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gewesen war.

      »Dachte ich es mir doch, dass du hier bist«, verkündete er.

      »War das so offensichtlich?«

      Er zuckte mit den Schultern. »Für jemand, der dich kennt. Jeder hat so seine Eigenheiten, wenn er mies drauf ist. Max beispielsweise stopft sich seine Kopfhörer in die Ohren und hört stundenlang Musik. Finde ich deutlich gesünder, als ständig die Gräber seiner toten Eltern aufzusuchen.«

      Nur Mark konnte eine derartige Einschätzung mit einer solchen Leichtigkeit aussprechen und dabei nicht verletzen. Im Gegenteil. Sein sonniges Gemüt besserte sofort ihre Laune.

      »Du wolltest mich also aus meiner Trübsal reißen und einen Kaffee spendieren?«

      Er schüttelte den Kopf. »Keineswegs. Wir haben einen neuen Auftrag.«

      »Es war einen Versuch wert.«

      Er lachte. »Aber danach ist ein Kaffee durchaus drin. Vielleicht erzählst du mir auf dem Weg, was eigentlich passiert ist.«

      Gemeinsam verließen sie den verwilderten Garten.

      Jen schenkte dem Haus keinen weiteren Blick. Es war nur ein leeres Gebäude, in dessen Räumen das Lachen und der Schmerz einer längst vergangenen Zeit widerhallten.

      Es ist vorbei.

      Sie ließ die Erinnerungen hinter sich, um mit Mark die Zukunft anzupacken. So tat sie es immer. Bis zum nächsten Mal.

      »Ich wünschte, es gäbe ein näheres Sprungportal«, grummelte sie.

      »Jennifer Danvers«, sagte Mark, ehe er schnell korrigierte, »Jen. Wir haben heute wohl mit der falschen Hand den ersten Zauber ausgeführt, hm?« Schalk blitzte in seinen Augen, Lachfalten entstanden. Das blonde Haar stand ungekämmt ab. Abgesehen von seiner Abneigung gegen einen Kamm, ließ er auch keine Magie an den Haarschopf.

      »Ach«, sie winkte ab.

      »Komm schon. Raus damit. Ich war jetzt lange genug geduldig. Schonzeit ist vorbei, Danvers.«

      Sie wusste, dass er hartnäckig bleiben würde. Seufzend sah sie hinaus über die grünen Hügel. Das Portal hatte sie in einem sicheren Haus in London abgesetzt. Von dort aus mussten sie allerdings die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen, um ihrem Ziel näherzukommen. Alle anderen Portalausgänge lagen noch weiter entfernt. Jen nahm sich erneut vor, die Portalmagier zu bitten, das Netz der britischen Hauptstadt weitflächiger wachsen zu lassen. So saßen sie nun, nach einer langen Odyssee, in einer der typischen schwarzen Taxen und ruckelten über unebene Kieswege.

      »Es ist der Rat«, gab sie schließlich zu. »Ich habe eine Rüge erhalten.«

      Mark grinste noch breiter, wenn das überhaupt möglich war. »Kommt jetzt nicht überraschend.«

      »Hey!« Sie knuffte ihn in die Seite.

      »Ach, komm schon«, er warf ihr einen herausfordernden Blick zu. »Wie oft hast du die Regeln gebrochen? Der Rat musste doch reagieren. Sei bloß froh, dass Johanna eine schützende Hand über dich hält.«

      Jen gab nur ein verärgertes Grunzen von sich. Johanna von Orléans war die einzige Unsterbliche im Rat – eine von sechs –, die selbst hier und da mal eine Regel übertrat. Die Übrigen schauten meist hochnäsig auf sie herab oder bildeten sich etwas darauf ein, wer sie waren. Vermutlich lag es an dem langen Leben, dass sie jeden, der jünger als ein Jahrhundert war, als Kind ansahen.

      Man hatte ständig das Gefühl, ihren Ansprüchen sowieso nie gerecht werden zu können. Wie gut musste ein Mensch Zeit seines Lebens nur sein, um am Ende unsterblich und in den Rat berufen zu werden?

      »Du gehst zu viele Risiken ein, Jen.« Das Lachen auf Marks Gesicht verschwand.

      »Das haben die auch gesagt. Idioten.«

      »Na, danke.«

      Bevor sie das Gespräch fortführen konnten, erreichte das Taxi sein Ziel. Mark bezahlte den Fahrer aus der Einsatzkasse, während Jen ausstieg. Kies knirschte unter ihren Stiefeln, als sie ein paar Schritte machte, um das alte Herrenhaus näher zu betrachten. Es lag verborgen im Grünen, weit außerhalb der Stadt. Die Fassade wirkte gepflegt, Blumen bedeckten die Veranda, die Fenster mussten erst kürzlich gereinigt worden sein. »Sehr Downton-Abbey-like«, murmelte Jen.

      »Fang nicht wieder mit der alten Mottenkiste an«, sagte Mark, während sein Blick über die Fassade glitt.

      Gemeinsam näherten sie sich dem Eingang.

      »Du bist ein Banause«, erwiderte sie. »Irgendwann fessle ich dich vor den Fernseher, und du musst alle Staffeln anschauen.«

      »Das wäre Folter. Was würde der Rat nur dazu sagen?« Er grinste frech, worauf sie ihm erneut einen Stups in die Seite verpasste. Die Erwiderung erstarb ihr auf den Lippen. »Spürst du das?«

      Er nickte. Mit zielsicheren Bewegungen zeichnete Mark Symbole in die Luft. Sein Finger hinterließ eine Spur aus grünem Feuer. Die Spur eines jeden Magiers war anders, wenn er Symbole wob, jede war einzigartig.

      Die Zeichen der Magie gruppierten sich. Er murmelte ein Wort. Eine Schockwelle raste hinfort, zerfetzte den Illusionierungszauber, der auf dem Herrenhaus gelegen hatte. Zum Vorschein kam ein heruntergekommener Kasten. Die Blumen lagen vertrocknet am Boden, die Fenster blickten blind auf die hügeligen Wälder. Der Geruch von Tod und Verwesung hing in der Luft.

      Sie nahm jede Kleinigkeit des Baus in sich auf. Sie konnte die Gefahr spüren, die hinter den Mauern lauerte. Kevin hatte in der Bibliothek zu einem Fall recherchiert, dem er gerade nachging. Dabei hatte eine der Suchgloben ein Signal empfangen. Wann immer auf der Welt mächtige Artefakte eingesetzt wurden, leuchtete auf dem magifizierten Gegenstand ein schwarzer oder weißer Punkt an der entsprechenden Stelle auf. Der Magieausbruch am Rande von London war auf einem der Suchgloben recht deutlich sichtbar gewesen.

      Mark schaute sich ebenfalls genauestens um. »Ein unmaskierter Ausbruch dieser Größe und dazu ein Illusionierungszauber – das gefällt mir nicht.«

      »Tja, da bleibt uns keine Wahl.« Das wird lustig. Ihr letztes Duell mit Schattenkämpfern lag schon eine Weile zurück. Dank der Interventionen des Rates wurde sie ständig für Recherchearbeiten abgestellt. Einzig Kevin war es zu verdanken, dass sie dieses Mal am Puls der Action sein konnte. Er hatte zuerst Mark und – mit ordentlicher Verzögerung – den Rat informiert.

      Während sie auf die Herrenhausbaracke zugingen, erschuf jeder für sich mit dem Contego-Zauber eine Schutzsphäre gegen mögliche Angriffe. Gleichzeitig ließ Jen ihre Sinne schweifen. Da war nichts. Alles ruhig und friedlich. Hätte es nicht den Hauch des Bösen gegeben, der wie ein dunkler Nebel über dem Anwesen lag.

      »Sollen wir mal freundlich anklopfen?«, fragte Mark.

      Sie nickte. Während er nach dem schmiedeeisernen Ring griff, der in den Kopf eines Kobolds überging, erschuf Jen zwei Feuerbälle in ihren Händen. So konnte sie im Notfall blitzschnell handeln. Im Reflex prüfte sie ihr Sigil. Es pulsierte gleichmäßig, verströmte violette magische Kraft.

      Da bräuchte es schon eine Armee, um mich in Gefahr zu bringen.

      Das laute Klopfen des Rings, der auf Holz krachte, tönte in der Stille. Nichts. Mark versuchte es kein zweites Mal. Stattdessen nahm er seinen Essenzstab in die Hand, setzte ihn an und brannte ein magisches Symbol in das Hindernis. Kurz flammte es auf dem Holz der Tür auf, dann verwehte diese zu einem feinen Nebelgespinst.

      Gemeinsam traten sie ein.

      Moder und Fäulnis lagen in der Luft, vermengten sich mit dem Odem des Todes. Blut. Jen bekam eine Gänsehaut. Was hier auch vorgefallen war, sie kamen zu spät. Instinktiv folgte sie einem ihrer klassischen Sinnesorgane, der Nase. Die Eingangshalle blieb zurück. Sie stieg die Treppe empor. Der allgegenwärtige Teppich dämpfte jeden Schritt. Mark bildete die Nachhut. Mittlerweile hatte auch er Feuerbälle entstehen

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