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neuerlich in seinen Taschen und zog einen weiteren Zettel heraus, von dem er vorlas:

      »Ich hafte und bürge … äh … dafür, daß der Friede unsererseits nicht an Eroberungsabsichten scheitern wird …

      und weiter:

      … Wir wollen von Rußland weder Gebietsabtretungen noch Kriegsentschädigungen. Wir wollen nur ein freundnachbarliches, auf sicherer Grundlage beruhendes Verhältnis, das von Dauer ist und auf gegenseitigem Vertrauen ruht.«

      Nach einer kurzen Pause fuhr Schmerda fort:

      »Trotzdem hat sich die Bewegung im Laufe des gestrigen Tages weiter ausgebreitet. Das betraf sowohl Betriebe im Mur- und Mürztal, in Linz und Steyr als auch in Brünn, Mährisch Ostrau, Triest und Budapest.«

      Schober runzelte die Stirn und blätterte in den Unterlagen.

      Schmerda schnaufte und wischte sich mit einem Taschentuch über die Stirnglatze:

      »In Wien hat sich gestern Abend ein 14-köpfiger zentraler Arbeiterrat konstituiert, der die bereits erwähnten vier Forderungen mit der Regierung verhandeln soll. Diese Verhandlungen laufen derzeit. Hoffen wir, dass dabei was Vernünftiges herauskommt.«

      Nechybas Magen revoltierte neuerlich und er versuchte, ihn mit lauter Stimme zu übertönen:

      »Ich danke recht schön für diesen informativen Überblick. Aber was hat das mit uns, mit dem Polizeiagenteninstitut, zu tun? Faktum ist, dass wir bemüht sind, unsere Leute in die größeren Streikversammlungen einzuschleusen und die linksradikalen Aufwiegler zu identifizieren und vorzumerken. Mehr können wir im Moment nicht tun.«

      Schmerda nickte:

      »Genau um diese Kräfte geht es. Um die linksextremen Aufwiegler. Ich habe da eine Liste der besonders gefährlichen Agitatoren …«

      Er holte einen weiteren Zettel hervor und begann vorzulesen:

      »Also, das wären die Herren Baral, Beer, Hexmann, Hübl, Kodanich, Kohn-Eber, Koritschoner, Kulcsar, Pjatiorski, Rothziegel und Wertheim.«

      Schober sah Nechyba an und sagte in sanftem Befehlston:

      »Diese Herrschaften, Nechyba, werden Sie und Ihre Leute am Montag verhaften. Ausnahmslos. Das ist unser Beitrag zur Deeskalation dieser unerfreulichen Geschichte. Sehen Sie zu, dass Ihre Agenten bei diesen Einsätzen bewaffnet sind. Falls nötig, sorgen Sie für ausreichend Unterstützung durch die Sicherheitswache.«

      Nechybas Magen brummte und grummelte. Abrupt stand er auf und sagte laut und deutlich:

      »Jawohl, Herr Doktor. Am Montag werden wir die Subversiven aus dem Verkehr ziehen. Herr Hofrat, darf ich Sie um die Liste bitten?«

      Schmerda stand ebenfalls auf und übergab den Zettel. Schober erhob sich, schüttelte beiden Männern die Hand und bedankte sich für ihr Kommen.

      Auf der Stiege ergriff Hofrat Schmerda plötzlich Nechybas Arm, sodass dieser stehen bleiben musste. Schmerda beugte sich zu dem Inspector und flüsterte:

      22. Jänner 1918

      »Ja da schau her! Der Herr Oberinspector. Wollen S’ nicht Platz nehmen?«

      Nechyba setzte sich an den Kaffeehaustisch und brummte:

      »Das hätt’ i sowieso g’macht. Da brauch’ ich ka Einladung.«

      Zygmunt Karminsky sah Nechyba fragend an und fuhr dann etwas verunsichert fort:

      »Es ist mir eine Freude, Herr Oberinspector. Wünsche einen guten Tag! Geh, Herr Ober, bringen S’ dem Herrn Oberpolizeirat einen Schwarzen mit einem ordentlichen Schuss Trebern drinnen. Was? Sie haben keinen Trebern? Na gut, dann nehmen S’ halt einen Cogn… äh … einen Weinbrand!«

      Nechyba war irritiert. Karminsky kannte seine persönlichen Vorlieben recht gut. Dieser fuhr in leutseligem Tonfall fort:

      »Also, wie geht’s denn so immer?«

      »Dir bald nicht mehr so gut …«

      »Um Himmels willen! Was liegt denn gegen mich vor? Hab’ ich was ang’stellt? Ich bin doch ganz brav.«

      Karminskys Mund verzog sich zu einem verbindlichen Grinsen:

      »Ein Schleichhändler bist obendrein.«

      »Ich bin a kleiner Gewerbetreibender. Das hab’ ich amtlich mit Brief und Siegel. Wie Sie wissen, gehört mir die Fleischhauerei Trnka. Der Witwe des gefallenen Fleischers hab’ ich einen ordentlichen Batzen Geld gezahlt. Seitdem führt sie das Geschäft für mich und verdient ein anständiges Gehalt. Wenn ich ihr mit meinen Beziehungen und meinem Geld nicht geholfen hätt’, hätt’ sie zusperren müssen und wär’ verhungert. Da sehen Sie, was ich für ein sozialer Mensch bin und warum man mich den Guadn nennt.«

      »Geh bitte! Wer hat jetzt im Krieg nix mit dem Schleichhandel zu tun? Das macht doch a jeder! Ohne Schleichhandel würd’ ma alle verhungern. Also sind S’ nicht so streng, Herr Oberinspector. Außerdem haben Sie ja auch schon öfters von meiner Schwarzmarkttätigkeit profitiert.«

      Der Ober servierte Nechyba den Kaffee. Es handelte sich um grauslichen Ersatzkaffee aus Eicheln und Zichorien. Nur dem heißen Weinbrand war es zu verdanken, dass das Gebräu einigermaßen angenehm duftete. Nechyba nahm vorsichtig einen Schluck und achtete darauf, sich nicht die Lippen zu verbrennen.

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