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Männer und drei Frauen, alle vornehm gekleidet. In der Luft waberte der Resthauch schwarzer Magie. Jemand hatte ihnen die Lebenskraft ausgesaugt.

      »Shit«, entfuhr es Mark. »Ich hasse es, wenn wir zu spät kommen.«

      Ein Stöhnen erklang.

      Jen rannte zu einem der Liegenden, kniete sich auf den Boden. »Alles ist gut«, sagte sie, »wir sind da.«

      Worte trügerischer Hoffnung. Weißes Haar lag ausgefallen auf dem Teppich, Altersflecken bedeckten die Haut. Der Unbekannte würde sterben. Wie alt er vor wenigen Stunden auch gewesen sein mochte – nun war er ein Greis.

      »Buch«, röchelte er, »sie wollten den Folianten.«

      »Ich verstehe nicht …«

      Der Alte unterbrach sie, indem er mit letzter Kraft ihr Handgelenk packte. Ein Schmerz durchzuckte Jens Bewusstsein, breitete sich aus. Ein Bild entstand. Es zeigte einen uralten Folianten, gebunden in brüchiges Leder. Rissige Seiten wurden von Geisterhand umgeblättert. Symbole, ähnlich chinesischen Schriftzeichen, mit schwarzer Tusche geschrieben, bedeckten das Papier. Sie fiel zurück. Zitternd lag Jen auf dem Teppich, das Gesicht von Schweiß überströmt.

      »Hey!« Mark kam herbeigeeilt. »Was ist passiert?«

      »Wächter«, stieß sie hervor. »Die Toten waren Wächter.«

      Er riss die Augen auf. »Aber wie kann das sein?«

      Jen rappelte sich auf, zuckte mit den Schultern. In der Bibliothek des Castillos gab es ein Verzeichnis, in dem alle Wächtergruppen und das Artefakt, das sie beschützten, verzeichnet waren. Manch ein gefundenes Objekt war so gefährlich, dass es nicht mit anderen Dingen eingelagert werden konnte. Hierfür gab es die Wächtergruppen. Der Globus hätte ihnen die Referenz mitteilen müssen, als der Magieausbruch geschah.

      Jen ging neben dem Toten in die Knie, zog ihr Smartphone hervor und machte ein Bild vom Handgelenk des Mannes. Ein aus ineinander übergehenden Ornamenten verziertes Zeichen war in die Haut gebrannt. »Sobald wir zurück sind, prüfen wir das.«

      »Soll ich das Castillo kontaktieren? Kevin könnte die Recherche direkt starten.«

      »Nicht nötig«, wehrte Jen ab. »Er«, dabei deutete sie auf den Alten, »hat mir eine Vision geschickt«. Sie rannte zur Tür. »Es ist ein Foliant.«

      Gemeinsam erreichten sie die Bibliothek. Gewaltige Regalreihen wuchsen in die Höhe, bedeckt von Büchern. Gewöhnliche Werke. Belletristik, Fachwälzer, Literatur nichtmagischer Menschen. Durch hohe Fenster fiel Dämmerlicht herein, tauchte den Raum in ein Wechselspiel aus Licht und Schatten. Es roch nach altem Papier. Jede Bibliothek wurde dadurch zu etwas Besonderem. Auf einem Beistelltisch lag eine Zeitung – zwei Tage alt, wie das Datum verriet –, daneben stand eine Tasse aus hauchdünnem Porzellan. Seitlich war ein Wappen eingeprägt.

      Jen roch an der Tasse. »Schwarztee.«

      »Das wirkt, als wäre hier jemand bei einer gemütlichen Lesestunde unterbrochen worden.« Mark deutete auf den Boden neben dem Tischchen. Dort lag ein Buch mit fleckigem Einband.

      Sie nickte schweigend. Es wurde auf den ersten Blick deutlich, dass hier jemand etwas gesucht hatte. Die Luft quoll geradezu über von dem fauligen, verdorbenen Atem dunkler Magie. »Sie haben eine Wächtergruppe angegriffen und waren auch noch erfolgreich«, flüsterte Jen. Langsam schritt sie durch den Raum. »Wie kann das nur sein? Das Haus muss eine Festung gewesen sein. Wächtergruppen bewachen die gefährlichsten Gegenstände. Und woher wussten die überhaupt davon?«

      Mark ging zum Regal und fuhr mit der Hand über die Buchrücken. »Mal ehrlich, wer kann schon voraussagen, was Saint Germain und die anderen Wahnsinnigen wieder ausbrüten. Auf jeden Fall nichts Gutes.«

      Mark kniff die Augen zusammen. Stirnrunzelnd trat er in die Mitte des Raumes. »Hier wurde eine Lokalisierung versucht.«

      »Sie wollten den Folianten. Aber erfolgreich waren sie nicht.« Jen trat zielsicher an eines der Regale, stieg die angebrachte Leiter empor und zog ein dünnes Heft hervor.

      »Okay«, kam es von Mark, »wenn du das einen Folianten nennst, dann müssen wir noch mal über die Definition sprechen.«

      »Spinner.« Er wusste genau, dass der äußere Schein trügen konnte.

      Jen legte das Heftchen – ein alter Groschenroman – auf dem Lesetisch ab. Auf dem Cover stand ein verwegen aussehender Pirat mit nacktem Oberkörper auf dem Deck seines Schiffes. Vor ihm kniete eine Frau, den Kopf leicht zur Seite geneigt und dem Betrachter zugewandt. Die Lippen des Piraten berührten ihren Hals.

      »Gib es zu, du willst ihn unbedingt lesen.«, sagte Mark.

      »Unbedingt. Ich stehe auf romantische Literatur«, sie grinste ihn an. »Damit kann man so schön Feuer machen.«

      Sie zog ihren Essenzstab hervor. Bei dem Zauber, den sie nun auszuführen gedachte, musste die Magie direkt im Gegenstand wirken. Es reichte nicht aus, die Machtsymbole in die Luft zu zeichnen. Doch damit sie in Material einwirken konnten, bedurfte es immer eines Essenzstabes. Er kanalisierte die Magie und übertrug sie in den jeweiligen Rohstoff. Nimags – Nichtmagier, also gewöhnliche Menschen – hätten wohl Zauberstab dazu gesagt.

      Sie zeichnete das Bild der Desillusionierung auf das Papier, verknüpfte es mit dem Mal der Wächtergruppe und erschuf so ein völlig neues Machtsymbol. Ihr Essenzstab formte den Zauber aus violetter Essenz. Am Ende sickerte er in das Heftchen.

      Im nächsten Augenblick zog und wand sich das Papier, wurde größer, dicker, schwerer.

      »Tadaaa«, sagte Jen.

      »Das ist es also«, kam es von Mark. »Seltsam, ich erkenne keine schwarzmagische Ausstrahlung. Was könnten die Schattenkämpfer damit gewollt haben?«

      Gute Frage. »Vielleicht gehört es zur undefinierten Magie und sie wollten es formen.« Sie schlug die Seiten auf. Die Zeichen blieben unleserlich, glichen chinesischen Schriftzeichen, die bei genauerer Betrachtung zu keltisch anmutenden Symbolen wurden. »Da muss ein Bibliothekar drüberschauen.« Sie schloss den Folianten.

      Es rauschte. Kutten flatterten, als zahlreiche Personen aus der Luft entstanden. Entsetzt blickte Jen auf die Neuankömmlinge, die dunkle Mönchskutten und Kapuzen trugen. Auf die Stirn eines jeden dunklen Mönchs war ein schwarzes Auge geritzt worden. Ihr Unsichtbarkeitszauber war so perfekt gewesen, dass sie keinen Hauch wahrgenommen hatte.

      Einer der Mönchskrieger trat vor. »Der Foliant!«

      »Nein, ich denke nicht«, sagte Mark.

      Dann ging alles rasend schnell. Ein Schlag traf Jen, schleuderte sie beiseite. Aus dem Nichts entstand eine unterarmlange Holzfigur. Der Foliant flog in die Hand eines Feindes, die Figur landete neben Mark. Er schrie. Tentakel aus Holz bohrten sich in seine Brust, als sei das Totem lebendig. Blut spritzte. Knochen knirschten.

      Jen kam in die Höhe.

      Die Mönchskrieger verschwanden vor ihren Augen, als seien sie nicht mehr als Nebelgebilde, die den Folianten mit sich nahmen.

      Jen wandte sich Mark zu …

      … und erschrak.

      Der Freund und Kampfgefährte wurde von einer Sphäre aus Nebelfetzen umhüllt. Langsam stieg er in die Luft empor. Die Figur pulsierte, wie das schlagende Herz einer unheiligen Kreatur. Sie konnte spüren, was das Ding tat.

      »Lauf«, krächzte Mark.

      »Vergiss es.« Blitzschnell führte Jen mehrere Kraftschläge aus. Doch der Nebel wehrte alle ab. Sie versuchte, ruhig zu bleiben. Ein Teil des Wissens, das sie zu ihrer Erweckung erhalten hatte, war verloren gegangen – wie bei jedem. Sie hatte es nicht vertieft. Aber die essenziellen Gesetze des Zauberausgleichs waren ihr noch vertraut.

      Sie griff auf ihr Sigil zu und leitete eigene magische Essenz in die Sphäre. Ein Ausgleich war geschaffen. Damit erkaufte sie Zeit. Doch die Kreatur reagierte. Ein Rückstoß schleuderte

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