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      »Das ist bei den Pastafaris durchaus üblich.«

      Steinböck atmete tief durch und schloss dabei die Augen. Entnervt sagte er: »Kommen ’S morgen in mein Büro, dann schau ich, was ich Ihnen für Informationen geben kann. Und kommen ’S bloß ned auf die Idee, a Foto von dem Toten zu veröffentlichen. Sie ham ihn doch bestimmt fotografiert, mit Ihrem Smartphone.« Dabei deutete er auf das Teil, das für ihre kleinen Hände eindeutig zu groß war.

      »Natürlich, und ob ich etwas veröffentliche, das bestimme ich immer noch selber.«

      »So, wirklich?«, meinte Steinböck und nahm ihr blitzschnell das Gerät aus der Hand. »Morgen, bei mir im Büro können ’S es wiederhaben.«

      »Damit kommen Sie nicht durch«, schrie sie wütend.

      »Und ob, das ist ein Beweisstück.« Dann schloss er schnell die Tür und ließ die verdutzte Reporterin im Gang zurück. Kurz überblickte er die offen gehaltene Wohnung. So weit das Auge reichte, Bücherregale. Klessel und der Hausarzt waren beide über den toten Franz Gruber gebeugt und untersuchten ihn. Die Katze stand neugierig daneben und schnupperte in die Luft.

      »Der riecht komisch, sehr komisch«, sagte sie zu Steinböck.

      »Also ich kann auf Anhieb nichts finden«, murmelte Klessel und betrachtete die Unterseite von Grubers Zunge. »Was meinst du, Steinböck, was sagt dein Bauch?« Der Kommissar schaute noch einmal die Katze an, dann brummte er leise: »Wir nehmen ihn mit. Die SpuSi schicken mir morgen hierher. Passt’s auf, dass ihr keine Spuren verwischt. Und Sie!«, sagte er zu Toni, dem Hausarzt, »Kommen ’S bitte morgen im Revier vorbei, damit wir Ihre Fingerabdrücke nehmen können. Thomas, kümmer’ dich um den Abtransport, ich schau nach, ob ich das Nudelsieb noch erwisch.«

      Steinböck hatte Glück. »Harry Potter für Arme«, wie er die kleine Reporterin mit dem Bubikopf und der Nickelbrille immer nannte, war bereits verschwunden. Obwohl sie ihm furchtbar auf die Nerven ging, hatte sie doch seinen Respekt verdient. Nachdem sie im letzten Jahr den Mut hatte, den Skandal um eine Münchner Pharmafirma, die dubiose Medikamententests mit ehemaligen DDR-Häftlingen gemacht hatte, in einem großen Magazin zu veröffentlichen, hatte sie sich einige Feinde in der Stadt gemacht.

      An der gegenüberliegenden Tür war ein großes glänzendes Messingschild angebracht.

      »Mike von Schweinitz«, las er, und darunter stand: »Bruder Tortellini«.

      Der Mann mit dem Nudelsieb auf dem Kopf öffnete die Tür, bevor Steinböck den Klingelknopf drücken konnte.

      »Herr Kommissar, ich habe Sie schon erwartet. Kommen Sie herein.«

      Kurz überlegte Steinböck, was ihn wohl erwarten würde. Vielleicht Poster von Untertassen oder Kugeln aus zusammengeknülltem Alupapier, die von der Decke hingen? Aber nichts davon war zu sehen. Die Wohnung wirkte völlig normal, wenn da nicht der Mann mit dem Nudelsieb gewesen wäre, der sich ihm gegenüber am Küchentisch niederließ.

      »Also, Herr Kommissar, was wollen Sie wissen?«

      Steinböck deutete mit dem Finger auf den Kopf seines Gegenübers. Dieser lachte laut auf und sagte dann: »Ich bin ein überzeugter Pastafari, und das Nudelsieb ist sozusagen meine religiöse Kopfbedeckung.«

      Steinböck hatte das Gefühl, ein äußerst doofes Gesicht zu machen, und beschloss, sich mit dieser Erklärung zufriedenzugeben. Als er die nächste Frage stellte, hätte er sich am liebsten auf die Zunge gebissen.

      »Ihr Nachbar, Herr Gruber, war der auch ein Pastafari?«

      »Nicht unbedingt, aber er stand unserer Idee sehr positiv gegenüber. Er wollte sich auf seiner USA-Reise sogar mit Bob Henderson treffen.«

      »Wer bitte ist Bob Henderson?«

      »Bob Henderson ist der Gründer der Religion des fliegenden Spaghettimonsters.«

      »Des fliegenden Spaghettimonsters«, murmelte Steinböck leise vor sich hin. Dann gab er sich einen Ruck und wechselte das Thema.

      »Also gut. Hatte Herr Gruber heute Abend Besuch? Ist Ihnen jemand aufgefallen?«

      »Nein, ich bin gegen 19 Uhr nach Hause gekommen. Ich hörte leise Musik aus seiner Wohnung, also bin ich davon ausgegangen, dass er zu Hause ist. Gegen acht klingelte dann die Reporterin. Sie sagte, sie habe einen wichtigen Termin mit Gruber, und fragte, ob ich Näheres über seinen Aufenthalt wisse. Na ja, wir haben dann geklopft und geklingelt. Schließlich hab ich seinen Schlüssel geholt. Wir fanden ihn leblos auf der Couch. Ich hab sofort unseren Hausarzt angerufen.«

      »Sie haben einen Schlüssel zu seiner Wohnung?«, unterbrach ihn Steinböck.

      »Ja, ich sollte mich um seine Wohnung kümmern, während er durch Amerika reisen würde.«

      »Wann haben Sie ihn zum letzten Mal lebend gesehen?«

      »Das war heute Morgen, bevor ich das Haus verließ. Wir unterhielten uns kurz und er sagte, dass er noch eine Menge zu erledigen habe. Er erwähnte auch die Reporterin, die ihn heute Abend besuchen wollte.«

      »Warum er die Reporterin sprechen wollte, hatte er Ihnen nicht gesagt?«

      »Nein, aber es war offensichtlich eine unangenehme Sache. Etwas schien ihn sehr zu bedrückten.«

      »Eine Frage noch, was hat das Nudelsieb mit Ihrem Glauben zu tun?«

      »Ganz einfach, ich möchte, dass es als religiöse Kopfbedeckung anerkannt wird und ich es auf meinem Führerscheinfoto tragen darf.«

      »Aber des ist doch Schwachsinn«, polterte Steinböck.

      »Genau, Herr Kommissar, das ist Schwachsinn.«

      Nun verstand Steinböck gar nichts mehr. Er schüttelte den Kopf und sagte: »Gut, können Sie morgen im Laufe des Tages zu uns in die Ettstraße kommen? Dann nehmen wir ein Protokoll auf.«

      »Gerne. Übrigens«, dabei rückte er das Spaghetti-Sieb auf seinem Kopf zurecht, »ist es bei der Münchner Polizei üblich, dass die Kommissare zusammen mit schwarzen Katzen, ermitteln?«

      Steinböck blickte irritiert auf Frau Merkel, die er die ganze Zeit auf den Armen getragen hatte. Diese grinste und zog die Mundwinkel nach unten.

      »Touché«, sagte sie, sprang herunter und lief auf die Tür zu. »Ich laufe lieber, es sind ja schließlich vier Etagen.«

      *

      Wenn möglich, versuchte der Junge nachts nicht mehr zur Toilette zu gehen. Aber wenn er es nicht vermeiden konnte, schlich er sich barfuß aus dem Schlafraum, um keinerlei Geräusche zu machen. Meist passierte nichts und er huschte danach vorbei an den schlafenden Kommilitonen zurück in sein Bett. Auch diesmal schien alles gut zu gehen. Bis er die Toiletten-Kabine verließ. Plötzlich erlosch das Licht und jemand rief leise seinen Namen. Er hielt den Atem an und hoffte, dadurch unsichtbar zu werden. Vergeblich. Der Lichtstrahl einer Taschenlampe leuchtete ihm direkt ins Gesicht. Der Junge kniff die Augen zusammen, doch bevor er etwas erkennen konnte, hatte ihm der Mann die Kapuze übers Gesicht gezogen. Dann schaltete er das Licht an. Nicht, dass der Junge etwas gesehen hätte – es war mehr die Wärme, die er auf seiner Haut zu spüren glaubte und die ihm die Gewissheit gab, dass es wieder passieren würde. Obwohl der Mann jetzt beruhigend in einer fremden Sprache auf ihn einredete, kam Panik in dem Jungen auf. Er kannte den Ablauf. Ein paar Minuten musste er das Ding des Mannes bearbeiten, dann würde dieser das Licht wieder ausschalten, ihn zum Waschbecken führen, das Wasser aufdrehen und ihm die Kapuze herunterziehen. Dabei würde er weiter in der fremden Sprache sprechen und nur einen deutschen Satz einfügen: »Wenn du ein Wort sagst, wird deine Mutter sterben.« Der Mann würde unerkannt die Toilette verlassen, der Junge sich minutenlang die Hände waschen, um dann zurück in sein Bett zu schleichen und sich in den Schlaf zu weinen.

      Doch diesmal war alles anders. Der Mann zog ihm die Schlafanzughose herunter, drehte ihn um und versuchte, in ihn einzudringen.

      Schreiend erwachte er aus dem Schlaf. Zehn Jahre hatte er diesen Traum mehrmals die Woche gehabt, und dann wurde es immer weniger.

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