könnt Ihr für den Rest des Tages ausruhen. Ihr seid sicher müde von der Reise.«

      Kapitel 3

      Donnerstag auf Freitagnacht, 30. / 31. Juli 1388

      Erschrocken fuhr Christine aus dem Schlaf. Mit angehaltenem Atem starrte sie zum Fenster hinüber. Unwill­kürlich strich sie sich mit der Hand über die Stirn; sie fühlte sich feucht und kalt an. Gleichzeitig spürte sie, wie ihr das Herz bis zum Halse schlug. Du träumst, es ist nur ein böser Traum, versuchte sie sich zu beruhigen und schloss krampfhaft die Augen. Als sie sie wieder öffnete, war die dunkle Gestalt, die sie soeben noch neben dem Fenster zu sehen geglaubt hatte, ver­schwun­den.

      Sie spürte, wie die Panik, die sich in ihr festgekrallt hatte, zu weichen begann, und atmete auf. Sie blickte zur Seite. Das Haupt auf beide Hände gebettet, lag Falk neben ihr; ruhige, gleic­h­mäßige Atemzüge verrieten, dass er tief und fest schlief.

      Christine lächelte. Sie beugte sich über sein Gesicht und hauchte einen Kuss auf seine Stirn. Vorsichtig schlug sie die mit weißem Linnen überzogene Wolldecke zurück und stieg leise aus dem Bett. Auf Zehenspitzen schlich sie zum Fenster hinüber, öffnete einen der beiden pergamentbespannten Flügel und sah auf den Innenhof hinaus. Selbst jetzt noch, im Dunkeln, ließ sich die Größe des Ternbergschen Anwesens erahnen. Es umfasste zwei Gebäude, die jeweils aus einem Vorder- und einem Hinterhaus bestanden und durch den Hof voneinander getrennt waren. Christine und Falk waren in dem Haus untergebracht, das man das »Fondaco« nannte; ein Begriff, den der Ternberger von einer seiner Reisen nach Venedig mitgebracht hatte. Es barg neben einigen Dienstbotenkammern und einer großen Küche vor allem Kontore sowie Laden- und Geschäftsräume, die nicht von ungefähr im ersten Obergeschoss untergebracht waren: Nur so ließen sich Handelserzeugnisse und Waren vor den regelmäßig wiederkehrenden Hochwässern von Enns und Steyr schützen. Auch die Gästekammern befanden sich hier; sie lagen im zweiten Obergeschoss. Das andere Gebäude wurde vom Hausherrn selbst und einigen Dienstboten, allen voran dem Majordomus, bewohnt. Darüber hinaus beherbergte es eine große Empfangshalle sowie weitere Geschäftsräume und die Schreibstube Wernher von Ternbergs. Die Hauptfassaden beider Häuser wandten ihr stolzes Antlitz zum Stadtplatz, während die Rückseiten auf eine etwas mehr als mannshohe Mauer stießen, die sich die ganze Breitseite des Anwesens entlang erstreckte und nur wenige Schritte von der Enns entfernt errichtet worden war. Trat der Fluss über die Ufer, schützte die Mauer – wenn auch unvollkommen und nur vorübergehend – zumindest den Innenhof vor seinen Fluten. Auf den Hof selbst gelangte man durch ein breites zweiflügeliges Tor, das in eine Mauer eingelassen war, welche die auf der Stadtplatzseite gelegenen Fronten beider Gebäude miteinander verband.

      Christines Blick richtete sich nach rechts, wo hinter der ennsseitig gelegenen Mauer das schwarzsilberne Band des Flusses glitzerte, und schweifte dann über den Hof, auf dem tagsüber

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